Die USA im Niedergang? Niemals!
Trotz vieler innenpolitischer Probleme und des grassierenden Trump-Populismus glaubt Colin Powell felsenfest an die Erneuerungskraft der US-Gesellschaft. Den amerikanischen Traum werde es immer geben, meint der frühere US-Außenminister.
Der ehemalige Außenminister der USA, Colin Powell, glaubt trotz vieler innenpolitischer Probleme fest an die Erneuerungskraft der amerikanischen Gesellschaft.
Im Deutschlandradio Kultur sagte er, die USA seien nicht im Niedergang begriffen. Die Menschen glaubten nur allzu leicht, dass der Tank leer sei.
Auch in der Zeit zwischen 1960 und 1975 habe es in den USA "wirklich düster" ausgesehen, betonte er. Präsident Kennedy und Martin Luther King seien ermordet worden, Präsident Nixon habe in Schimpf und Schande das Weiße Haus verlassen. Es habe den Vietnam-Krieg, Rassenprobleme und eine wirtschaftliche Rezession in dieser Zeit gegeben – und zehn Jahre später sei das Land wieder obenauf gewesen. "Wir haben diese Steher-Qualitäten", betonte der ehemalige General.
Dementsprechend verteidigte Powell in dem Interview auch den amerikanischen Traum. Zwar müsse dieser immer wieder aufgefrischt und erneuert werden.
"Aber es sollte keiner glauben, dass der amerikanische Traum vorbei ist. Er wird nie vorbei sein. Das kann gar nicht sein. Sonst wären wir ja keine Amerikaner."
Der derzeitige US-Präsident Barack Obama ist für Powell der beste Beweis, dass es diesen Traum noch gibt. Obama sei dessen "Erfüllung":
"Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass er Präsident werden kann? Ein Mann mit dem Namen Barack Hussein Obama - wir haben es gemacht."
Zugleich räumte Powell ein, dass es "viel zu viele" junge Amerikaner gebe, die nicht die Bildung bekämen, "die sie brauchen, um im 21. Jahrhundert Erfolg zu haben". Auch seien die Familien nicht mehr so intakt, wie das früher der Fall gewesen sei, sagte er. Die Menschen "am unteren Ende der wirtschaftlichen Erfolgsleiter" seien in USA stark unter Druck, so Powell. (ahe)
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Als Colin Powell 1937 als Kind jamaikanischer Einwanderer in New York geboren wurde, da haben sich sein Eltern sicher gewünscht, dass aus dem Jungen mal was wird. Aber egal, wie hoch ihre Erwartungen waren, Colin Powell hat sie deutlich übertroffen.
Er war der erste Schwarze in gleich drei wichtigen Ämtern innerhalb der Regierung der USA, und das höchste davon war natürlich das Amt des Außenministers, das er von 2001 bis 2005 unter Präsident George W. Bush innehatte. Nana Brink hat in Washington mit Colin Powell gesprochen.
Nana Brink: Ist Obama sozusagen die Erfüllung des amerikanischen Traums?
Ein Afroamerikaner als Präsident: "Wir haben es geschafft"
Colin Powell: Ja, sicher. Wer hätte das vor 20 oder vor 25 Jahren gedacht? Der Traum, dass wir bereit wären, einen Schwarzen als Präsidenten der USA zu wählen, einen Mann mit dem Namen Barack Hussein Obama. Aber wir haben es gemacht, wir haben es geschafft.
Brink: Ist das Ihr amerikanischer Traum?
Powell: Das war sein amerikanischer Traum, Präsident der USA zu werden. Mein Traum war es, möglichst gut als Soldat zu arbeiten. Die Leute fragten mich: Wollten Sie denn wirklich Generalstabschef werden, und ich sagte, ich wollte ein tüchtiger Soldat werden, und wenn ich jeden Tag meinen Dienst gut tat, dann würde sich die Armee auch um mich kümmern. Ich würde dann auch später je nach Leistung nach oben klettern und auch gemäß dem Potenzial, das sie in mir sahen. Aber ich hatte nie erwartet, dass ich es ganz nach oben schaffe. Aber es ist so gekommen.
Brink: Was ist der amerikanische Traum?
Der amerikanische Traum: "Etwas wirklich Schönes"
Powell: Der amerikanische Traum ist etwas wirklich Schönes. Ich wähle da gern einen Rückblick auf meine Schule in Harlem, City College, New York. Wenn ich da die Schüler sehe – und da gibt es jetzt diese Schule, die nach mir benannt ist, die Powell-Schule für zivilgesellschaftliche und globale Führung. Die meisten der Schüler sind Einwanderer. Viele von ihnen gehören zu einer Minderheit. 90 Prozent Minderheit, 80 Prozent, sagen sie, sind woanders geboren. Ich nenne sie meine Asylanten-Kids, und die sind wirklich begierig auf Erfolg.
Sie wollen vorankommen, sie lernen den amerikanischen Traum, sie wissen, wenn ich eine gute Ausbildung bekomme, dann schaffe ich es irgendwo hin. Wenn aber nicht – ja, dann wird es schief gehen.
Wir haben viel zu viele junge Amerikaner in den Minderheiten, bei den indianischen Gemeinschaften und auch in den armen weißen Schichten, wo sie einfach nicht die Bildung bekommen, die sie brauchen, um im 21. Jahrhundert Erfolg zu haben. Und sie werden auch nicht richtig erzogen.
Viele Familien sind nicht mehr intakt
Die Familien sind nicht mehr so intakt, wie das früher mal der Fall war. Wir haben zu viele Alleinerziehende. Alleinerziehende können natürlich ihre Leistung bringen, wenn sie die Ausbildung haben und wenn sie auch das entsprechende Einkommen haben. Aber ein Alleinerziehender ohne die Ausbildung, und wenn man einfach nicht die Mittel hat, um das Kind zu erziehen, dann ist es wahrscheinlich, dass die Jungs auf den falschen Pfad geraten.
