Peer Steinbrück ruft zu europäischer Solidarität auf
06:16 Minuten
Der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hat die Bundesregierung zu mehr Solidarität mit anderen EU-Staaten aufgefordert. Deutschland habe ein massives Interesse am Zusammenhalt Europas. Die EU brauche einen Wiederaufbaufonds.
Vor dem EU-Gipfel streiten die Staaten über die finanziellen Folgen der Coronakrise. Einen Kompromiss zu finden, wird bei dem Treffen per Videokonferenz voraussichtlich schwierig. Zur Solidarität in der Europäischen Union haben laut "Handelsblatt" fünf ehemalige SPD-Spitzenpolitiker gemahnt, die sich um die europäische Zukunft sorgen, darunter auch der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück.
"Die gesundheitspolitische Dramatik aus der Pandemie und die Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsplätze sind schon schlimm genug, aber es droht in der Tat ein Riss innerhalb der Europäischen Union", sagt Steinbrück. Die SPD setze sich in der Bundesregierung mit ihren Vorstellungen nicht ganz durch. Die europäische Herausforderung müsse sehr viel ernster genommen werden.
Hilfe für Nachbarstaaten notwendig
"Deutschland muss ein massives Interesse haben, angesichts seiner politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen und Bindungen in Europa, dass dieser Kontinent zusammengehalten wird." Das sei vor dem Hintergrund dessen, was in den USA, in Russland und in China passiere umso wichtiger.
Die Bundesrepublik habe wie kaum ein anderes Land von dieser europäischen Integration profitiert, unterstreicht Steinbrück: "Wir als Deutsche müssen lernen, dass es uns in dieser zentraleuropäischen Geografie immer nur so gut geht, wie es unseren Nachbarn gut geht." Und er fügt hinzu: "Wir sind nicht die Steuerzahler Europas, sondern wir haben ein massives nationales Interesse daran, diesen europäischen Kontinent zusammenzuhalten und seine Wohlfahrt und seine Wettbewerbsfähigeit zu sichern."
Sorge vor extremen Kräften
Vor allem Italien, aber auch Spanien und Griechenland seien durch die Coronapandemie besonders betroffen und vermissten europäische Solidarität. "Darüber entsteht natürlich ein wahnsinniger Streit, wie diese Solidarität gewährleistet werden kann", sagt Steinbrück. Dabei nehme die Enttäuschung in diesen Ländern ebenso massiv zu wie die antieuropäische Stimmung. "Die könnte in diesen Ländern eines Tages extreme Linke oder extreme Rechte befördern."
Nationale Interessen seien zwar völlig legitim, aber wenn sie so hochgehalten würden, dass andere Staaten darunter leiden, dann könne darüber die EU "auseinanderfliegen". Er sei kein Fürsprecher der Forderung, dass alle Schulden vergemeinschaftet werden sollten, aber die Erwartungen der mediterranen Länder sei, dass sie nicht nur Kredite bekämen. Es gehe darum, diese Staaten wirtschaftlich zu stärken: "Wir müssen aufpassen, dass sie nicht in eine Depression hineinfallen, die die Menschen dort auch beunruhigt und möglicherweise politische Kräfte wieder auf den Plan ruft, die wir alle nicht wollen." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei zwischen einer extremen Linken und einer extremen Rechen eingeklemmt.
Kredite allein reichen nicht
Bei der virtuellen Sitzung des Europäischen Rates stünde deshalb ein Wiederaufbaufonds an, so Steinbrück: "Ich glaube, das ist richtig gedacht, wird aber darauf hinauslaufen, dass man diesen Ländern nicht nur wird Kredite geben müssen, sondern sie beteiligen muss auch daran, dass sie direkt Geld bekommen."
Die bisherigen Angebote bedeuteten, dass Länder wie Italien Kredite bekämen, aber das erhöhe ihre Staatschulden, sagt Steinbrück über die Debatte rund um Coronabonds. Deshalb hätten die Regierungen darum gebeten, dass sie an der Kreditaufnahme der Gemeinschaft insgesamt beteiligt würden und damit auch an der deutschen Bonität teilhaben könnten. "Eine begrenzte und in der Höhe einigermaßen fixierte Lösung halte ich deshalb für angemessen", so Steinbrück, "damit uns Italien und andere Länder nicht davon schwimmen."
(gem)