Evangelische Kirche

Disziplin und Demut

Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), kurz vor der Erklärung seines Rücktritts
Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), kurz vor der Erklärung seines Rücktritts © picture alliance / dpa
Von Philipp Gessler |
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, hat seinen Rücktritt angekündigt. Seine Frau ist schwer erkrankt, er will für sie da sein. Ein Rückblick auf die Verdienste des Kirchenmannes.
Nikolaus Schneider: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Vormittag war auch ein Beispiel protestantischer Arbeitsethik: Wir haben uns keine Pause gegönnt, es ging in einem durch – und es wurde Ihnen zugemutet, viel zu hören, selber mitzudenken, ohne die Chance zu haben, sich so einzubringen, wie man es gerne gemacht hätte. Das heißt, es ist auch eine Übung gewesen in Disziplin und Demut. Herzlichen Dank, dass Sie das so mitgemacht haben."
So sprach Nikolaus Schneider Mitte Oktober vergangenen Jahres im Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt in Berlin – und in diesen Worten zum Ende einer anstrengenden theologischen Tagung war der ganze Nikolaus Schneider, der ganze Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, zu finden, wie in einem Brennglas:
Der Fleiß der protestantischen Ethik, die ihm in seinem Amt über Jahre eigen war, die Disziplin und die Demut, die er sich selbst auferlegt hat – und die Mahnung zum Selber-Mitdenken in der Kirche, die diesen Kirchenmann ausmacht.
Demokratisch geprägter Führungsstil
Nikolaus Schneider, 66 Jahre alt, hat seinen Rücktritt für den 10. November angekündigt, ein Jahr früher als vorgesehen. Der Grund: Die Krebserkrankung seiner Frau Anne, ihr will er beistehen. Schneider hat seine Kirche – mit der begrenzten Machtbefugnis, die mit dem Amt des EKD-Ratsvorsitzenden verbunden ist – gut geführt.
Dabei pflegte er einen diskursiven, demokratisch geprägten Führungsstil: Orientierung geben: Ja, aber nichts von oben herab dekretieren. Genau so beschrieb er es auch im Französischen Dom:
"Ich denke, das ist auch deutlich geworden: Wenn wir in unserer Kirche von Orientierung reden, dann heißt das nicht: Die einen sagen, wie es ist, die anderen bedanken sich dafür – und leben es so."
Nikolaus Schneider trat in große Schuhe, als er 2010 überraschend zunächst kommissarisch, dann ganz offiziell nach einer Wahl im Herbst durch die Synode das Amt des EKD-Ratsvorsitzenden übernahm.
Die charismatische Margot Käßmann war seine Vorgängerin – sie trat zurück wegen einer Alkoholfahrt. Mit ihrem Charisma und ihrer Medienpräsenz konnte er nicht mithalten. Das Charisma, das Nikolaus Schneider gleichwohl durchaus hat, offenbart sich eher im persönlichen Gespräch: Man hört ihm gern zu – und er kann gut zuhören.
Tiefes Gottvertrauen
Die politisch-theologische Brillanz seines Vorvorgängers Wolfgang Huber zeigte er in seiner Amtszeit ebenfalls nicht – aber eine Herzlichkeit und Menschlichkeit, die viele Herzen aufschloss. Schneider hat nach den turbulenten Jahren unter Wolfgang Huber und Margot Käßmann seiner Kirche wieder etwas Ruhe gegeben. Und es sagt alles über diesen warmen Menschen Schneider, dass ihm der Beistand für seine Frau nun wichtiger ist als das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit - oder ein Amt, dem er ohne Eitelkeit gedient hat.
Meike, eine Tochter von Anne und Nikolaus Schneider, ist 2005 an Leukämie gestorben – der Ratsvorsitzende und seine Frau haben darüber ein zu Herzen gehendes Buch geschrieben. Darin scheint auf, was seine Amtszeit insgesamt geprägt hat: keine wissenschaftlich brillanten theologischen Debatten, sondern ein tiefes, gleichwohl nicht nach außen getragenes Gottvertrauen, das Nikolaus Schneider leitet - und mit der er seine Kirche geleitet hat.
Oder, wie er es selbst gesagt hat:
"Für alle diese Debatten und für qualifizierte theologische Debatten gilt wirklich, dass wir irgendwann dessen gewiss sind, was uns trägt. Und das ist noch was anderes und mehr als alleine eine luzide und gute theologische Argumentation, nämlich doch auch die Gewissheit, von Gottes Geist geleitet zu sein und dass er sich als wahr und mächtig erweist in dem, was wir diskutieren, und in dem, was wir persönlich glauben. Das wäre natürlich ein großes Glück, wenn Gottes Geist uns so leiten wird, dass wir doch an diesen Punkt auch kommen. Das kann man nicht machen. Aber man kann darum beten, dass uns dies geschenkt wird."