Ewiges Leid der Emotionen

Die Soziologin Eva Illouz analysiert in "Warum Liebe weh tut", warum das moderne Subjekt zum emotionalen Scheitern verurteilt ist. Dass Männer mit diesem Schicksal besser zurechtzukommen scheinen als Frauen, ist eine der Pointen ihres meisterhaften Sachbuches.
Eine Frau geht in ein Zimmer, schluckt Gift und stirbt unter grässlichen Krämpfen. Alles nur aus enttäuschter Liebe. Während uns heutigen Menschen eine solche Radikalität, wie sie Emma Bovary, Heldin von Gustave Flauberts gleichnamigen Roman, sowohl übertrieben als auch vage romantisch erscheint, hat sich am ewigen Leiden an der Liebe nicht viel geändert. Oder?

In ihrem neuen Buch "Warum Liebe wehtut" analysiert die Soziologin Eva Illouz in gewohnt luzider Weise, dass sich ganz im Gegenteil die sozialen und kulturellen Bedingungen des Liebesleids tatsächlich grundlegend gewandelt haben. Der moderne Mensch leidet aus anderen Gründen und an anderen Arten von Schmerz als früher, bedingt durch die Erfahrungen und Anforderungen moderner Subjektivität. Diese ist unter anderem durch Wahlfreiheit, psychologische Selbsterforschung und sowohl rationalisierte als auch extrem ausdifferenzierte Kriterien der Partnersuche bestimmt – heute sucht man den Richtigen, früher reichte ein Richtiger.

In sechs Kapiteln beleuchtet die Autorin die modernen Schlachtfelder der Liebe. Sie beschreibt die neuen Heiratsmärkte, die zum einen durch globale Vernetzung entstanden sind und zum anderen dadurch, dass Sexyness im Zuge der Konsumkultur selbst zum Statussymbol wurde. Die damit einhergehende Verschiebung von romantischer Verbindlichkeit hin zu sexueller Verfügbarkeit erzeugt eine neue "Architektur der Wahl", also neue Kriterien dessen, was bei der Partnersuche an Eigenschaften wünschenswert oder an Strategien Erfolg versprechend ist.

Dabei arbeitet die Autorin heraus, dass das moderne Phänomen der "männlichen Distanziertheit" und Bindungsunlust eine zwar ökonomisch angemessene aber emotional fatale Reaktion auf dieses neuen sozialen Tatsachen darstellt, und dass die Frauen dadurch wieder einmal zu den Verlierern des Spiels zu werden drohen. Eine typisch weibliche Reaktion auf Zurückweisung sind endlose Selbstbeschuldigen und -analysen, denn, wie Illouz betont, sind heutzutage Selbstwert und Erfolg in der Liebe auf historisch neue Weise miteinander gekoppelt, was dem modernen Leiden an der Liebe eine ungeahnt tragische Dimension verleiht. Diese tiefe Enttäuschung fördert auch der wachsende Einfluss der romantischen Einbildungskraft, welche unter anderem dafür sorgt, dass die Kluft zwischen Vorstellung und Wirklichkeit beim Online-Dating fast zwingend zu Desillusionierungen führt.

Wie schon in ihrem letzten Buch "Die Errettung der modernen Seele" stellt Illouz die Psychologisierung und die damit verbundene Essentialisierung des Selbst ins Zentrum ihrer furiosen Analyse. Die damit einhergehende manische Selbstbesessenheit verbaut nicht nur den Weg zu einem gemeinsamen Erleben von Liebe und Welt, sondern macht zugleich das moderne Subjekt für sein Scheitern allein verantwortlich. Doch diese Selbstbezichtigung verdeckt auf perfide Weise die sozialen und kulturellen Grundlagen des modernen Liebesleides. Dass Männer mit diesen Grundlagen besser zurechtzukommen scheinen als Frauen, gehört zu den eindrücklichsten Pointen dieses meisterhaften Buches.

Besprochen von Ariadne von Schirach

Eva Illouz: Warum Liebe weh tut
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Adrian
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011,
467 Seiten, 24,50 Euro

Linktipp:
Schriftstellerin Illouz: Ursachen eigener Gefühle gehen in Kindheit zurück, Interview mit Eva Illouz (Thema vom 1.7.2009, DKultur)
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