Eva Raisig: „Seltene Erde“
Matthes & Seitz, Berlin, 2022
368 Seiten, 24 Euro
"Seltene Erde" – Romandebüt von Eva Raisig
Die Autorin Eva Raisig ist auch Physikerin. In ihrem Debütroman "Seltene Erde" greift sie die Mission der Voyager 1 auf. © Gianmarco Bresadola
Eine Raumsonde mit allegorischer Fracht
10:21 Minuten
Seit 1977 fliegt die Erkundungssonde Voyager I durchs All. Sie spielt eine wichtige Rolle in Eva Raisigs "Seltene Erde". Raisig erzählt von zwei Frauen, die, wie die Sonde, im Leben auf der Suche sind und nur selektiv etwas von sich preisgeben.
Eva Raisig* ist nicht nur Autorin, sondern auch Physikerin und als solche überzeugt davon, dass es anderswo im Weltall Leben gibt: Das sei eine Frage der Wahrscheinlichkeit.
„Ich teile Lenkas Einschätzung, dass wir vielleicht ein bisschen phantasielos sind“, sagt Raisig mit Blick auf eine ihrer Hauptfiguren, die Astrophysikerin Lenka, „also, dass wir sehr auf dieses kohlenstoffbasierte Leben setzen.“ Es könne doch noch andere Lebensformen geben: „Aber ich glaube auch, dass es sehr schwierig wird, dass wir irgendwie mit denen Kontakt aufnehmen könnten.“
Damit spricht Raisig ein Kernthema ihres Romans an: Das Risiko, das mit jeder Kommunikation verbunden ist.
Grüße in 55 Sprachen an Bord
Diese Gefahr besteht aus ihrer Sicht auch für Autorinnen und Autoren. Das Risiko, beim Schreiben eines Buches unverstanden zu bleiben, schwinge immer mit, sagt Raisig. "Aber natürlich ist es auch gleichzeitig mit einer Hoffnung verbunden, im besten Fall eben doch verstanden zu werden."
In ihrem Romandebüt spielt die Raumsonde Voyager 1 eine bedeutende Rolle: Voyager 1 hat Bilder, Musik und Grüße in 55 Sprachen an Bord, um möglichen Außerirdischen vom Leben auf der Erde erzählen zu können.
„Es ist ein Kuss drauf. Es ist Musik auf dieser Platte, das zweite Brandenburgische Konzerte, Navajo-Gesänge, alles Mögliche", ergänzt Raisig. "Irgendwie macht es mich bis heute fertig, dass die da rumfliegt“, sagt die Autorin zu dem realen Vorbild, das 1977 ins All geschossen wurde.
Aber, so betont die Autorin, es sei eben auch eine sehr selektive Auswahl der menschlichen Existenz: „Da kommen keine Atombomben drin vor und keine Schützengräben und keine hungernden Kinder – das ist wirklich ein selektives Menschheitsgedächtnis."
Das selektive Gedächtnis des Menschen
Lücken gibt es auch im Leben der beiden menschlichen Hauptfiguren, einen Suizid in der Verwandschaft von Therese nach dem Krieg etwa. Therese, Anfang 20, weiß nicht recht, was mit ihrem Leben anzufangen ist und ist auf der Suche.
Sie trifft während eines Sprachkurses in St. Petersburg auf die Mittvierzigerin Lenka, die wiederum auf der Suche nach außerirdischem Leben ist. Gemeinsam fahren sie schließlich in ein argentinisches Dorf, in dem es schon mehrfach UFO-Sichtungen gegeben haben soll.
Dass es in dem Buch zwei Frauen sind, die einander finden, sei ihr wichtig gewesen, sagt Raisig. Diese Konstellation eröffne einen weiteren Möglichkeitsraum: So würden bestimmte Rollenmuster nicht schon mitschwingen, vielleicht seien auch bestimmte Bilder nicht gleich mit im Kopf.
Auffällig sind die Lücken im Austausch der beiden, über ihre Lebensgeschichten und auch über die Gefühle. Da zeigen sich Parallelen zum selektive Charakter des Menschheitsgedächtnisses der Voyager: An welchen Stellen lassen wir Lücken?
Es müsse ja keine böse Absicht sein, sondern könne auch Schutz für andere sein, sagt Raisig. Das sei unsere Deutungsmacht als Mensch.
Vertrauen in die Fakten und die Möglichkeiten
„Die beiden sind, wie Voyager, wahrscheinlich auch irgendwie fremd in der Welt unterwegs“, sagt Raisig über ihre Protagonistinnen. Während Lenka als Wissenschaftlerin zwar immer wieder fordere, den Fakten und damit den Möglichkeiten, die diese bereithalten, zu vertrauen, treffe es sie doch unvermutet, „dass sie vielleicht nicht das maximal Fremde, aber doch etwas sehr Fremdes in dieser jungen Frau findet.“
* Transparenzhinweis: Eva Raisig ist freie Mitarbeiterin des Deutschlandradios.
(mfu)