Eva Illouz (Hg.): Wa(h)re Gefühle - Authentizität im Konsumkapitalismus
Mit einem Vorwort von Axel Honneth. Aus dem Englischen von Michael Adrian
Berlin, Suhrkamp 2018
332 Seiten, 22 Euro
Vom Feeling her ganz ursprünglich
"Zeit für Gefühle" ist ein Slogan, der einen Mechanismus des zeitgenössischen Kapitalismus illustriert: Waren produzieren Gefühle und Gefühle werden zu Waren. Die Soziologin Eva Illouz untersucht in einer Aufsatzsammlung diese Interaktion von Gefühlen und Konsumpraktiken.
"Sei einfach du selbst, zeige deine Gefühle, dann wird das schon!" Wer hat solchen wohlgemeinten Rat nicht schon von Freunden gehört? - Was aber, wenn wir in einer Welt lebten, in der unsere vermeintlich authentischen Emotionen selbst schon geformt und verformt sind durch eine alles durchdringende Kommerzialisierung? Und in der unsere Gefühle letztlich keine andere Form haben als andere Waren, die wir uns kaufen können? Denn genau so, wie wir uns ein wohlriechendes Parfüm kaufen, kaufen wir uns das Gefühl, das damit einhergeht – etwa, dass wir uns damit sexy und attraktiv fühlen – gleich mit. Das ist im Kern die dystopische Gegenwartsanalyse, die im neuen Buch von Eva Illouz vorgetragen wird: "Wa(h)re Gefühle - Authentizität im Konsumkapitalismus".
Die in Jerusalem und Paris lehrende Soziologin hat schon in einer ganzen Reihe von vielbeachteten Büchern den innigen Zusammenhang unseres Gefühlslebens mit unseren Konsumgewohnheiten und dem allumfassenden (spät-)kapitalistischen System, in dem wir leben, beleuchtet: "Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus" (2003), "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" (2004), "Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung" (2011).
Gefühle und das Äußere
Ihr neuster, gerade erschienener Band ist ein Gemeinschaftswerk, das Produkt von, wie sie schreibt, jahrelangen intensiven Diskussionen mit einer Reihe von Kollegen und ehemaligen Studierenden. Während die anderen Autoren Einzelstudien zu speziellen Themen, von der organisierten guten Laune bei Club-Med-Urlauben über die Herstellung von Gefühlen durch Musik oder Horrorfilme bis zu dem Gefühlserlebnis mit vorgedruckten Grußkarten und der Gefühlskontrolle in psychotherapeutischen Praxen beisteuern, liefert Illouz in einer ausführlichen Einleitung und einem Fazit den theoretischen Rahmen.
Noch radikaler als in früheren Werken beschreibt Illouz die Tatsache, dass Gefühle seit dem späten 18. Jahrhundert vermeintlich der Inbegriff individueller Innerlichkeit sind, und dabei doch immer auch durch die uns umgebende Gesellschaft geprägt werden. In einer von kapitalistischem Konsum dominierten Welt bedeutet das: Sie nehmen den Charakter von Waren an, die wir uns erwerben. Wir kaufen Musik, die uns bestimmte Stimmungen beschert, wir buchen nicht bloß Flüge und Hotelübernachtungen, sondern auch ein ganzes Programm von guter Laune, wir bezahlen Psychologen, damit sie unsere Gefühle mit uns in die gewünschte Form pressen.
Das Grundproblem des Gefühlskerns
Das philosophische Grundproblem, das daraus folgt, ist nicht nur, dass wir von einer Authentizität der Gefühle nicht mehr im eigentlichen Sinn sprechen können, sondern mehr noch, dass wir keinen archimedischen Punkt mehr haben, von dem aus wir die "unauthentischen Gefühle" unseres kapitalistischen Konsumsystems kritisieren könnten. Wir sind Leib, Seele, Verstand und Gefühle, immer schon mitten drin. Für die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, deren Anspruch an Gesellschafts- und Kapitalismus-Kritik sich Illouz hier explizit anschließt, ein nicht unbeträchtliches Problem. Die totale und totalisierte Dystopie schließt in letzter Konsequenz auch den Kritiker mit ein. Kein Wunder baut Axel Honneth in seinem wohlwollenden Vorwort darum trotz aller Zustimmung auch eine kleine Distanziertheit mit ein.