Eva Weissweiler: "Das Echo Deiner Frage: Dora und Walter Benjamin - Biographie einer Beziehung"
Hoffmann und Campe, Hamburg 2020
370 Seiten, 24 Euro
Keine Zweifel an Benjamins Werk, aber an seinem Verhalten
10:14 Minuten
Sie hat Walter Benjamin geheiratet, von Zeitgenossen wurde Dora Benjamin vielfach verunglimpft. Eva Weissweiler fand das ärgerlich und spürte der Beziehung nach. Ihr Fazit: Dora war eine eigenständige Frau, nach der Scheidung versuchte der Philosoph geradezu sie auszubeuten.
Frank Meyer: Walter Benjamin, das ist eine der ganz großen intellektuellen Figuren im 20. Jahrhundert: Ein Denker, ein Autor, über den unglaublich viel geschrieben wurde. Jetzt gibt es ein Buch über Dora und Walter Benjamin, die Biografie ihrer Beziehung. Die beiden waren 13 Jahre lang verheiratet und hatten einen Sohn zusammen. Eva Weissweiler hat dieses Buch geschrieben. Dora Benjamin wurde bisher sehr negativ dargestellt, so steht es im Klappentext zu Ihrem Buch, und auf diese negative Darstellung beziehen Sie sich auch immer wieder in Ihrem Buch. Was wurde denn Negatives bisher über Dora Benjamin geschrieben?
Weissweiler: Ja, es gab verschiedene Freunde von Walter Benjamin, an der Spitze Gershom Scholem und Herbert Blumenthal und Franz Sachs, die zum Teil auch zurückgewiesene Liebhaber von Dora waren und die sich später bemüßigt gefühlt haben, sie als "dumme Gans", "Alma Mahler en miniature" oder einfach als ein "wichtigtuerisches Großmaul" zu bezeichnen, das sich mit großer Finesse den intellektuellsten und interessantesten Mann aus dem damaligen Berliner Kreis ausgewählt hat. Das wurde aber überhaupt nicht belegt und vor allen Dingen wurde nicht auf ihr Werk eingegangen, und das fand ich doch relativ ärgerlich.
Meyer: Und das tun Sie jetzt, Sie gehen auf ihr Werk ein. Bei Ihnen lernt man überhaupt Dora Benjamin als sehr moderne Frau kennen, als eigenständige Autorin und Redakteurin. Können Sie uns vielleicht erzählen von einem Dora-Benjamin-Buch oder -Text, den Sie besonders interessant, beeindruckend fanden?
Weissweiler: Sie hat zwei Romane, zwei bisher nachgewiesene Romane, geschrieben: Der eine erschien 1930, direkt während des Scheidungsverfahrens, hieß "Gas gegen Gas", übrigens als Fortsetzungsroman in der Programmzeitschrift des damaligen Frankfurter Rundfunks, des Südwestdeutschen Rundfunks. Da geht es im Grunde um das Thema Giftgas, also um den Giftgaseinsatz in künftigen Kriegen und wie in Science-Fiction darum, wie sich ein Forscherteam zusammentut, um Gegengift gegen Giftgase zu entwickeln. Das ist sehr, sehr lesenswert, leider nie als gebundenes Buch, sondern nur in Fortsetzungen erschienen. Und dann gibt es noch unzählige Artikel in Zeitschriften wie der "Literarischen Welt", der "Dame", "Uhu", die zum Teil satirisch sind, zum Teil nachdenkliche Kurzgeschichten und zum Teil sehr, sehr kluge Literaturrezensionen, vor allen Dingen von amerikanischer und englischer Literatur.
Chemikerin mit satirischem Talent
Meyer: Dieses Beispiel ist ja schon sehr interessant, dieser Roman "Gas gegen Gas", also über ein Kriegsthema, eine Science-Fiction-Form, etwas, was man bei Frauen so oft nicht findet. Was hat sie sonst beschäftigt an Themen, was waren ihre intellektuellen Interessen?
