Ex-Bundesjustizministerin fordert Öffnung Europas für junge Tunesier

Herta Däubler-Gmelin im Gespräch mit Nana Brink |
Der Demokratisierungsprozess in Tunesien nach der Revolution gestaltet sich schwierig. Viele gerade junge Leute hofften dabei auf Hilfe aus Europa, sagt die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die sich in dem Land engagiert.
Nana Brink: In dieser Woche haben die Tunesier ihrem ehemaligen Diktator Ben Ali, der es sich im Exil in Saudi-Arabien bequem macht, einen kurzen Prozess gemacht. In Abwesenheit haben sie ihn zu 35 Jahren Haft verurteilt. Die Bilder von wütenden Tunesiern gingen um die Welt – wütend, weil sich ihr Herrscher einfach aus dem Staub gemacht hat. Seit Januar, als die Jasminrevolution den arabischen Frühling einläutete, ringen die Tunesier nun um den Aufbau ihrer Demokratie. Am 24. Juli, also genau in einem Monat, sollte es eigentlich Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung geben, der Termin wurde aber schon auf den 23. Oktober verschoben. Und derweil versuchen vor allem die Europäer, einfacher noch, die Parteien, bei diesem schwierigen Prozess der Demokratiebildung zu helfen. Eine, die von Anfang an dabei war, ist die ehemalige SPD-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die seit Januar die Tunesier beim Aufbau ihrer Demokratie berät. Und ich habe sie gefragt, warum sie sich in Tunesien engagiert.

Herta Däubler-Gmelin: Das hat mehrere Ursachen: Ich kenne eine ganze Reihe von tunesischen Persönlichkeiten, die mir schon früher, also in der Zeit von Ben Ali, berichtet haben, wie das bei Ihnen aussieht. Dann habe ich aus meiner Zeit als Bundesministerin der Justiz natürlich auch die Verbindungen zu Tunesien – sicher erinnern Sie sich an dieses schreckliche Attentat von Dscherba – und ich kenne natürlich auch eine ganze Reihe von jetzt den neuen, bestimmenden Persönlichkeiten, gerade im juristischen Bereich. Deswegen war ich sehr dankbar, als ich gebeten wurde, da runter zu fahren, zumal ich auch ganz gut französisch kann, und ich mach das auch weiter.

Brink: Was tun sie genau dort?

Däubler-Gmelin: Was ich bisher gemacht habe, waren eigentlich ganz praktische Hinweise geben, wie zum Beispiel bei der Konstruktion jetzt dieser – wir würden es eine verfassungsgebende Versammlung nennen, es ist mittlerweile viel mehr, die jetzt am 23. Oktober gewählt werden soll. Wie man Wahlen organisiert, wie groß zum Beispiel die Wahldistrikte sein sollen, wie groß so ein Gremium sein sollte, wie viel Zeit die braucht, um bestimmte Dinge zu machen, also solche ganz praktischen Dinge, die sich aus der Erfahrung eines sehr langen Politikerlebens wie bei mir ergeben können.

Brink: Und mit wem sprechen Sie da?

Däubler-Gmelin: Mit Leuten, die dort aus der Umwälzung, aus der Revolution heraus, jetzt zum Beispiel in dieser Vorbereitungskommission für die Verfassungskommission tätig sind – einer der Bekanntesten ist ganz sicher der Völkerrechtler und Anwalt Professor Aschua, aber die übrigen sind hier in Deutschland wahrscheinlich nicht so bekannt.

Brink: Und was sind Ihre Erfahrungen in diesem Gesprächen? Was sind die größten Schwierigkeiten, von denen Sie hören?

Däubler-Gmelin: Ach, wissen Sie, Schwierigkeiten haben die überall, aber was das Interessante ist: Sie haben dort eine große Zahl von ausgesprochen gut ausgebildeten und sehr interessierten – gerade auch an demokratischen Verbesserungen und rechtsstaatlichen Verbesserungen interessierten – Menschen; bei uns würde man sagen, aus dem Mittelstand. Das heißt, es ist nicht so, dass alle Leute immer bedingungslose Gefolgschaft für Ben Ali geschworen haben, sondern es gab ganz viele, denen geht es seit Jahren ungeheuer auf die Nerven, und die wollen jetzt, dass die Veränderung tatsächlich passiert – das ist die eine Richtung. Und das Zweite, was mir natürlich auch sehr aufgefallen ist, sind die vielen jungen Leute, die jetzt auch auf Europa hoffen, weil sie natürlich überhaupt bisher keine Chancen für sich gesehen haben, trotz guter Ausbildung, und jetzt in der Übergangszeit, die Hoffnung, dass es ihnen später besser gehen könnte und sie dann auch selber eine Arbeit finden, diese Hoffnung, die darf nicht enttäuscht werden.

Brink: Das heißt, Sie haben also nicht den Eindruck, Ihre Arbeit dort wird als Einmischung empfunden oder empfunden, dass man jetzt ein europäisches Modell von Demokratie überstülpen möchte?

