Ich mache oft Witze darüber, dass der Feminismus lange Zeit das F-Wort der Evangelikalen war. Was sie nicht erkennen, ist, dass der Feminismus etwas sehr Christliches ist.
Evangelikale Feministinnen
Das Patriarchat ist nicht gottgegeben, sondern von Männern gemacht, betonen evangelikale Feministinnen wie Beth Allison Barr: "Der Feminismus ist etwas sehr Christliches." © unsplash / Engin Akyurt
"Im Himmel gibt es keine Hierarchie"
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Evangelikale: Viele verbinden damit nur Fundamentalisten, die Frauen als Gebärmaschinen sehen, gegen Abtreibung und Homo-Ehe sind. Doch es gibt auch evangelikale Feministinnen, die mit ihren Büchern ein Millionenpublikum erreichen.
Es klingt wie ein Widerspruch in sich: evangelikaler Feminismus. Die Mehrheit der größten Religionsgemeinschaft der USA ist der Ansicht, dass der Mann das Oberhaupt sei, öffentlich wie privat. Die Frau darf ihn als Hausfrau und Kinderbetreuerin ergänzen. Intellektuelle Kapazitäten werden ihr nur in beschränktem Maße zugestanden. Die Frau hat sich dem Mann anzupassen, ja zu unterwerfen.
Feminismus als Schimpfwort
In diesem Milieu sei Feminismus für viele Gläubige zu einem Schimpfwort verkommen, sagt die evangelikale Pastorenfrau, Autorin und Universitätsprofessorin Beth Allison Barr:
Unchristlich sei es dagegen, Frauen nicht dieselben Rechte und Chancen zuzugestehen wie Männern: “Denn der Feminismus ist ein Aufruf, dass alle Menschen gleichermaßen nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Und dass alle Menschen die gleichen Chancen verdienen und dasselbe gottgegebene Potenzial haben. Im Himmel gibt es keine Hierarchie.“
Das Patriarchat ist nicht gottgegeben – sondern männergemacht
Das Patriarchat (dagegen) sei keinesfalls gottgegeben, sondern ein historisches Konstrukt. Es ist menschengemacht, beziehungsweise: männergemacht. Diese These verficht Beth Allison Barr auch in ihrem Bestseller “The Making of Biblical Womanhood”, die Entstehung der biblischen Weiblichkeit. In der Bibel gebe es viele Stellen, in denen Frauen als den Männern mindestens ebenbürtig dargestellt sind. Doch diese Lesart sei verdrängt worden:
„Das Patriarchat zieht sich durch die ganze Bibel, aber es ist nicht die einzige Geschichte in der Bibel. Wir haben die gesamte Heilige Schrift durch die Linse eines winzigen Teils gelesen und alles andere, was sie über Frauen sagt, ignoriert. Anstatt die Bibel wörtlich zu interpretieren, haben die männlichen Religionsführer sie durch die Brille einer sehr speziellen Südstaatenkultur interpretiert, die sowohl im Rassismus als auch im Patriarchat verwurzelt ist.“
Führend in der Kunst der patriarchalen Auslegung der Heiligen Schrift ist der Council on Biblical Manhood and Womanhood – der Rat für biblische Männlichkeit und Weiblichkeit. So nennt sich eine 1987 gegründete evangelikale Organisation, die über die US-Grenzen hinaus einflussreich ist.
Schon im 19. Jahrhundert gab es evangelikale Feministinnen
Sie hat den sogenannten „Komplementarismus“ entwickelt. Diese Lehre besagt, dass Mann und Frau sich zu ergänzen haben. Ein Euphemismus, denn: Frauen ist es nicht erlaubt, Männern Religionsunterricht zu erteilen oder gar Pastorinnen zu werden. Viele Frauen haben unter dem pseudo-christlichen Druck beruflich zurückgesteckt, einige haben in missbräuchlichen Ehen ausgeharrt, sagt die Autorin und US-Historikerin Kristin Kobes du Mez:
„Und jetzt blicken diese Frauen auf Ehen zurück, die sie so sehr zum Funktionieren zu bringen versucht haben. Sie blicken zurück auf all diese verpassten Chancen. So viele evangelikale Frauen haben mir davon erzählt. Sie haben ihren Glauben nicht verworfen, aber sie schauen zurück und sagen: Ich wünschte, ich hätte anders gehandelt. Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass man eine treue Nachfolgerin Jesu sein kann und nicht all diesen von Menschen gemachten Regeln folgen muss."
