- Worüber wurde auf dem Kirchentag gestritten?
- Was bedeutet das Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“?
- Wer kommt zum Kirchentag?
- Wer bezahlt den Kirchentag?
- Wie oft findet der Kirchentag statt?
- Wie entstand der Kirchentag?
- Was hat der Evangelische Kirchentag mit der EKD zu tun?
- Wie wirken sich die hohen Kirchenaustrittszahlen auf den Kirchentag aus?
Kirchentag 2023 in Nürnberg
Markus Söder (l-r, CSU), Ministerpräsident von Bayern, Marcus König (CSU), Nürnberger Oberbürgermeister, Kristin Jahn, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, und Thomas de Maizière, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags, stehen vor der Auftakt-Pressekonferenz zum 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag neben dem offiziellen Plakat des Kirchentags. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Gemeinschaftserlebnis mit Politprominenz
05:28 Minuten
Vom 7. bis 11. Juni 2023 war Evangelischer Kirchentag in Nürnberg. Dabei wurde über Glaubensfragen und über andere kontroverse gesellschaftliche Themen debattiert. Gestritten wurde auch über die Aktivisten der "Letzten Generation".
Über 100.000 Menschen haben die Veranstaltungen des Kirchentages besucht. Am 11. Juni war der Abschlussgottesdienst und die Veranstalter haben eine positive Bilanz gezogen. "Die Stimmung war gelöst, die Herzen offen und der Verstand klar", resümierte Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere bei der anschließenden Pressekonferenz im Nürnberger Rathaus.
Rund 2000 Veranstaltungen waren im Programm. Der Kirchentag hatte sich dieses Mal Nachhaltigkeit und Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben. Das galt sowohl für das Essen als auch für die Programmpunkte.
Welche Themen sorgten auf dem Kirchentag für Debatten?
Wie immer hat der Kirchentag politische, gesellschaftliche und religiöse Themen behandelt. 2023 Jahr stand neben Klimawandel und Umweltschutz der Umgang mit der kolonialen Vergangenheit und mit Rassismus auf dem Programm.
Auch wie sich Glauben und Kirche weiterentwickeln, hat die Kirchentagsbesucherinnen und -besucher beschäftigt. Sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche war kein großes, aber doch ein wichtiges Thema in Nürnberg.
Manche Podien waren so besetzt, dass kontroverse Diskussionen zu erwarten waren. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Klimaaktivistin Carla Hinrichs sprachen über „Verantwortung und Schuld in der Klimakrise“. Hinrichs betonte, dass der große Wandel meist durch Menschen gekommen sei, die gestört hätten. Habeck hielt dem entgegen, dass der Protest der "Letzten Generation" eine Mehrheit für den Klimaschutz verhindere, weil er die Menschen wegtreibe.
Der Umgang mit der "Letzten Generation" ist ein großer Streitpunkt in der Evangelischen Kirche. Kirchentagspräsident de Maizière bezeichnet ihre Aktionen als „nicht nur rechtswidrig, sondern auch schädlich“. Die EKD-Synode, also das Kirchenparlament, hat sich im vergangenen November dagegen mit den Klima-Aktivisten solidarisiert. Und die Pressekonferenz der "Letzen Generation" nach der bundesweiten Razzia gegen sie wegen angeblicher Bildung einer kriminellen Vereinigung fand in der Reformationskirche in Berlin-Moabit statt.
Auf dem Abschlussgottesdienst gab der Pastor Quinton Ceasar ein klares Statement für die Klimaaktivisten und andere soziale Bewegungen ab: "Jetzt ist die Zeit, zu sagen, wir sind alle die Letzte Generation. Jetzt ist die Zeit, zu sagen, black lives always matter. Jetzt ist die Zeit, zu sagen, Gott ist queer." Sein Statement löste Applaus und Jubelrufe im Publikum aus.
Auch bei der Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine gab es Dissens. Früher herrschte auf Kirchentagen eine pazifistische Grundhaltung, in diesem Jahr war der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche, Friedrich Kramer, in der Minderheit mit seiner Forderung nach einem Waffenstillstand.
Unter den Teilnehmenden gab es durchaus unterschiedliche Vorstellungen von Kirche, ihren Aufgaben und ihrer Offenheit – dass auch ein Netzwerk „Polyamore Menschen und Kirche“ in Nürnberg auftrat, hätte konservative Gläubige schockieren können. Zugleich konnte dem Kirchentag nicht daran gelegen sein, dass sich seine Besucherinnen und Besucher in verschiedene Lager aufspalten. Kirchenleute sind dafür bekannt, harmoniebedürftig zu sein. Oder, wie es in einem Kirchentagsschlager heißt: „Der Himmel geht über allen auf.“
Was bedeutet das Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“?
Mit diesem Bibelvers beginnt Jesus dem Markus-Evangelium zufolge zu predigen. In der Kirchentagsübersetzung lautete die Passage: "Jetzt ist die Zeit: Gottes gerechte Welt ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!"
Es war sicherlich kein Zufall, dass Gott und die christliche Botschaft im Kirchentagsmotto erst einmal nicht vorgekommen sind. Wenn der kurze Satz allein steht, lässt sich viel hineininterpretieren – und im Kirchentagsprogramm gab es zahllose Veranstaltungstitel, die damit gespielt haben.
Wer kommt zum Kirchentag?
