"Schnecken sind die Renner der Evolution"
33:50 Minuten
Der Leiter des "Centrums für Naturkunde" in Hamburg, Matthias Glaubrecht, kämpft für den Artenschutz. Denn so schnell wie die Arten verschwinden, kommt die Forschung nicht mehr hinterher. Daher heißt sein jüngstes Buch auch: "Das Ende der Evolution".
Ursprünglich wollte Matthias Glaubrecht einmal afrikanische Großtiere erforschen. Doch es kam anders. Heute beschäftigt sich der Evolutionsbiologie mit allem, "was auf eine Pizza Frutti di Mare passt und keine Krabbe ist". Statt Nashorn oder Löwe also Schnecken, Muscheln, Tintenfische.
"Ich wollte neue Tierarten entdecken und beschreiben. Das kann man nicht bei den afrikanischen Großtieren, die sind alle bekannt, sondern dann sucht man sich ein Objekt, und bei mir sind es tropische Süßwasserschnecken geworden." Allein bei den Schnecken gebe es mit 120.000 Arten eine enorme Vielfalt, die viel über evolutionsbiologische Zusammenhänge verrate: "Für mich sind Schnecken die Renner der Evolution."
"Der Mensch ist eine Eintagsfliege der Evolution"
Matthias Glaubrecht leitet das "Centrum für Naturkunde" an der Universität Hamburg und hat als Evolutionsbiologe gut 500 Millionen Jahre im Blick. Der Homo Sapiens mit einem Alter von gerade einmal knapp 300.000 Jahren sei in dieser Hinsicht "wirklich noch ein ganz junger Neuzugang in der Evolution" oder etwas weniger freundlich ausgedrückt: "eine Eintagsfliege der Evolution".
Umso alarmierender findet der 58-Jährige, wie sehr die Anwesenheit des Menschen dem Planeten zusetze. Dass Arten aussterben, hält Matthias Glaubrecht zwar für "ein ganz normales Phänomen der Evolution". Es gehe aber um das Ausmaß und die Schnelligkeit, mit der das durch den Menschen geschehe: "Das ist nur vergleichbar mit dem katastrophalen Einschlag eines Meteoriten", so wie er den Dinosauriern zum Verhängnis wurde. Ihnen kann man mangelnde Anpassungsfähigkeit ebenso wenig vorwerfen wie der heutigen Flora und Fauna, die dem Wüten des Menschen ausgesetzt ist.
Um die ersten zwei Millionen Tierarten zu beschreiben, hätte die Forschung ungefähr 250 Jahre gebraucht. So viel Zeit bleibe heute nicht mehr: "Wir beschreiben sie so schnell es geht, aber wir vernichten eben auch die Lebensräume dieser Tiere schneller, als wir mit dem Beschreiben hinterherkommen."
Düstere Aussichten
Natürlich werde es immer eine Form von Evolution geben, solange reproduktionsfähige Organismen auf der Erde zu finden seien. Trotzdem hat der Biologe sein neues Buch "Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten" genannt. Denn die Tier- und Pflanzenwelt, die den Menschen in den letzten Jahrhunderttausenden umgeben habe, werde verschwinden: "Es wird die Evolution in dem Sinne, wie wir sie kennen, nicht mehr geben."
Auch wenn er die Hoffnung nicht ganz aufgeben will, blickt der Wissenschaftler, der schon als Teenager das Revierverhalten von Mäusebussarden untersuchte und in der Studienzeit einen kleinen Zoo zu Hause unterhielt, eher düster in die Zukunft. Das hänge auch mit dem evolutionsbiologischen Erbe des Menschen zusammen. "Wir sind Plünderer und Räuber, wir ziehen immer weiter. Das war unser Evolutionserfolg." Das Problem sei: Daran hätten wir bis heute wenig geändert.
Bei allem Wunsch nach Hoffnungsschimmer, ist sich Matthias Glaubrecht sicher: Wenn wir es nicht schaffen, "kulturell unser biologisches Erbe in den Griff zu bekommen, dann werden wir in den Untergang schlittern."
(era)