Däubler-Gmelin: Nein, nein, das nicht. Aber man muss natürlich auch sehen, dass ich sehr wohl weiß, dass Menschen mit erhobenem Zeigefinger sind nirgendwo beliebt. Weder bei uns noch bei denen. Sondern das, was man machen kann, ist auf Fragen antworten. Das heißt, wenn die Fragen – wie groß wäre denn eine sinnvolle Größe für so eine Konstituante? Was kann die in welcher Zeit bewältigen?

Dann kann man ihnen aus eigener Erfahrung sagen, wie das bei uns zum Beispiel in der Verfassungskommission war nach der Wiedervereinigung, oder wie das mit der EU-Grundrechte-Kommission war, und welche Überlegungen man für welche Größe heranziehen könnte. Oder in Tunesien haben Sie eine ausgesprochen zersplitterte öffentliche Meinung und Zivilgesellschaft. Es gibt bisher – nie so ganz sicher – etwa 92 unterschiedliche Parteien, andere Schätzungen gehen sogar bis auf 120, 130 Parteien hinauf. Alle die wollen sich möglicherweise entweder ganz oder in einigen Wahlkreisen zur Wahl stellen. Da war natürlich die Frage, wie kriegt man da ein vernünftiges Wahlsystem hin, dass da zum Beispiel die Stimmengleichheit der jeweiligen Wählerinnen und der Wähler auch einigermaßen zum Ausdruck kommt? Über solche Dinge reden wir dann da.

Brink: Sie waren ja jetzt mehrfach in Tunesien, haben ja mit vielen Menschen gesprochen. Wir würden gerne ein bisschen mehr erfahren über diese Parteien, oder überhaupt, wer sich da wie zusammentut. Wie groß ist denn der Einfluss zum Beispiel noch der Funktionsträger des alten Regimes oder auf der anderen Seite der Islamisten?

Däubler-Gmelin: Ja, das ist beides gar nicht so leicht zu beantworten. Auf der einen Seite ist natürlich die alte Elite immer noch sehr stark, weil die einzigen Verbände, die nicht nur zugelassen waren, sondern die auch in jedem Dorf ihre Niederlassungen hatten, waren ja die unterschiedlichen Verbände von Gewerkschaften bis zu Parteien, die sehr eng mit Ben Ali und seinem Klan zusammen organisiert worden waren. Dann zum Zweiten ist die wirtschaftliche Macht dieser früheren Elite noch relativ groß – das muss man einfach sehen. Und die haben eine Menge an Geld beiseite geschafft.

Auf der anderen Seite – und das ist das großartige – haben sie natürlich überall Organisationen, Verbände, sogenannte Parteien, echte Parteien, die aus dem Boden gesprossen sind und die alle ihre Listen abgeben können. Und sie haben unglaublich viele national – also ganz tunesienweit, kein so großes Land, deswegen ist das machbar – Persönlichkeiten, die ihrerseits jetzt wieder eine Liste einreichen können.

Deswegen wird es eine ausgesprochen interessante Wahl. Jetzt haben Sie nach Islamisten gefragt; dort scheint es so zu sein, dass die dortige islamistische Partei nicht mit dem, was wir jetzt mit Terror oder sonst wie gleichzusetzen gewohnt sind, vergleichbar sind, sondern es scheinen sehr moderate islamische Parteien zu sein. Die haben durchaus auch Einfluss.

Brink: Wird dann auch eine Jugend, eine wütende Jugend, die ja auch einen – sagen wir mal – nicht geringen Anteil hatte an der Jasminrevolution, wird die denn ihre Hoffnungen auch erfüllt sehen dann?

Däubler-Gmelin: Ja, das ist die große Frage! Das kommt jetzt auch drauf an, ob es gelingt, denen die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung zu geben. Und da sind wir natürlich auch bei der Frage, was Europa und auch was Deutschland tun kann. Ich meine, der Tourismus muss dort wieder auf die Beine kommen, die Unternehmen, die in Tunesien produzieren, müssen das weiter machen.

Ich habe auch den Eindruck, die Europäer und gerade auch die Deutschen könnten zum Beispiel jungen Leuten, die ja in aller Regel gut ausgebildet sind in den Bereichen Hotellerie und auch dann Gaststättengewerbe, zumindest jetzt einmal für ein halbes Jahr, die Arbeitsmöglichkeiten bei uns sehr stark erleichtern. Einfach deshalb, weil dann die jungen Leute sehen: Aha, es ist nicht nur ein verbales Interesse, sondern die tun was für uns. Und es würde natürlich auch deren Engagement jetzt zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stark befördern.

Brink: Die ehemalige SPD-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die seit Januar die Tunesier beim Aufbau der Demokratie berät. Schönen Dank für das Gespräch!

Däubler-Gmelin: Danke sehr!
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