Weissweiler: Sie war sehr vielseitig. Sie war ja einerseits dadurch, dass ihre Eltern beide Anglisten waren, sehr mit der anglo-amerikanischen Literatur vertraut; sie war an wissenschaftlichen Themen interessiert, sie war ja studierte Chemikerin, darum kannte sie sich auch so gut mit den Giftgasen aus; aber sie hatte auch eine ganz wunderbare Art von satirischem Humor, wahrscheinlich wirklich aus ihren Wiener Wurzeln gespeist, und hat doch einige Texte auch über die Stellung der Frau in der Weimarer Republik und die Ehe in der Weimarer Republik geschrieben, die so komisch sind, dass einem noch heute die Tränen kommen.
Meyer: Einen Text zitieren Sie auch ausgiebig, einen Text von ihr über einen Club der Ehebrecher, der ist in der Tat sehr komisch. Wenn wir jetzt auf die Ehe der beiden schauen, weil sie ja eben auch eine Biografie einer Beziehung geschrieben haben, wie hat denn diese Ehe funktioniert zwischen Dora und Walter Benjamin? Wer hat da welche Rollen gespielt?
Weissweiler: Es war von Anfang an eine sehr, sehr ungewöhnliche Ehe, in der sie nie die Rolle der normalen, dienenden Hausfrau hatte, im Gegenteil. Sie haben ja 1917 geheiratet und 1918 ist der Sohn geboren und von Anfang an hat sie als Übersetzerin und Mitarbeiterin von Presseagenturen Geld verdient, das Benjamin brauchte, um seine bahnbrechenden Schriften zu schreiben. 1925 hat sie sich aber doch aus dieser Rolle gelöst und ist als eigenständige Autorin und Intellektuelle aktiv geworden und das dann auch bis 1933 geblieben.
Eine intellektuelle Beziehung
Meyer: Haben die beiden sich denn auch gegenseitig intellektuell herausgefordert, sich zugehört, sich angeregt? Also war es auch auf der Ebene eine Beziehung?
Weissweiler: Das denke ich schon, aber darüber kann man natürlich nur spekulieren, wenn man nicht dabei war. Sie war eben studierte Chemikerin und Philosophin. Sie hatte in Wien und Berlin etliche Semester Philosophie studiert, von daher hatte sie durchaus das Rüstzeug, um Benjamin zu folgen und zu verstehen. Und Gershom Scholem zumindest berichtet von sehr, sehr intensiven Diskussionen über philosophische, aber auch über judaistische Themen, die zwischen den beiden oft bis tief in die Nacht stattfanden.
Meyer: Gershom Scholem war ein enger Freund der beiden. Jetzt haben Dora und Walter Benjamin offenbar eine sehr offene Beziehung geführt, jedenfalls nach der ersten Phase ihrer Ehe. War das für beide in Ordnung, dass der oder die andere noch eine Menge andere Liebesbeziehungen hatte?
Weissweiler: Ich denke, zunächst mal nicht. Sicherlich wäre vor allen Dingen sie diese Ehe nicht eingegangen, wenn sie nicht gedacht hätte, das ist jetzt der Einzige fürs Leben. Aber es zeigte sich dann doch schon relativ bald nach der Geburt des kleinen Stefan, dass es so nicht ging, dass er ein ganz anderes Verständnis von Ehe hatte als sie. Er war doch eigentlich ein prototypischer einzelgängerischer Intellektueller, der sehr gern reiste, alleine reiste und sehr viel Ruhe brauchte, sich durch Frau und Kind gestört fühlte, und so kam es halt, dass beide mit der Zeit ihre erotische Befriedigung in außerehelichen Abenteuern suchten. Und sie haben sich damit zunächst arrangiert, einverständlich, für eine ganze Reihe von Jahren, bis er eben die Scheidung einreichte.
Muse, Liebe und Scheidungsgrund Asja Lacis
Meyer: Was war der Grund dafür? Warum hat dieses Arrangement dann nicht mehr funktioniert?