Brink: Wenn wir von der Wirtschaft sprechen – viele Menschen in der Mittelklasse denken ja, sie fallen zurück. Ist das ein Grund, warum das Land so gespalten ist?
Powell: Ohne Zweifel haben wir Menschen ganz am unteren Ende der wirtschaftlichen Erfolgsleiter, die das Gefühl haben, dass sie nicht genug vom Wohlstand abbekommen. Sie bilden nicht die Mehrheit, aber sie lassen ihre Stimme in unserem politischen Leben sehr laut erschallen: Was macht ihr für mich? Ich kriege nicht die Bildung, meine Kinder kriegen nicht die Bildung, die sie brauchen. Warum gebt ihr nicht mehr Geld für Schulen aus, für Arbeitsmöglichkeiten?
Die Menschen am unteren Ende sind stark unter Druck
Ich würde nicht sagen, diese Menschen bilden die Mehrheit im Land. Wir haben ja auch eine gute, wachsende Mittelschicht, aber wir haben auch eine Unterschicht. Ich hasse eigentlich diesen Ausdruck, Unterschicht, aber sagen wir mal, wir haben diejenigen, die ganz unten in der Rangordnung der Wirtschaft und der Bildung stehen, und die sind arg unter Druck, die sind unzufrieden, und die wollen, dass sich was ändert.
Brink: Es geht ja immer um Change, um Veränderung – wirklich?
Powell: Ja, Wandel. Gebt uns wirtschaftliche Chancen, gebt uns gute Wohnungen, gebt uns eine gute Ausbildung, eine gute medizinische Versorgung. Das ist der Wandel, den wir brauchen. Diese Menschen haben das Gefühl, dass sie nicht ihren Anteil am Kuchen des Wohlstandes bekommen, und sie haben irgendwo auch recht.
Brink: Der amerikanische Traum hat ja immer bestimmte Werte beinhaltet, also Aufrichtigkeit, Integrität, Zielstrebigkeit. Man könnte denken, der amerikanische Traum ist im Niedergang begriffen.
Powell: Nein, Amerika ist nicht im Niedergang. Die Menschen glauben das allzu leicht. Immer, wenn jemand in meiner Laufbahn dann gedacht hat, Amerika ist im Niedergang, der Tank ist irgendwie leer – das war ja genau das, was die Sowjets, die Kommunisten sagten, wartet es nur ab, Amerika wird zusammenbrechen.
Zwischen 1960 und 1975 sah es düster aus
Ich erinnere mich an die Zeit von 1960 bis 1975, als es wirklich düster aussah. Wir hatten einen Präsidenten, der ermordet worden war. Martin Luther King wurde getötet. Bobby Kennedy, unser Generalstaatsanwalt, wurde ermordet, Präsident Nixon ist in Schimpf und Schande aus dem Amt gegangen, auch der Vizepräsident verließ sein Amt in Schimpf und Schande. Wir haben uns gegen den Vietnamkrieg gestellt. Wir hatten eine wirtschaftliche Rezession, wir hatten Rassenprobleme überall im Lande. Und die Sowjets sagten: Schaut mal, wir haben es euch ja gesagt, das haben doch Marx und Lenin so vorhergesagt. Und jetzt schauen wir, was war zehn Jahre später? Wir waren wieder obenauf. Die Sowjetunion war Teil der Geschichte.
Wir haben diese Steher-Qualitäten in unserer Gesellschaft, die wir oft nicht genug schätzen. Manchmal sind die Amerikaner langsam, um die Dinge wieder zurechtzurücken, aber letztlich schaffen wir es, die Dinge wieder hinzubiegen.
Vor zwei Wochen habe ich eine Rede in einem nahegelegenen Hotel in der Gegend von Washington gehalten. Ich war zu Ende gekommen und wurde hinausgeführt. Und üblicherweise werde ich dann über die Küche herausgebracht, weil es einfach einfacher ist und das Auto näher steht. Also, ich verließ den Speisesaal und kam in die Küche, und wie es meine Art ist, sprach ich so ein paar Worte mit dem Küchenpersonal und sagte hallo, und da waren sechs oder sieben Bedienstete in der Küche, und die lächeln mich an und sagten: Hey, General Powell, wie geht es Ihnen?
Immer ein bisschen weiter nach oben
Und in diesem Hotel tragen sie alle Namensschilder und auch das Land, aus dem sie stammen, kann man dort lesen. Das waren sechs oder sieben Leute mit den Herkunftsländern Eritrea, Äthiopien, Afghanistan, Tschad. Und die stehen alle da, und sie werden irgendwann alle Amerikaner sein. Vielleicht haben sie eine Green Card jetzt, aber dann werden sie voll da sein. Der amerikanische Traum ist vielleicht nicht gerade dann, Chef des Generalstabs zu werden, aber sie werden vielleicht eine anständige Wohnung finden, sie werden merken, ich habe Kinder, die ich erziehen kann, und ich kann es vielleicht ein bisschen weiter nach oben schaffen. Meine Kinder können wieder ein Stückchen weiter nach oben kommen. Das weiß ich.
Brink: Also gibt es den amerikanischen Traum noch in Ihren Augen. Muss er belebt werden?
Powell: Dieser amerikanische Traum muss immer wieder aufgefrischt und erneuert werden. Aber es sollte keiner von Ihnen glauben, dass der amerikanische Traum vorbei ist. Er wird nie vorbei sein. Das kann gar nicht sein. Sonst wären wir ja keine Amerikaner.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.