Für Kirchenasyl vor Gericht
11:03 Minuten
Mehrere tausend Euro Strafe soll der Pfarrer Ulrich Gampert aus dem Allgäu zahlen, dafür dass er einem afghanischen Flüchtling Kirchenasyl gewährt hat. Diese Art von Asyl ist bislang eine rechtliche Grauzone – Gampert will eine Klärung vor Gericht.
"Und hier war sein Zimmer…"
Marlies Gampert öffnet die Tür zu einem lichtdurchfluteten Raum im Gemeindehaus von Immenstadt im Allgäu.
"Ausgeräumt, geputzt, jetzt müssen wir noch die letzten Möbel wegräumen, was nicht ins Gemeindehaus gehört…"
Nur ein Kleiderschrank und eine Küchenzeile stehen darin.
"Also für mich, ich nenne das das Asylzimmer. Hier an dem Schild stand dann vorher Mutter-Kind-Zimmer vor vier Jahren."
Das evangelische Pfarrerspaar Gampert, Marlies und Ulrich, haben in den letzten Jahren drei Menschen in diesem Zimmer Kirchenasyl gewährt. Das war immer dann, wenn die Abschiebung kurz bevor stand und die Gamperts und der Kirchenvorstand überzeugt waren: Hier liegt ein Härtefall vor, dieser Mensch braucht dringend Hilfe.
"Als wir das zweite Mal das Kirchenasyl durchgeführt haben, hat der Staatsanwalt schon Ermittlungen aufgenommen und hat die Ermittlungen aber eingestellt, weil es als zu geringfügig erachtet wurde. Also ich wusste, da kann was kommen."
Und dann, diesen Juli kam wirklich Post von der Staatsanwaltschaft Kempten. Ein Strafbefehl gegen Ulrich Gampert, denn er steht der Pfarrgemeinde in Immenstadt im Allgäu vor. Die Gamperts, beide Mitte 60, hatten schon vorher mitbekommen,
"... dass zwischen Kirchenleitung und Staat dauernd Gespräche geführt werden und da Andeutungen waren, dass es mal zu staatsanwaltlichen Ermittlungen kommen wird gegen irgendeinen Pfarrer, irgendwo in Bayern. Und irgendwo in Bayern, irgendein Pfarrer: Das bin jetzt ich. Es hätte auch jemand anders sein können, weil man das mal von beiden Seiten geklärt haben will: Ist Kirchenasyl jetzt eine strafbare Handlung oder nicht?"
Die Staatsanwaltschaft sieht es als Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt an. 40 Tagessätze à 100 Euro soll Ulrich Gampert nun zahlen.
Kirchenasyl: politisch und rechtlich eine Grauzone
Im Frühjahr 2018 nahmen die Gamperts den Afghanen Reza Jafari auf. Gemeinsam mit dem Kirchenvorstand schauen sie sich Jafaris Fall genau an. Der heute 23-Jährige sollte schon zwei Mal nach Afghanistan abgeschoben werden. Dort ist er geboren. Aufgewachsen ist Reza Jafari im Iran, dort lebt auch seine Familie. Sie gehört zur Minderheit der Hazara, die in Afghanistan immer wieder diskriminiert wird.
Eine Gutachterin stuft Jafari als selbstmordgefährdet ein. Er habe dringend einen sicheren Ort gebraucht, erinnert sich Marlies Gampert.
"Das andere ist, dass er sehr gut Deutsch sprach, den Mittelschul-Abschluss hier gemacht hat, eine deutsche Verlobte hatte und sich einfach super integriert hatte und da haben wir gesagt, das ist wirklich auch ein Grund, warum man sagt, er hat Chancen hier."
Die Gemeinde entscheidet sich in diesem Fall für das Kirchenasyl.
"Kirchenasyl" bedeute nicht, illegal Unterschlupf zu gewähren, sagt Marlies Gampert.
"Das klingt nach Verstecken und Kirchenasyl bedeutet, dass ab dem ersten Tag alle Stellen informiert werden, BAMF, Ausländeramt, Polizei, alle zuständigen Ämter sind informiert bei uns im Pfarrhaus hält sich diese Person auf."
