Ex-Bundespräsident vor Gericht

"Läppische Geschichten"

Von Alexander Budde |
Ein unwohles Gefühl ist vielen Medienvertretern deutlich anzumerken. Während es Korruptionsprozesses gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff vor dem Landgericht Hannover sind die Vorwürfe gegen ihn auf Taschenformat geschrumpft. Und so manche tief ins Privatleben bohrende Frage der Staatsanwaltschaft war dann doch irgendwie "too much".
Hannover, Mitte November. Vor dem Landgericht beginnt der Korruptionsprozess gegen Christian Wulff. Vorteilsannahme wird dem Angeklagten vorgehalten. Ein Korruptionstatbestand. Das Interesse der in- und ausländischen Medien ist dem Verfahren gewiss. Denn noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich ein früheres Staatsoberhaupt wegen einer Straftat vor Gericht verantworten müssen.
Strammen Schrittes kommt Wulff am Morgen des 14. November zum Gerichtsgebäude. Er geht direkt auf die Medienmeute aus Kameraleuten und Fotografen zu. Hager und ergraut steht Wulff im Pulk vor den Mikrophonen. Wulff trägt einen kleinen Anstecker am Revers: das Bundesverdienstkreuz für Bundespräsidenten. Den zahlreich versammelten Journalisten hat er eine Botschaft mitgebracht:
"Dies ist sicher kein einfacher Tag. Aber ich bin ganz sicher, dass ich auch den allerletzten verbliebenen Vorwurf ausräumen werde. Weil ich mich immer korrekt verhalten habe im Amt. Und ich möchte mich nach dem Verfahren mit großer Freude wieder all der Themen annehmen, die mir immer am Herzen gelegen haben. Das ist meine Einstellung, mit der ich in diese Hauptverhandlung gehe."
Der frühere Ministerpräsident Niedersachsens und Bundespräsident außer Dienst hat sich selbst vor Gericht gebracht. Er hätte, wie in anderen Fällen geschehen, eine Geldauflage zur Einstellung des Verfahrens akzeptieren können. Doch er will seine Ehre, seine Würde wiederherstellen. Dies ist das erklärte Ziel des Niedersachsen. Einen Freispruch erster Klasse will er erreichen – und nimmt dafür in Kauf, dass noch einmal viele Details aus seinem Privatleben vor aller Augen ausgebreitet werden.
Der Richter eröffnet die Verhandlung mit einem freundlichen Lächeln
Frank Rosenow eröffnet die Verhandlungen im Schwurgerichtsaal 127 mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Der Richter sitzt der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vor. Er ist erkennbar um eine gelöste Atmosphäre bemüht.
"Guten Morgen! Dann darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen!"
Doch Wulff bleibt stoisch stehen, bis alle Kameraleute und Fotografen aus dem Saal gegangen sind. Es ist zum Ritual geworden: Das Bild des ehemaligen Bundespräsidenten, sitzend auf der Anklagebank, lässt Wulff nicht zu.
Im Zentrum der Verhandlungen steht ein Besuch des Münchner Oktoberfests im Jahre 2008. Bei insgesamt vier Gelegenheiten im Luxushotel Bayerischer Hof sowie im Käfer-Festzelt auf der Wiesn habe sich Wulff an diesem gemeinsamen Wochenende vom mitangeklagten Filmmanager David Groenewold einladen lassen, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Insgesamt 753 Euro und 90 Cent habe der ausgegeben, um sich den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten gewogen zu machen.
"Wir werfen Herrn Groenewold in der Anklage vor, dass er während eines Oktoberfestbesuches im September 2008 Hotelkosten, Bewirtungskosten und Kinderbetreuungskosten für Herrn Wulff übernommen hat …"
Sagt Hans-Jürgen Lendeckel, Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover.
"… Herr Groenewold soll dann Herrn Wulff gebeten haben, dass sich Herr Wulff als damaliger niedersächsischer Ministerpräsident bei dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens-AG für einen Film einsetzt. Die Siemens AG sollte sich an der Vermarktung dieses Films beteiligen. Tatsächlich ist es dann zu einem Brief von Herrn Wulff an den Vorstandsvorsitzenden gekommen. Wir gehen davon aus, dass Herr Wulff dabei erkannt hat, dass er mit den Einladungen in München zu diesem Schreiben mitmotiviert werden sollte. Und das auch gebilligt hat."
