In Deutschland gehörte Hans-Dietrich Genscher zu den beliebtesten Spitzenpolitikern und zu den prägenden Persönlichkeiten der Liberalen. Von 1974 bis 1985 war er Vorsitzender der FDP.
Klaus Remme aus dem Hauptstadtstudio erinnert in einem Nachruf an Hans-Dietrich Genscher: "An 'Genschman' - den Mann mit dem gelben Pullunder, den Vielflieger, der sich als Pendeldiplomat über dem Atlantik mal selbst begegnet sein soll."
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Großer Staatsmann
Die Bundesregierung hat den früheren Außenminister in einer ersten Reaktion auf die Todesnachricht als großen Staatsmann gewürdigt. Die Mitteilung erreichte den stellvertretenden Regierungssprecher Georg Streiter am Freitag in einer routinemäßigen Bundespressekonferenz in Berlin.
Streiter sagte, Genscher habe wie ganz wenige andere die Geschicke Deutschlands beeinflusst. Er nannte ihn einen großen Europäer und großen Deutschen. Er, Streiter, fühle sich in diesem Moment als stellvertretender Regierungssprecher "zu klein, um diesen großen Staatsmann zu würdigen".
"Wir sind zu Ihnen gekommen ..."
Der Mann konnte reden, reden, reden. Aber den wichtigsten Satz seines Lebens brachte er nicht richtig zu Ende. Am 30. September 1989, auf dem Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag:
"Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ..."
Weiter ließen die 4500 DDR-Bürger, die auf das Botschaftsgelände geflohen waren, Hans-Dietrich Genscher nicht kommen. Der Rest ging im Jubel unter.
Im Lauf von dreieinhalb Jahrzehnten politischer Karriere wurde der studierte Anwalt für viele zur Personifizierung der "Bonner Republik"- auch wenn er im Osten geboren wurde, in Reideburg, das seit 1950 zu Halle an der Saale gehört. Nach dem frühen Tod des Vaters - Genscher war neun - wuchs er allein bei der Mutter auf. Bei Kriegsende war er 18, kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Mister Bundesrepublik
Kurz darauf erkrankte er an Tuberkulose, die damals kaum heilbar war. Insgesamt drei Jahre verbrachte er in Krankenhäusern und Lungenheilstätten. 1952 kam er mit der Mutter in den Westen, nach Bremen. 1956, als junger Jurist, zog er nach Bonn. Dort in der Nähe war er bis zum Schluss mit seiner Frau Barbara zu Hause. Die ARD erhob ihn sogar zum "Mister Bundesrepublik".
Dann folgten die Momente, in denen Genscher von seinen 18 Jahren im Auswärtigen Amt vermutlich am besten war. Der Mann, der die diplomatische Kunst des bedeutungsvollen Nichtssagens zur Perfektion entwickelt hatte, wurde zu einem der Macher der deutschen Einheit - auch wenn er gerade mit den Nachwirkungen von zwei Herzinfarkten zu kämpfen hatte.
Genscher war ein begnadeter Netzwerker, bestens verdrahtet in nahezu alle Hauptstädte der Welt. Einer seiner Grundsätze: "Es geht darum, sich in die Schuhe des anderen zu stellen. Ihn zu gewinnen, aber nicht zu besiegen."
Das Meisterwerk - der "2+4-Vertrag"
Sein Meisterwerk lieferte er 1990 mit dem "2+4-Vertrag" ab. Darin regelten die damals noch beiden deutschen Staaten mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs (USA, Russland, Großbritannien und Frankreich) die außenpolitischen Aspekte der Wiedervereinigung. Das war die Zeit, in der Genscher besonders populär war.
Der "immerwährende Außenminister"
Im Mai 1992, mit 65 Jahren, trat Genscher als Außenminister zurück - aus freien Stücken und zur allgemeinen Überraschung. Die Nachfolger hatten es schwer. Frank-Walter Steinmeier adelte ihn trotzdem später zum "immerwährenden Außenminister" ehrenhalber. Vergessen wird jedoch gern, dass Genscher auch vor dem Auswärtigen Amt schon Politik gemacht hatte - und dass er öfters auch sehr umstritten war.
"Es müsste jemand blind und taub sein, wenn er Europa nicht als Friedensgarant begreift," sagte Hans-Dietrich Genscher 2012 in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur. Hier können Sie das gesamte Interview nachhören:
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Der Politologe Horst Teltschik, politischer Beamter im Bundeskanzleramt unter Helmut Kohl, sagt über Genscher:
"Hans-Dietrich Genscher konnte sehr charmant und sehr liebenswürdig sein. Aber er konnte auch das Gegenteil sein. Das hing immer von den jeweiligen Partnern oder von den jeweiligen Interessen von Hans-Dietrich Genscher ab."
Er sagte immer seine Meinung
Im persönlichen Umgang habe er Genscher immer als sehr liebenswürdig wahrgenommen. Teltschik würdigte Genscher im Deutschlandradio Kultur als "Vollblutpolitiker" - sowohl als Innen- wie auch als Außenpolitiker. Nie habe er Scheu gehabt, seine Meinung zu äußern, auch nicht in den langen Jahren als Juniorpartner in der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl. Kohl wiederum habe genau gewusst, was er an Genscher und der FDP hatte und habe ihn deshalb gewähren lassen.
Der Grünen-Politiker und Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströble sieht in Genscher einen "wichtigen Mann der deutschen und der europäischen Politik". Auf die Frage, ob angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Ost und West ein Politiker vom Format eines Hans-Dietrich Genscher als Vermittler fehle, antwortete Ströbele:
"Ganz klar: Ja. Und zwar auch jemand, der das gegen den allgemeinen Trend der Zeit tut. Der weiß, was damit riskiert wird, wenn man mit Russland kein vernünftiges Verhältnis findet. Davon war er auch immer sehr geprägt, nach meiner Auffassung."
Genscher, dessen Markenzeichen ein gelber Pullover war, musste immer wieder mit gesundheitlichen Problemen kämpfen. Genscher starb im Alter von 89 Jahren nach Angaben seines Büros in Bonn in der Nacht zum Freitag an Herz-Kreislaufversagen.
Interviews zum Tod von Hans-Dietrich Genscher:
"Kompressor" - Gespräch mit dem Journalisten und Satiriker Hans Zippert über "Genschman"
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Interview mit Gerhart Baum, früherer Bundesinnenminister, Mitglied der FDP
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Interview mit dem früheren US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum
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Interview mit dem SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi
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Interview in "Fazit" mit dem Historiker Peter Hoeres
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