Im Fall von Reza Jafari sollten es nur drei, vier Wochen sein. - Bis sie das Kirchenasyl beenden konnten vergingen 14 Monate. Reza Jafari:
"Ich will nie wieder so leben. Ich meine das nicht böse gegenüber jemandem. Die waren so lieb zu mir, Herr Gampert und Frau Gampert, diese Familie, die Leute von der Kirche, die waren so mega-lieb zu mir. Wenn man 24 Stunden in einem Zimmer lebt und schläft - und der nächste Tag genauso aussieht, und der nächste Tag auch und der darauf auch, wird man irgendwann schon verrückt. Ich rede immer noch manchmal mit mir, wenn ich alleine irgendwo rumlaufe. Das hat mich krank gemacht."
In dieser Zeit erledigt Jafari kleine Aufgaben - putzen, Fahrräder reparieren, Briefe eintüten. Er zeichnet viel. Fast jeden Tag besucht ihn seine Freundin Saskia, gemeinsam hätten sie die Zeit überstanden, sagt Reza Jafari.
Auch er hat einen Strafbefehl bekommen: 90 Tagessätze à zehn Euro wegen illegalen Aufenthalts.
Der deutsche Staat respektiert das Kirchenasyl. Trotzdem ist es - politisch wie rechtlich gesehen – eine Grauzone.
Im Februar 2015 haben sich die Regeln geändert. Seitdem müssen Gemeinden ein Härtefall-Dossier beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorlegen. Das gilt bei sogenannten Dublin-Fällen - also bei Asylbewerbern, die in das EU-Land abgeschoben werden sollen, in das sie zuerst gereist sind - zum Beispiel Griechenland oder Italien. Der Großteil der Geflüchteten sind Dublin-Fälle. Anders als Reza Jafari, er reiste direkt nach Deutschland ein. Das BAMF prüft noch einmal die Härtefall-Dossiers der Kirchen, erklärt Jochen Hövekenmeier vom BAMF.
"Man muss sich das so vorstellen, jeder Fall wird dann noch mal individuell geprüft, das heißt, es wird die ganze Akte noch mal angeschaut und das ist mal nicht eben in einer halben Stunde gegessen. Es wird dann auch ein neuer Bescheid erstellt auf Grundlage dieses Dossiers. Manchmal passiert es halt, dass wir solche Härtefälle übersehen. Manchmal funktioniert es auch, manchmal erkennen wir aufgrund dieser Dossiers die Härten und dann, muss man ganz ehrlich sagen, lohnt sich auch dieser Aufwand."
Allerdings immer seltener. Nur noch 1,9 Prozent der eingereichten Dossiers wurden in diesem Jahr als Härtefälle vom BAMF anerkannt. Im letzten Jahr waren es noch fast 13 Prozent. Hövekenmeier vom BAMF erklärt den Rückgang so: Man habe dazugelernt, die Qualität des Personals verbessert und erkenne Härtefälle nun gleich selbst.
"Ermessensspielräume werden immer enger"
2018 hat die Innenministerkonferenz noch eine Regel geändert. Bisher hatte das BAMF sechs Monate Zeit, einen Asylbewerber im Dublin-Verfahren in ein anderes europäisches Land abzuschieben. Diese sogenannte Überstellungsfrist wurde auf 18 Monate verlängert, und dem BAMF so mehr Zeit verschafft. Jochen Hövekenmeier:
"Und dass hat zu Folge, dass es für die Kirchengemeinden schwieriger wird. Eine Zeit davon ist ja schon vergangen, bis der Bescheid ergangen ist und Ähnliches, aber 18 Monate jemanden im Asyl zu halten, notfalls, und einfach diese Zeit abzusitzen, bis wir selbst in dieses Asylverfahren eintreten müssen, das wird schon schwieriger. Das heißt, viele Kirchengemeinden überlegen sicher auch von sich aus, lohnt es sich dann hier in das Kirchenasyl zu gehen, so lange zu kämpfen und diese lange Zeit abzusitzen. Und das ist ein Effekt, den wir sehen: Die Zahlen sind zurückgegangen."