In einer persönlichen Erklärung, die er im Stehen vorträgt, wehrt sich Wulff vehement gegen den Vorwurf der Korruption. Mit dem Filmhändler David Groenewold verbinde ihn seit Jahren eine enge persönliche Freundschaft, sagt Wulff als Advokat in eigener Sache. Die Unterstellung, er habe Geschenke von Groenewold angenommen und sich dadurch in seiner Amtsführung beeinflussen lassen, sei absurd, geradezu ehrabschneidend. Auch Politiker hätten ein Recht auf Freundschaft. Und es müsse auch möglich sein, dass gute Freunde einander einladen und beschenken. Den Brief an Siemens habe er nicht geschrieben, um Groenewold damit einen Gefallen zu tun, sondern weil er das als Ministerpräsident, zuständig auch für die Filmförderung, so für politisch richtig hielt. Wut und Verletzung mischen sich in die Verteidigungsrede. Grenzenlos sei bei den Ermittlungen sein Privatleben durchleuchtet worden. Die persönlichen Schäden, die er und seine Familie erlitten hätten, würden bleiben, womöglich ein Leben lang.
"Er wirkte sehr gefasst, sehr souverän, sehr stabil."
Der Journalist Michael Götschenberg hat Wulffs Präsidentschaft als Korrespondent des Mitteldeutschen Rundfunks in Berlin beobachtet und in einem in diesem Jahr erschienenen Buch nachgezeichnet. Auch über den Prozess berichtet Götschenberg als Beobachter. Die geharnischte Philippika des geübten Redners Wulff hat ihn schwer beeindruckt.
"Ich war sehr erstaunt, ihn am ersten Verhandlungstag zu erleben. Er wirkte sehr gefasst, sehr souverän, sehr stabil. So wie ich ihn in den Monaten davor nicht mehr erlebt hatte. Insofern hatte ich das Gefühl, da ist einer wieder aufgestanden. Da hat einer seine Mitte wieder gefunden. Man merkt eigentlich die ganze Verhandlung schon, dass sich da einer seiner Sache sehr sicher ist: hier auch einen Freispruch erreichen zu können."
Rückblende: Anfang 2012 war der Bundespräsident zum nationalen Buhmann geworden. Bei Empfängen im Schloss Bellevue wurden die Absagelisten zum Gradmesser für einen von Tag zu Tag zunehmenden Ansehensverlust des Staatsoberhaupts, Routineauftritte zum medialen Spießrutenlauf. Als die Staatsanwaltschaft Hannover am Abend des 16. Februar die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ankündigte, hatte Wulff keine Handlungsspielräume mehr – und trat von seinem Amt zurück. Er verabschiedete sich damals auch mit einer Kritik an den Medien:
"Die Berichterstattung, die wir in den vergangenen zwei Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt."
Machtkampf zwischen den Medien und dem Schloss Bellevue
Für viele Kritiker bestätigte das fatale Ende dieser Präsidentschaft nur, dass mit Christian Wulff von vornherein der Falsche ins höchste Staatsamt gekommen war. Gerade im Vergleich auch zu Joachim Gauck, damals der populäre Gegenkandidat von Rot-Grün. Tatsächlich aber war Wulff, bevor ihn im Herbst 2011 die Diskussionen um Privatkredite und Hannoveraner Freundesnetzwerke einholten, auf dem besten Wege gewesen, sich erfolgreich in der präsidialen Rolle zu etablieren. Eine Patchwork-Familie mit Glamourfaktor im Bellevue. Ein junger Präsident für ein modernes Deutschland. Der Journalist Götschenberg meint, Wulff sei dieser Erwartung zunächst durchaus gerecht geworden.
"Er musste die Bevölkerung davon überzeugen, dass er geeignet ist für das Amt. Das hat er geschafft. Er war sehr schnell bei der Bevölkerung so beliebt wie seine Vorgänger auch schon. Er war der beliebteste Politiker in Deutschland. Insofern ist es ihm schon gelungen, diese Rolle für die Öffentlichkeit auszufüllen. Er musste die Politik, vor allem die Opposition davon überzeugen, dass er über den Parteien stehen kann. Es ist ihm aber eben nicht gelungen, die Medien davon zu überzeugen, dass er der Richtige ist."
Wulff darf sich bei Umfragen unter den Deutschen über Zustimmungswerte um die 80 Prozent freuen, als ihn im Herbst 2011 die ersten Anfragen zur Finanzierung seines privaten Hausbaus in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident erreichen. Stern, Spiegel und Bild-Zeitung hatten sich mit hartnäckigen Recherchen auf die Spur der Kredite gesetzt und bis hin zu höchstrichterlichen Entscheidungen aus Karlsruhe Einsichtsrechte in Grundbücher erkämpft. Dabei hätten einige Medien den Ausbruch der Krise auch als Chance erkannt, Wulff aus seinem Amt zu entfernen, meint der Journalist Götschenberg.