Neben den ungefähr 100.000 Gläubigen kam viel Politprominenz nach Nürnberg, wie Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck, CDU-Chef Friedrich Merz sowie die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, Winfried Kretschmann und Markus Söder. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahren war im Jahr 2023 kein AfD-Politiker eingeladen worden.
Präsident dieses Kirchentages war der frühere Innen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU). "Wir wollen Meinungsblasen aufstechen und den Kirchentag öffnen“, sagte er.
Wer bezahlt den Kirchentag?
Der Kirchentag finanzierte sich zum Teil über öffentliche Gelder, im Jahr 2023 kamen 5,5 Millionen Euro vom bayerischen Kultusministerium und drei Millionen Euro von der Stadt Nürnberg. Obendrauf gab es noch Sachleistungen der Stadt in Höhe von einer Million Euro, zum Beispiel, weil Veranstaltungsorte zur Verfügung gestellt worden waren.
Dazu kamen Mittel der bayerischen Landeskirche, und der Kirchentag selbst generierte auch eigene Einnahmen aus Ticketverkäufen, Spenden, Sponsoring und dem Verkauf von Fanartikeln wie dem Kirchentagsschal mit aufgedrucktem Motto.
Die öffentlichen Zuschüsse für Kirchentage und Katholikentage werden regelmäßig kritisiert. Für den kommenden Kirchentag im Jahr 2027 plant der Düsseldorfer Stadtrat dennoch eine Bezuschussung in Höhe von 5,8 Millionen Euro; ein Bürgerbegehren dagegen war im April gescheitert.
Viel Aufwand und viel Aufmerksamkeit für die gastgebende Stadt
Für die gastgebende Stadt bedeutete der Evangelische Kirchentag einerseits viel Aufwand und hohe Kosten, andererseits aber auch viel Aufmerksamkeit. Nach Darstellung des Kirchentages entdeckten viele Teilnehmende die Region als Reiseziel, die lokale Tourismusbranche profitierte.
Für die Zeit des Kirchentages herrschte in der Stadt eine Art Ausnahmezustand. Nicht nur das Messezentrum war belegt, auch viele öffentliche Plätze wurden für Gottesdienste, Veranstaltungen oder den Eröffnungsabend genutzt.
Fünf Tage lang waren viele Menschen mit farbigen Kirchentagsschals in der Stadt unterwegs, Schulen wurden zu Gemeinschaftsquartieren umfunktioniert, Privatleute nahmen Gäste auf und in U-Bahnen wurden bisweilen fromme Lieder angestimmt.
Wie oft findet der Kirchentag statt?
Der Evangelische Kirchentag findet seit 1957 alle zwei Jahre statt, im Wechsel mit dem (etwas anders organisierten) Katholikentag. Aufgrund der Corona-Pandemie war der letzte Kirchentag in Präsenz 2019 in Dortmund, 2021 wurde der 3. Ökumenische Kirchentag in Frankfurt am Main als hybride Veranstaltung vor Ort und digital abgehalten. 2025 soll der Evangelische Kirchentag in Hannover stattfinden, 2027 in Düsseldorf.
Wie entstand der Kirchentag?
Schon 1919 gab es in Dresden einen Deutschen Evangelischen Kirchentag – hier wollte sich die evangelische Kirche in der Weimarer Republik neu organisieren. Damals dominierten allerdings national-konservative Stimmen.
Es folgten vier weitere evangelische Kirchentage zu Zeiten der Weimarer Republik. Doch der Deutsche Evangelische Kirchentag heute sieht seinen Anfang im Jahr 1949 begründet. Damals wurde eine evangelische Laienbewegung als Reaktion auf den fehlenden Widerstand der Amtskirche gegen den Nationalsozialismus gegründet, als „Schnittstelle zwischen Kirche und Welt“.
Was hat der Evangelische Kirchentag mit der EKD zu tun?
Der Evangelische Kirchentag ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Fulda. Seine Generalsekretärin ist seit 2022 die Pfarrerin und Literaturwissenschaftlerin Kristin Jahn. Hochrangige Vertreter und Vertreterinnen der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) sind immer beim Kirchentag dabei und sitzen zum Teil auch im Präsidium. Zugleich legt der Kirchentag aber Wert darauf, sich als Laienbewegung von der Amtskirche abzusetzen.
Wie wirken sich die hohen Kirchenaustrittszahlen auf den Kirchentag aus?
Lange Zeit bewegte sich die Zahl der Dauerteilnehmenden um die 100.000, mit Ausreißern nach oben beim 1. Ökumenischen Kirchentag und beim Kirchentag zum Reformationsjubiläum 2017. Zum Kirchentag in Dortmund kamen dann nur noch rund 80.000 Dauerteilnehmende.
Nach dem Kirchentag in Nürnberg meldeten die Veranstalter 70.000 Menschen bei den 2000 Programmpunkten. Die öffentlichen Angebote - wie etwa der Abend der Begegnung - hätten sogar 130.000 Interessierte in die Innenstadt gelockt.
Inhaltlich will der Kirchentag auch auf Menschen ohne Kirchenbindung zugehen. Es gehe um die Zukunft des Glaubens, man wolle sich aber "nicht an selbstverliebten Debatten über Schrumpfungsprozesse beteiligen", so Präsident de Maizière. Die gastgebende Evangelisch-lutherische Landeskirche Bayerns hatte 2022 negative Rekordzahlen zu vermelden - über 48.000 Menschen traten aus.