Evgeny Makarov: "Die Datscha"

Eindringliche Bilder von einem Sehnsuchtsort

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"Die Datscha. 600 m² Glück", Evgeny Makarov © picture alliance / dpa / Hans Joachim Rech/Sieveking Verlag
Von Eva Hepper · 30.06.2017
Die Kindheit des Fotografen und Autoren Evgeny Makarov ist eng mit der Datscha seiner Großeltern verbunden. Für ihn ein traumschöner Ort - dem er nun mit seinem Bildband "Die Datscha" ein zartes und sehr atmosphärisches Denkmal setzt, urteilt unsere Kritikerin
Auf diese Fotografie könnte man ewig schauen: Eine ältere Frau liegt vor einem sonnendurchfluteten Blätterwald. Sie hat sich gebettet auf einen Holzstapel, der mit Lagen von Decken und Handtüchern belegt ist und dessen oberes Ende von einer Plastikplane verhüllt wird. Ein gefaltetes rotes Tuch im Nacken dient ihr als Kissen.
Der Farbtupfer harmoniert perfekt mit dem sie umhüllenden Grün der Natur, dem Blau ihrer Kleidung – Bluse, gemusterter Rock – und den leuchtenden Kirschen über ihr. Sie sind zum Greifen nahe, doch selbst mit gestrecktem Arm kann die Frau sie nicht erreichen; wenige Zentimeter fehlen.
Was für ein sprechendes Bild! Ort und Frau symbolisieren Freiheit, Improvisation, Ruhe, Frieden und Idyll. Allerdings ein kleines und kein vollkommenes – die Plastikplane erinnert an eine andere Welt, und die Früchte hängen zu hoch. Das Paradies sieht anders aus, doch dieser Garten bei Sankt Petersburg kommt ihm schon ziemlich nahe.

Künstlerisch herausragend

"Anna auf dem Holzstapel unterm Blätterdach" ist die vielleicht schönste Aufnahme in Evgeny Makarovs Fotoband über eine russische Datscha-Kolonie. Für "600 Quadratmeter Glück" reiste der 1984 in Russland geborene und in Deutschland aufgewachsene Fotograf an den Sehnsuchtsort seiner Kindheit, die Gartenkolonie seiner Großeltern in der Leningrader Oblast. Entstanden sind eindringliche und künstlerisch herausragende Porträts von einer ganz eigenen Welt und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern.
Behutsam nähert sich der Fotograf dem Ort auf traditionellem Weg, denn wie die meisten reist er mit dem Zug an. Die Hochhäuser Sankt Petersburgs, Bahnsteige, Abteile, Ankommende, die überladene Einkaufstrolleys hinter sich herziehen, bilden den Prolog dieses Buches. Und dann geht es mitten hinein ins Datscha-Leben von Artur, Anna, Oleg oder Alexander.
Evgeny Makarov zeigt ihre sehr individuellen und zum Teil waghalsig konstruierten Bauten von außen und innen und porträtiert das Treiben vor Ort – Mußestunden im Garten, Feste mit Freunden und Nachbarn, Kinder beim Angeln, Jugendliche am Lagerfeuer, den Marktplatz mit Wellblechbuden und spärlichem Sortiment.

Fluchtpunkt russischer Großstädter

Immer tiefer taucht man ein in diese eigentümlich atmosphärische Welt, die nicht im herkömmlichen Sinne "schön" ist, doch voller Zauber und Würde. 20 Quadratmeter Wohnraum stehen dem Menschen in Sankt Petersburg zur Verfügung wie der Fotograf in seinem Begleittext schreibt, und so ist die Datscha noch immer Fluchtpunkt für drei Viertel der russischen Großstädter.
Wer Makarovs Bilder gesehen hat, weiß warum. Ihm gelingt das Kunststück, die Lauben-Kolonie seiner Kindheit im Wandel der Zeit einzufangen und gleichzeitig den russischen Mythos des Sehnsuchtsortes Datscha zu bebildern. Die passenden Worte dazu findet Lew Rubinstein in seinem die Fotos sehr schön ergänzenden Essay.
Gemeinsam schaffen der Fotograf und der Moskauer Dichter eine wunderbare Hommage an diese "arme, aber nahe Verwandte des Landguts", die auch in der Wellblechvariante von einem anderen Leben erzählt.

Evgeny Makarov: "Die Datscha. 600 Quadratmeter Glück"
mit einem Essay von Lew Rubinstein
aus dem Russischen von Rosemarie Tietze
Sieveking Verlag, 2017
148 Seiten, 39,90 Euro

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