"Die Medien haben bei der Skandalisierung von Christian Wulff im Laufe der Affäre Wulff jedes Maß verloren. Es war am Ende ein Machtkampf zwischen Medien und Bellevue. Und insofern sind die Medien meines Erachtens aus der Rolle gefallen, weil sie beansprucht haben, darüber entscheiden zu können, ob der Bundespräsident im Amt bleiben kann oder nicht. In gewisser Weise ist das Pendel in die andere Richtung geschwenkt, muss man sagen. Und eigentlich gilt auch hier, dass nicht die Medien das Urteil fällen, sondern der Richter. Und insofern ist eigentlich auf Seiten der Medien auch an dieser Stelle Zurückhaltung geboten."
Gerichtsdiener: "Machen Sie bitte ihre Handys aus! Und große Rucksäcke: die kriegen wir hier nicht in die Schränke!"
Tatsächlich kann Wulff darauf bauen, dass die Stimmung auch außerhalb des Gerichtssaals längst zu seinen Gunsten umgeschlagen ist. Wulff sei schon gestraft genug, meint dieser Mann beim morgendlichen Anstehen um eine Platzkarte für den Prozess des Jahres.
"Ich hab' den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft nackt da steht. Die hat nichts! Sie hatte Zeit genug! Für 719 Euro 40. So´n Aufwand! Ich habe die ganzen Lügen der Presse eifrig gelesen. Das war von vorne bis hinten alles erstunken und erlogen! Der so genannte Hauskredit, die Anfrage im Landtag: Alles wird rumgedreht!"
Wulffs Ankläger waren zuletzt selbst in die Kritik geraten. Das böse Wort vom "Tugendterror" machte die Runde. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit wurde gestellt: Denn zwei Dutzend Ermittler mühten sich anderthalb Jahre lang, sämtliche Beziehungen des Politikers Christian Wulff zu vermögenden Freunden nachzuzeichnen. Kontobewegungen wurden zurückverfolgt, Reiseunterlagen gesichtet, enge Mitarbeiter befragt, jeder Winkel seiner Vergangenheit ausgeleuchtet. Von den vielen Verdachtsmomenten ist ein einziger geblieben. Vorteile im Gesamtwert von 753 Euro und 90 Cent sollen Christian Wulff an jenem Wochenende vor fünf Jahren in München zugeflossen sein. Keine große Summe.
Doch die Staatsanwälte betonen bei jeder Gelegenheit, dass sich der Ermittlungsaufwand in Korruptionsverfahren nicht nach der Summe der Zuwendungen bemisst. Nicht weniger als 45 Zeugen wollte das Gericht ursprünglich vernehmen, um das Geflecht aus Geben und Nehmen zu beleuchten. Tatsächlich reisen Bedienstete des Hotels Bayerischer Hof nach Hannover, wo sie das komplizierte Buchungssystem des Hauses mit dem schönen Namen „Fidelio“ erläutern. Sekretärinnen sitzen im Zeugenstand, die sich auf Erinnerungslücken berufen. Und ein Polizeibeamter als Leibwächter, der Richter Rosenow mit seinen flapsigen Ausflüchten nervt. Zur Wahrheitsfindung habe all dies wenig beigetragen, bemerkt der Journalist Michael Berger von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.
"Was wir gehört haben, im Prozess, waren läppische Geschichten. Bodyguards, die sich an nichts erinnern können. Zimmermädchen, die sich an nichts erinnern können. Hoteliers, die sich an nichts erinnern können. Na klar: So ein schönes Hotel wie der Bayerische Hof ist in erster Linie der Diskretion verpflichtet. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn einige Personenschützer hier mal so richtig aus dem Nähkästchen plaudern. Da nimmt sich doch kein deutscher Politiker mehr einen Bodyguard! Das wäre doch ein Sicherheitsrisiko für jeden deutschen Politiker!"
Die Tatort-Kommissarin verströmt einen Hauch von Prominenz
Anfang Dezember weht ein Hauch von Prominenz durch den Schwurgerichtssaal 127 des Landgerichts. Ob es üblich sei, am Rande eines Volksfestes dienstlich über Medienpolitik zu sprechen, wie es Wulff darstellt, will Richter Rosenow von Hubert Burda wissen. Selbstverständlich, belehrt ihn der milliardenschwere Verleger aus der bayerischen Metropole. In lockerer Atmosphäre müssten sich Politiker unter die Leute mischen. Weltmeister darin sei Franz-Josef Strauß gewesen. Im Übrigen habe der Zechkumpan Wulff bereits nach vier, fünf Sätzen sein Anliegen begriffen. Das Gedränge. Der Lärm. Die Luft, die zum Schneiden ist: Freiwillig gehe sie nicht auf die Wiesn, bestätigt wenig später seine Ehefrau Maria Furtwängler, die sich dem Gericht als Ärztin und Schauspielerin vorstellt. Burda dachte, Wulff würde einladen. Furtwängler dachte, ihr Mann bezahlt. Die Rechnung beglich aber Wulff-Freund Groenewold. Was ihre Aussage wohl zur Aufklärung beitragen könne, fragt Furtwängler theatralisch. Und die Hannoveraner Tatort-Kommissarin verfällt dabei in ihren bayerischen Dialekt.
