Evelyn Richter in Düsseldorf

Leise Fotos aus einer untergegangenen Welt

05:31 Minuten
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Evelyn Richter wollte ihre Wirklichkeit abbilden und nicht die von der DDR-Staatsführung gewünschte. © Deutschlandradio
Von Nadja Bascheck · 21.09.2022
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Die Fotografin Evelyn Richter hat in ruhigen Schwarz-Weiß-Fotos den Alltag in der DDR eingefangen. Im Westen ist sie fast unbekannt. Das will eine Ausstellung in Düsseldorf ändern und passt sich auf bemerkenswerte Weise an die gezeigten Bilder an.

Die Ausstellung im Kunstpalast beginnt ziemlich klassisch: mit den Anfängen. Also mit den ersten Fotografien von Evelyn Richter. „Weil wir, glaube ich, davon ausgehen können, dass hier im Rheinland vielen Leuten ihr Name gar kein Begriff ist, und das ist was, was wir unbedingt ändern wollen“, sagt Linda Conze, die die Ausstellung kuratiert hat. Und so ist es so simpel wie logisch, dass die Schau schlicht den Namen der Künstlerin trägt: „Evelyn Richter“.
1930 in Bautzen geboren, wächst Richter zu Kriegszeiten auf und lernt danach beim Dresdner Porträtfotografen Pan Walther ihr Handwerk. Doch schon bald entwickelt sie ihren eigenen Stil.
„Sie will mehr als zeigen, wie die Dinge gewesen sind, sondern sie will sie kommentieren, sie will sie reflektieren, und das macht sie dann und entwickelt eine Bildsprache“, sagt Conze.
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Der Mensch steht im Mittelpunkt - oder sitzt

Auf Evelyn Richters Schwarzweißfotos stehen Menschen im Mittelpunkt. Mal auf der Straße, mal in der Tram, mal im Museum. Manch eine schaut offen und direkt in die Kamera, ein anderer scheint gar nicht zu bemerken, dass er fotografiert wird.
Über Jahre hat Richter Fotos in Straßenbahnen aufgenommen: Ein Paar hält sich im Arm, die Blicke gehen melancholisch ins Leere; ein Mädchen ist in ein Buch versunken. Dieser Serie widmet die Düsseldorfer Ausstellung einen Raum und jeder Themenblock hat in der Schau einen eigenen. Das ist zwar etwas konventionell, aber auch sinnvoll.
Wie der Raum „Sowjetunion“ mit Bildern einer prägenden Reise in den 1950ern, erzählt Linda Conze: „Bei ihrer Reise geht ihre Mittelformatkamera kaputt – und aus dieser Not macht sie eine Tugend und wechselt zum Kleinbild. Auf einmal kann sie total anders fotografieren: viel spontaner, viel flexibler, kann Menschen wirklich im Alltag begleiten und kommt viel näher.
Aber den sozialistischen Alltag zu fotografieren, ist nicht immer leicht. Evelyn Richter wird der Leipziger Kunsthochschule HGB verwiesen, weil ihre Bilder nicht „auf Linie“ seien. Dabei will sie die Wirklichkeit abbilden und nicht eine Idee von Realität, wie sie sich die Staatsführung wünscht. Also fotografiert sie oft „für die Kiste“, wie sie sagt, viele Fotos bleiben unveröffentlicht.

Lange gewartet für spontane Aufnahmen

In Auftragsarbeiten gelingt es Richter dann doch, den sozialistischen Arbeitsalltag einzufangen. Etwa eine junge Kranführerin in Latzhose oder Frauen an Webstuhl und wuchtiger Stanze. Ihre Bilder schönen die harte Arbeit nicht, sie fangen auch Erschöpfung und Desillusion ein.

Die Ausstellung "Evelyn Richter" im Kunstpalast Düsseldorf geht noch bis zum 8.1.2023.

Das ist Richters Stärke: die flüchtigen Momente zu erfassen, in denen sich ein Gefühl verdichtet. Scheinbar spontan fotografiert – oft wartet sie aber lange auf den richtigen Augenblick. Etwa, wenn der Musiker Dawid Oistrach die Geige anlegt.
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Für die Künstlerin war die Trennung zwischen Auftragsarbeit und Werk ziemlich klar. Im Düsseldorfer Kunstpalast verschwimmen die Grenzen. Hier hängen Plattencover neben Bildern aus dem Archiv, die Richter selbst wohl nicht veröffentlicht hätte. „Wir können jetzt sozusagen hingehen und noch mal schauen: Was war da denn noch?! Und uns von einer Selbsterzählung auch lösen“, sagt Conze.
Denn die Grenze zwischen Auftrag und freier Kunst sei fließender als gedacht, meint die Kuratorin. Für die Ausstellung hat der Düsseldorfer Kunstpalast mit dem Leipziger Museum für Bildende Künste und dem Evelyn-Richter-Archiv zusammengearbeitet. Die Retrospektive der mittlerweile verstorbenen Fotografin passt gut nach Düsseldorf, einer traditionellen Fotostadt – von der Richter den ersten Bernd-und-Hilla-Becher-Preis bekommen hat.
Und trotzdem ist sie in Westdeutschland kaum bekannt – wie so viele ostdeutsche Künstler*innen. „Das ist eines der Dinge, die ich bis heute nicht ganz verstehe“, sagt Museumsdirektor Felix Krämer. 2019 hat er in Kooperation mit Leipzig Kunst aus der DDR gezeigt. Ein Versuch, ostdeutsche Positionen bekannter zu machen: „Dass es überhaupt noch eine solche Grenze gibt, ist absolut unverständlich.“

Von der Kiste ins Museum

Aber welchen Sinn hat eine Ausstellung über das Leben und den Alltag in der Deutschen Demokratischen Republik – mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung – in Düsseldorf?! Analoge Schwarz-Weiß-Fotos, schlicht gerahmt, ohne Pomp. Was kann diese Kunst heute noch erzählen?
„Sie erzählt uns eigentlich auch was über die Gegenwart, weil Evelyn Richter es geschafft hat, extrem kritische und zugleich empathische Aufnahmen zu machen, in einer Zeit, die gesellschaftlich herausfordernd und widersprüchlich war“, sagt Kuratorin Conze.
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Früher hat Evelyn Richter häufig für die Kiste fotografiert. Gut, dass diese Zeiten vorbei sind und die Bilder im Museum hängen. Denn auch wenn sie eine Ära dokumentieren, die hinter uns liegt – viele Bilder sind zeitlos. Beim Betrachten muss man nicht jeden politischen Hintergrund verstehen.
Die intimen Aufnahmen der Menschen entwickeln ihren eigenen Sog. Dem kann man sich in der großen Ausstellung hingeben: neun Räume, nur wenige Vitrinen, dafür 150 gerahmte Bilder an den Wänden. Einfach, ja. Reduziert aufs Wesentliche. Eine leise Ausstellung, die so der geduldigen Beobachterin Evelyn Richter gerecht wird.

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