Weissweiler: Weil er meinte, sich unsterblich verliebt zu haben in die lettische Schauspielerin und Regisseurin Asja Lacis, die er auf Capri 1924 kennengelernt hatte. Und sie hat ihn angeblich inspiriert, Vorbilder im dialektischen Materialismus zu suchen. Die hätte er allerdings auch schon vorher haben können, weil auch sein Bruder Georg Sozialist war und so weiter. Aber sie war eine ganz große Muse und Inspirationsquelle für ihn und er war ihr wirklich verfallen und wollte sie unbedingt heiraten und sich deshalb von Dora scheiden lassen.
Meyer: Das ist dann das Ende dieser Beziehung, dieser Ehe auf jeden Fall, im Jahr 1930. Ihr Buch beginnt mit einem sehr intensiven Prolog, da ist man im Jahr 1941, Dora Benjamin ist da im Exil, ihr Sohn ist als feindlicher Ausländer interniert worden in England und nach Australien gebracht worden, und dann erfährt sie, dass Walter Benjamin sich das Leben genommen hat auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Also da waren sie elf Jahre schon geschieden. Was hat denn damals der Tod ihres früheren Mannes bedeutet für Dora Benjamin?
Weissweiler: Der hat sie ganz furchtbar erschüttert. Im Grunde war die Liebe, jetzt vielleicht nicht im erotischen Sinne, aber im menschlichen Sinne zwischen den beiden nie erloschen. Und ihr Ziel, was sie auch schon zu Beginn der Ehe geäußert hat, ihr Ziel, ihn lebenstüchtig zu machen und ihn vom Selbstmord abzuhalten, daran hat sich nichts geändert, auch durch die Scheidung nicht. Und den Vorwurf, dass sie es letztendlich doch nicht verhindert hat durch noch mehr Zusammensein, noch mehr Zuwendung, den hat sie sich lebenslang gemacht.
Keine Zweifel an Walter Benjamins Werk
Meyer: Sie zeigen nun in Ihrem Buch sehr deutlich, was für eine starke und interessante und eigenständige Frau Dora Benjamin war, eben auch auf der Folie dieser negativen Darstellung von ihr, die es so lange Zeit gab. Jetzt ist aber der Effekt, zumindest bei mir als Leser, dass jetzt Walter Benjamin eigentlich sehr schlecht wegkommt: Der wirkt sehr selbstsüchtig in Ihrem Buch, sehr undankbar, sehr unsicher, und man versteht nach Ihrem Buch, das ja eben heißt "Dora und Walter Benjamin – Biografie einer Beziehung", man versteht eigentlich überhaupt nicht, warum Walter Benjamin so einen riesigen Einfluss hatte auf andere Autoren und Intellektuelle. Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein zu hoher Preis ist für Ihre gewollte Einseitigkeit.
Weissweiler: Das mag sein, und mit diesem Einwand habe ich auch ehrlich gesagt von vornherein gerechnet. Andererseits: Die Publikationen über Walter Benjamin, also nicht nur Biografien, sondern auch andere monografische Abhandlungen und Aufsätze, die gehen wirklich in die Zahl über 3000, und es gibt eine kritische Gesamtausgabe, die zurzeit neu herausgegeben wird.
Meyer: Aber mein Punkt ist nicht die Menge, mein Punkt ist die Frage, ob Sie eigentlich Walter Benjamin Gerechtigkeit haben widerfahren lassen oder ob Sie jetzt Ihrerseits ihm gegenüber ungerecht sind in Ihrer Darstellung.
Weissweiler: Ich denke, an dem Wert seines Werkes gibt es überhaupt keinen Zweifel, und die habe ich auch nicht geäußert, an seinen menschlichen Verhaltensweisen allerdings schon. Ich finde nicht, dass es in Ordnung war, wie er sich zum Beispiel seinem Sohn Stefan gegenüber verhalten hat und wie er auch zum Schluss versucht hat, Dora regelrecht auszubeuten, indem er ihr alles abnehmen wollte, alles Geld, das Sorgerecht für Stefan. Das finde ich persönlich nicht in Ordnung. Diese Verhaltensweise ändert aber nichts an meiner Wertschätzung seines Werkes.
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