Tatjana Detloff: "Sie kam natürlich aus ihrer Haut nicht ganz raus. Sie ist Schauspielerin. Und sie scherzte erst mal mit ihrem Anwalt, ob sie denn ihr Alter verraten müsste. War nicht ganz angemessen!"
Ist Tatjana Detloff, Reporterin der GALA aufgefallen. Keine Aussage, die sich Kriminaler wünschen, merkt auch der Journalist Michael Berger an. Aber ein Duo, das offenbar gewohnt ist, sich perfekt in Szene zu setzen.
Berger: "Sie konnte sich ja an so gut wie gar nichts erinnern. Er hatte massive Aufzeichnungen in der Hand. Und eröffnete uns, dass er ja eigentlich mit Wulff schon im Bayerischen Hof verabredet gewesen sei, der das aber gecancelt hätte - und so sei man beim Oktoberfest zusammen gekommen. Burda hat sich mit Sicherheit sehr genaue Gedanken gemacht, wie er Wulff entlasten kann."
Aufnahme von Bettina Wulff im Mantel, rechts neben ihr ihr Anwalt Andreas Brinkmann.
Bettina Wulff auf dem Weg ins Landgericht Hannover mit ihrem Anwalt Andreas Brinkmann© dpa / Julian Stratenschulte
Kurzer Rock, Schluppenbluse, das blonde Haar zum Zopf gebunden: Auch der Zeugenauftritt von Bettina Wulff eine Woche später dürfte nicht nur zur Freude der Fotografen, sondern auch der Verteidigung geraten sein. Ihr Familienstatus: verheiratet und getrennt lebend, gibt Bettina Wulff zu Protokoll.
Berger: "Der Auftritt war locker, souverän. Einmal hat sie spitz den Richter gefragt: Na, was wollen Sie denn jetzt noch wissen? Wir haben alles gehört, was wir von Wulff auch schon einmal gehört haben. Dass er gar kein Interesse an einer Oktoberfest-Sause gehabt habe, weil er ja ein notorischer Safttrinker ist. Dass man es mit dem Bezahlen mal so und mal so gehalten hat. Dass man stets um private Termine auch dienstliche gestrickt habe. Oder auch umgekehrt: mal privat etwas eingeblockt in einen unheimlich prall gefüllten Terminkalender."
Gisela Friedrichsen: "Sie hat eine Begebenheit geschildert, aus dem Leben eines Ministerpräsidenten mit einer jungen Frau und einem Baby. Die alle Mühe hatten, überhaupt mal ein paar Minuten Privatleben zu haben. Und sie hat sehr nachdrücklich geschildert, wie man immer geschaut hat, dass man das Private dann doch mit dem Beruflichen noch verbinden kann."
Sagt Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.
"Ich empfand es als etwas zudringlich fast. Wenn man diese Frau fragt, wieviel denn ihr Mann getrunken hat und was sie getrunken hat. Und wie es dazu gekommen ist, dass fünf Flaschen Champagner da auf der Rechnung stehen. Mein Gott! Da war ein Kommen und Gehen. Jeder hat irgendwann mal ein Glas gekriegt. Wenn Menschen derart nackt ausgezogen werden, und wirklich jede Regung ihres Privatlebens untersucht wird. Da frage ich mich, ob das wirklich die Aufgabe der Justiz ist. Wulff hat hier keine großen, außergewöhnlichen Geschenke oder Zuwendungen von seinem Mitangeklagten Groenewold angenommen. Damit ist auch der Komplex automatisch Vorteilsgewährung erledigt. Denn wenn er nichts angenommen hat, dann kann er auch nichts dafür gewähren. Insofern sehe ich eigentlich den Prozess am Ende!"
Der Staatsanwalt hat nicht gemerkt: Das Pferd ist tot!