Laut Bundesinnenministerium waren 2018 fast 2300 Personen in Deutschland im Kirchenasyl. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind es 530. Die strengeren Regeln und die Arbeit der Staatsanwaltschaften in den Bundesländern zeigen ihre Wirkung.
Anna Frölich, Fachanwältin für Migrationsrecht, aus München beobachtet die Schwierigkeiten, die das Kirchenasyl mit sich bringt, schon länger:
"Es wird sehr, sehr bürokratisch gearbeitet und die Ermessensspielräume, die eine Behörde hat, werden immer enger. Also das Ermessen wird nicht mehr im Vollen ausgeschöpft und es wird ganz rigide durchgegriffen."
Das Innenministerium kritisiert die Gemeinden. Die würden oft das Kirchenasyl nicht beenden, nachdem ein Dossier abgelehnt würde. Dann werden die Länder zuständig und die Staatsanwaltschaften hellhörig.
Pfarrer Gampert mag der erste in Bayern sein, aber nicht in Deutschland. In Rheinland-Pfalz mussten Pfarrer auch schon Strafe zahlen wegen Kirchenasyl.
"Diese Strafverfahren, die durch die Medien gegangen sind, schrecken natürlich viele ab, jemanden ins Krichenasyl zu nehmen, und das hat dazu geführt, dass es indirekt zur Aushebelung beziehungsweise zur Verringerung der Kirchenasyl-Praxis gekommen ist."
Den Menschen über Risiko eines Strafbefehls stellen
Für Ulrich Gampert und Reza Jafari wird sich im September vor Gericht entscheiden, ob sie die Strafe zahlen müssen. Reza Jafari:
"Momentan versuchen wir, für diese Strafe eine Lösung zu finden, das macht mich richtig fertig und dass ist irgendwie kompliziert. Wir wissen es noch nicht genau, aber es könnte sein, dass die mich dann Straftäter nennen - und wenn ich diese Strafe und diesen Namen bekomme, dann könnten die mich einfacher zurückschicken. Ciao Ciao, Deutschland."
Doch erst einmal gilt für sechs Monate ein Abschiebestopp für Reza - jetzt darf er sich nur in Bayern aufhalten. Saskia und er wollen heiraten, so könnte er bleiben. Sie nutzen die Zeit, um alle nötigen Papiere aus Afghanistan zu besorgen.
Der Abschiebestopp war der Erfolg einer Petition, erst dann beendeten die Gamperts das Kirchenasyl. Marlies Gampert sammelte 64.000* Unterschriften für eine Aufenthalts- und Ausbildungserlaubnis. Letzteres ließ der Bayerische Landtag nicht zu.
Und so wartet Reza Jafari, eigentlich hatte er ab dem 1. August einen Ausbildungsplatz zum Einzelhandelskaufmann**.
Mit Reza sind die Gamperts noch in engem Kontakt, eine Foto-Collage mit den Worten "Danke für Alles" erinnert im Gemeindehaus an ihn. Und wenn heute wieder jemand in Not wäre, die Hilfe der Gamperts bräuchte?
"Natürlich würde ich versuchen, nochmal vorsichtiger zu sein und Kollegen anzurufen, geht’s nicht bei euch, dass ihr wen aufnehmt. Wenn das nicht der Fall wäre und es landet wieder bei uns und es ist die Gefährdung eines Lebens und dann hoffe ich, dass ich und der Kirchenvorstand bereit sind zu sagen, dass kann wieder strafwürdig sein, aber für einen Menschen gehen wir dieses Risiko ein."
*In eine frühere Version dieses Textes war versehentlich eine nicht korrekte Zahl der Unterschriften, die Marlies Gampert für eine Aufenthalts- und Ausbildungserlaubnis für Reza Jafari gesammelt hat, geraten.
** In einer früheren Version dieses Textes stand eine nicht korrekte Angabe zum Ausbildungsplatz von Reza Jafari.