Kobes du Mez hat sich auf Genderfragen in den evangelikalen Kirchen spezialisiert. Indem ihre Autoren-Kollegin Beth Allison Barr die Bibel historisch-kritisch und feministisch lese, nehme sie etwas wieder auf, was es schon im 19. Jahrhundert gab, sagt sie:
“Als Historikerin kann ich sagen, dass es eine lange Geschichte des evangelikalen Feminismus gibt, die mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Evangelikale Frauen lasen die Heilige Schrift und sahen darin nicht nur Beweise für die Rechte der Frauen, sondern für deren Ermächtigung; dafür, dass Frauen sprechen und predigen können, und dass Frauen Gottes Reich auf Erden voranbringen können.“
Feminismus als Bedrohung
In ihren Forschungen zeichnet Kristin Kobes du Mez die Wellenbewegungen des evangelikalen Feminismus nach: Die erste Flut flaute in den 1920er-Jahren ab; Feminismus war nun eher säkularen Kreisen vorbehalten. In den 60ern kam der nächste, auch die evangelikalen Frauen erfassende Aufschwung, der ab den 70ern wieder abebbte. In den folgenden Jahrzehnten hätten Männer diese Frauenstimmen zunehmend zum Verstummen gebracht, sagt Kobes du Mez:
Seit den 1970er-Jahren werden Feministinnen ganz bewusst verdrängt. Und so ist es in den letzten Jahrzehnten schwieriger geworden, evangelikal und feministisch zu sein. Der Feminismus wurde von den Konservativen als Bedrohung für den Glauben dargestellt, als gottfeindlich, als familienfeindlich, als Teufelswerk. Das hat sich in konservativen Kreisen über Generationen hinweg gehalten.
Kristin Kobes du Mez beobachtet seit wenigen Jahren eine Rückbesinnung evangelikaler Frauen auf die Errungenschaften ihrer Vorkämpferinnen. Beth Allison Barrs Buch von 2020 ist dafür ein gutes Beispiel: Es hat sich millionenfach verkauft und ist nun in der fünften Auflage erhältlich. Der evangelikale Feminismus ist zurück. Und dank der sozialen Medien dringt er weiter vor denn je:
"Eine Sache, die heute wirklich anders ist, ist die Präsenz sozialer Medien. So haben Frauen in konservativen Räumen und Religionsgemeinschaften Zugang zu den Arbeiten von evangelikalen Feministinnen, Theologinnen und Historikerinnen, die über den evangelikalen Feminismus schreiben. Es ist heute viel schwieriger, diese Lehren von konservativen Kreisen fernzuhalten, und ich denke, das hat die Dynamik in den letzten paar Jahren wesentlich verändert."
Kristin Kobes du Mez beobachtet die evangelikale Bewegung aus einer gewissen Distanz. In ihrem Buch “Jesus and John Wayne” kritisiert sie den toxischen Männlichkeitskult der Evangelikalen, der in ihrer Verehrung Donald Trumps kulminierte. Trumps Sexismus, von vielen Glaubensgenossen akzeptiert, war wiederum ein Weckruf für viele evangelikale Frauen.
Die Abwertung von Frauen befördert Gewalt
Beth Allison Barr ist seit über 25 Jahren mit einem evangelikalen Pastor verheiratet und in einer Baptistengemeinde aufgewachsen. Mit ihrem Buch spricht sie also auch zu ihresgleichen. Sie vermischt das Persönliche mit dem Akademischen. Barr erzählt, wie ihr Mann von der Kirche entlassen wurde, als er sich für Frauen als Lehrende einsetzte. Und sie berichtet, wie sie als junge Frau von ihrem ersten Freund terrorisiert wurde. In den letzten Jahren wurden auch in den evangelikalen Kirchen einige Fälle von sexuellem Missbrauch aufgedeckt.
Denn am Ende führe die Herabsetzung von Frauen auch zur Misshandlung von Frauen, sagt sie: "Ich verstehe nicht, wie diese Kirchen nicht verstehen können, wie sehr das die Frauen entmachtet und wie sehr das die Tür für Missbrauch öffnet. Der Komplementarismus schafft ein System, in dem Missbrauch wahrscheinlicher ist und weniger wahrscheinlich entdeckt und gestoppt wird. Wenn man lehrt, dass Frauen weniger wert sind als Männer, dann behandelt man Frauen auch entsprechend schlechter."