Nach der Einvernehmung von bislang 22 Zeugen gebe es erhebliche Zweifel, ob strafrechtlich relevante Zuwendungen überhaupt erfolgt seien, verkündet Richter Rosenow kurz vor Weihnachten in einer „Zwischenbilanz“. Denn die Wulffs streiten ab am fraglichen Abend im Hotelrestaurant mit Groenewold gegessen zu haben. Dieser hat keine Erinnerung daran, weiter Zeugen gibt es nicht. Im Käfer-Festzelt auf der Wiesn zahlte Groenewold für sämtliche seiner an der Tafel versammelten Gäste. Ausdruck eines sozial adäquaten Verhaltens, meint die Kammer: will sagen: in gewissen Kreisen so üblich. Auch musste Wulff nicht wissen, dass Groenewold einen Teil seiner Hotelrechnung sowie die Kosten für das Kindermädchen übernahm, so die bisherige Überzeugung der Richter. All dies reiche nicht für eine Verurteilung.
Bernd Müssig: "Die Stellungnahme des Gerichts liegt auf der Linie, die wir bis jetzt die ganze Zeit gezeichnet haben. Deswegen haben wir unsrem Mandanten auch dazu geraten und können ihm auch nur dazu raten: Freispruch – nichts anderes kommt in Betracht!"
Kommentiert Wulffs Rechtsanwalt, der Bonner Strafverteidiger Bernd Müssig, siegesgewiss. Ehrabschneidend sei es, ihren Mandanten weiter der Lüge zu bezichtigen, wettern Wulffs Verteidiger. Und legen gehässig nach:
Bernd Müssig: "Es ist die Tragik dieses Staatsanwalts, dass er nicht gemerkt hat, dass das Pferd tot ist, das er hier reitet."
Doch der Triumph der Verteidigung währt nicht lang. Die Staatsanwaltschaft ist weiterhin von der Schuld der Angeklagten überzeugt. Sie will, dass genau geklärt wird wie und warum sich Wulff als Ministerpräsident für das Filmprojekt Groenewolds einsetzte. Man habe sich ohnehin von der Vernehmung der bisherigen Zeugen nichts versprochen, sagt der Sprecher der Anklagebehörde, Hans-Jürgen Lendeckel. Maßgeblich seien vielmehr die unauflösbaren Widersprüche in den Aussagen der Angeklagten und den diversen Dokumenten, die bei ihnen gesichert worden sind.
Hans-Jürgen Lendeckel: "Die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf die lebensnahe und ganz genaue Analyse von Unterlagen zum Abrechnungsverhalten und Erstattungsverhalten von Herrn Wulff. Diese Analyse fehlt uns bisher. Und wir hoffen, dass das in den Folgeverhandlungen nachgeholt wird."
Mit neuen Beweisanträgen stemmt sich Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer gegen ein schnelles Ende des Prozesses. Er fordert, ein halbes Dutzend weiterer Zeugen zu laden. In der kommenden Woche soll zunächst der früheren niedersächsischen Regierungssprecher Olaf Glaeseker gehört werden. Richter Rosenow, der eigentlich bei den Parteien für eine Beschleunigung des Verfahrens wirbt, hat dem stattgegeben. Eine Ankündigung wie ein Paukenschlag, denn Glaeseker war einstmals Wulffs ständiger Berater und Wegbegleiter. Einst waren die Männer unzertrennlich, inzwischen gilt ihr Verhältnis als zerrüttet.
Hans-Jürgen Lendeckel: "Das Angebot, den Zeugen Glaeseker zu laden, bietet sich natürlich an. Weil bekannt ist: Er war damals engster Mitarbeiter von Herrn Wulff. Und er sollte auch bei diesem Oktoberfestbesuch teilnehmen, hat dann aber kurzfristig abgesagt. Sodass seine Aussage schon interessant ist."
Glaeseker hatte bislang die Aussage verweigert, um sich nicht selbst der Beihilfe zur Korruption zu belasten. Doch seit Ende letzten Jahres wäre eine solche Straftat verjährt. Gegen ihn läuft derzeit ebenfalls ein Korruptionsprozess vor dem Landgericht Hannover, in dem derselbe Staatsanwalt die Anklage vertritt. Zwar geht es dabei um gänzlich andere Vorwürfe. Doch auch in diesem Verfahren wird schon im Februar ein alter Bekannter aussagen, denn Christian Wulff ist im Glaeseker-Prozess bereits als Zeuge geladen. Der Begriff „Kreuzverhör“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung! Doch was kann und was will Glaeseker über seinen früheren Dienstherren Christian Wulff aussagen? Ist er wirklich der Trumpf der Anklage, der den Prozess noch einmal drehen könnte? Sicher ist nur eines: am 22. Januar wird im Landgericht Hannover weiterverhandelt.