Kurt Kotrschal: "Mensch: Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen"
Brandstätter Verlag, 2019
320 Seiten, 25 Euro
„Der Mensch wird aussterben“
14:37 Minuten
Der Mensch sei das komplexeste aller sozialen Wesen, sagt Kurt Kotrschal. Verantwortlich sei das menschliche Gehirn: hochgetunt, aber auch störungsanfällig. Für den Evolutionsbiologen ist klar: Menschen wird es irgendwann nicht mehr geben.
Stößt die menschliche Evolution an ihre Grenzen? Der Evolutionsbiologe Kurt Kotrschal bezweifelt, dass Menschen in Zukunft völlig neue Fähigkeiten entwickeln könnten: "Aus Spezialisierungen kommt evolutionär nie etwas Neues, sondern die spezialisierten Arten sterben immer irgendwann einmal aus. Und so wird es uns, so leid es mir tut, auch gehen. Ich hoffe natürlich, dass es noch eine Zeitlang dahingeht."
"Unser Gehirn ist hochgetunt und störungsanfällig"
Kotrschal zeigt sich auch skeptisch, ob das menschliche Gehirn weiter so anwachsen werde wie in der Vergangenheit: "Zweifel sind angebracht, weil bereits jetzt die hohe Leistungsfähigkeit des Gehirns offenbar mit einer hohen Fehleranfälligkeit und einer hohen Störungsanfälligkeit erkauft wird." Als Beispiele nannte er mentale Störungen wie Angst- und Essstörungen. "Kaum jemand von uns kommt durchs Leben, ohne einmal in so ein Problem reingefallen zu sein. Und das ist ein starkes Indiz dafür, dass wir schon sehr, sehr hochgetunte Gehirne haben."
Das menschliche Gehirn sei nicht nur größer, sondern es sei genetisch auch anders aufgestellt. "Wir fahren mit sowas wie einem Formel-Eins-Gehirn durch die Gegend, während unsere Verwandten immer noch mit dem Standard-Motor durch die Gegend tuckern." Dieses Gehirn und die hochentwickelte Symbolsprache machten den Menschen aber auch zum "komplexesten aller sozialen Wesen".
"Wir sind keine biologischen Automaten"
Die Menschen als "evolutionär gewordene Wesen" seien durch ihre Anlagen geprägt. In der menschlichen Evolution habe vermutlich soziale Kompetenz, geistige Leistungsfähigkeit und das Kooperieren unter Selektionsdruck gestanden. Kotrschal: "Es ist gar nicht weit hergeholt, dass wir uns heute als selbstdomestizierte Version unserer altsteinzeitlichen Vorfahren betrachten." Das habe entsprechende Konsequenzen – nicht nur positive: "Gruppenintern sind wir netter geworden, aber nicht unbedingt netter zwischen den Gruppen oder zu Fremden."
Dieses evolutionäre Erbe bestimme aber nicht unser konkretes Verhalten. Zwar gebe es Universalien, die alle Menschen teilen. "Aber zu glauben, die Universalien versklaven uns und machen uns zu biologischen Automaten, wäre ein völlig falsches Konzept." Kotrschal verdeutlichte das am Beispiel der manchmal geäußerten Theorie, die Abwehr von Fremden sei genetisch in uns verankert: "Was wirklich angelegt ist in uns, ist ein Interesse am Fremden. Ob das in freundliche Gastfreundschaft oder in skeptische Abwehr bis in Gewalt geht, das hängt sehr vom sozialen und gesellschaftlichen Kontext ab."
Dieses evolutionäre Erbe bestimme aber nicht unser konkretes Verhalten. Zwar gebe es Universalien, die alle Menschen teilen. "Aber zu glauben, die Universalien versklaven uns und machen uns zu biologischen Automaten, wäre ein völlig falsches Konzept." Kotrschal verdeutlichte das am Beispiel der manchmal geäußerten Theorie, die Abwehr von Fremden sei genetisch in uns verankert: "Was wirklich angelegt ist in uns, ist ein Interesse am Fremden. Ob das in freundliche Gastfreundschaft oder in skeptische Abwehr bis in Gewalt geht, das hängt sehr vom sozialen und gesellschaftlichen Kontext ab."
Klimawandel und der lange Weg, das eigene Leben zu ändern
Mit Blick auf die Zukunft warnt Kotrschal vor einem Klimawandel und den Folgen. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass die Menschen sich beispielsweise an steigende Temperaturen biologisch anpassen könnten. Auf die Veränderungen der ganzen Biosphäre aber – vor allem das Aussterben der Arten, das die ganze Lebensgrundlage verändere – könne der Mensch nicht mit evolutiven Anpassungen reagieren. "Das wird nicht funktionieren. Die Veränderungen gehen zu rasch vonstatten." Auf künftige technische Lösungen zu setzen, sei kurzsichtig und gefährlich. "Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als den mühsamen Weg zu gehen und das eigene Leben und das Leben auf der Welt so zu ändern, dass wir auch unseren Enkeln eine Biosphäre hinterlassen, in der sie leben können und auch wollen."
In diesem Zusammenhang kritisiert der Evolutionsbiologe die Geisteswissenschaften: "Die Menschenbilder, die die Geisteswissenschaftler geliefert haben, und die abendländische Philosophie der letzten 3000 Jahre hatten letztlich im Kern ein einziges zentrales Programm: nämlich den Menschen zu transzendieren, vom Natur- zum Geisteswesen zu machen und uns von den Tieren und der Natur zu emanzipieren. Und das ist profund schiefgegangen." Zwar sei der Mensch unbestritten ein Geisteswesen, aber "unsere Natur zu vergessen" habe zu Problemen wie Umweltzerstörung und Klimawandel geführt.