Yanis Varoufakis: Time for Change – Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre
Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand
Hanser Verlag, München 2015
179 Seiten, 17,90 Euro
Komplexe Wirtschaft, leicht erklärt
In "Time for Change" erklärt Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis seiner Tochter, wie Wirtschaft funktioniert. Neben einem verständlichen Grundkurs in Ökonomie enthält das Buch auch eine Liebeserklärung - ausgerechnet an Deutschland.
Wem Graebers Schulden oder Pikettys Kapital im 21. Jahrhundert zu dick sind, wer nicht mit Attac oder Occupy! zelten geht, aber mit wachsendem Ingrimm erlebt, wie Geld die Welt nicht mehr nur regiert, sondern ruiniert, der greife zu Yanis Varoufakis' "Time for Change".
Griechenlands frischgebackener Ex-Finanzminister hat ein Büchlein geschrieben, das man auch am Strand lesen kann. Darin erzählt er, wie das funktioniert, was wir Wirtschaft nennen, und zwar seiner Tochter und "schärfsten Kritikerin". Sie lebt in Sydney bei der Mutter, die vom Vater geschieden, aber nicht mit ihm verfeindet ist. Er lebt in Athen mit der neuen Frau, mit der er auch ein Umweltprojekt organisiert.
Wir dürfen uns Varoufakis als einen modernen Sisyphos vorstellen, der "Privates" wie Familienbeziehungen ebenfalls als sein Arbeitsfeld begreift und "Öffentliches" wie Politikmachen nicht über die traditionelle Hausfrauenehe finanziert. Soviel vermeintlich "Persönliches" vorab, als Antidot gegen das Bild vom abgehobenen Schnösel, mit dem Varoufakis hierzulande als Person demontiert wird.
Wer Arbeitskraft und Geld billiger macht, generiert nicht mehr Wohlstand
"Time for Change" ist ein 180 Seiten schlanker Grundkurs darüber, wie eng und tendenziell bedrohlich Arbeit, Geld, Politik und Leben ineinander verhakt sind: intelligent und elegant erzählt, anschaulich, weil angedockt an den heutigen Erfahrungsschatz aus Film, Literatur, Geschichte und Digiwelt. Varoufakis arbeitet gern mit dem "neue-Kaiserkleider"-Prinzip, beschreibt die hinter Ökonomen-Mythen getarnten nackten Tatsachen.
Zum Beispiel: Schulden sind kein mit schwäbischer Hausfrauentugend vermeidbarer Betriebsunfall, sondern Ursprung der Marktwirtschaft. Wer Arbeitskraft und Geld billiger macht, generiert gerade nicht mehr Beschäftigung und Wohlstand. Wer "mehr Markt" durchboxt, erzeugt "mehr Staat", etwa beim Emissionshandel. Kapitalismus funktioniert nicht rational, sondern wie die Börse in André Kostolanys Bonmot: zu 90 Prozent psychologisch. Er hantiert mit Hypotheken auf die Zukunft und produziert Crashs, sobald die Gegenwart den Gegenwert nicht mehr hergibt.
Diese und mehr Paradoxa dröselt Varoufakis auf, schlüssig, aber nie als autoritär geschlossenes System. Sein Buch, 2013 geschrieben und bisher nur auf Griechisch zu haben, erscheint jetzt auf Deutsch, und das Vorwort enthält, neben einer "Hommage an die Idee von Europa als Raum gemeinsamer demokratischer Ideale", auch eine Liebeserklärung an – Deutschland. Nämlich die deutschen Radiosendungen, die 1967 bis 74 den Widerstandsgeist der Griechen gegen ihre Militärdiktatoren befeuert hatten.
Die genannte Tochter war 2013 vermutlich in dem Alter, in dem Kinder aufs Gymnasium wechseln. Was ihr Vater erzählt, sollte niemand als simplizistisch abtun, ohne einen Blick in die Medienforen zu werfen, in denen selbst erwachsene Bildungsbürger nicht mal auf Vorschulniveau sind, was das Wissen über Wirtschaft angeht.
Und den roten Faden, den Varoufakis immer wieder hochhält, sollten wir alle aufnehmen: das gute alte Aufklärungsprinzip "sapere aude" – trau dich zu wissen.