"Brecht, hat der bei Real Madrid gespielt?"
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Einst war Jimmy Hartwig ein gefeierter Profi-Fußballer, der mit dem Namen Bertolt Brecht nichts anfangen konnte. Heute steht der 65-Jährige regelmäßig auf der Theaterbühne und spielt im "Baal" ebenso selbstverständlich wie die Titelrolle in Büchners "Woyzeck".
"Brecht? Wo hat der gespielt? Bei Real Madrid, bei Benfica Lissabon?" Als Jimmy Hartwig vor Jahren diese Fragen stellte, hatte er von Bertolt Brecht keine Ahnung. Musste der gebürtige Offenbacher während seiner Fußball-Karriere auch nicht. Doch der Schauspieler Thomas Thieme hatte ihn für eine Rolle in Brechts Theaterstück "Baal" angefragt. Thieme, selber Fußball-Fan, sah im ehemaligen Profi Jimmy Hartwig schon den Schauspieler Jimmy Hartwig. Also wollte Thiem nicht so schnell aufgeben, empfahl Jimmy Hartwig: 'Lies doch mal Brecht.'
"Von dieser Minute, wo ich Brecht gelesen habe, war ich fasziniert von diesem Menschen." Besonders packte Jimmy Hartwig dessen Biographie. Mit Anfang 20 hatte Brecht bereits den "Baal" geschrieben, später das Berliner Ensemble gegründet. "Und diese ganzen Weibergeschichten. Die [Helene] Weigel hat stillgehalten, die Weigel hat ihm alles aufgebaut. Da dachte ich: So ein bisschen Hartwig steckt doch in diesem Brecht drin."
"Der frühre Jimmy Hartwig ist tot"
Regelmäßig steht der ehemalige Fußballer jetzt auf der Bühne. Jimmy Hartwig nimmt die Sache ernst. Wer Klamauk erwartet, der sollte seine Aufführungen besser nicht besuchen.
"Den Jimmy Hartwig, den die Leute als Fußballer gekannt haben, der ist tot. Der ist mit der ersten Krebsgeschichte gestorben. Anfang der 90er Jahre bin ich gestorben, das erst Mal. Aber dann bin ich neu geboren worden. Wenn ich zurückdenke an den alten Hartwig, ist dieser Hartwig, der jetzt lebt, der ist vernünftig, der kann Verantwortung übernehmen, der weiß, wo der Weg hingeht."
Das zweite Leben nach dem Krebs
Anfang der 1990er Jahre erkrankte Jimmy Hartwig an Krebs, später noch einmal. "Der liebe Gott hat mir ein Leben geschenkt, dann hat er mir noch eines geschenkt. Das erste war ein bisschen achterbahnmässig. Aber in meinem zweiten versuche ich nicht so tief einzutauchen. Das gelingt mir die letzten 15 Jahre eigentlich auch.
Heute ist Jimmy Hartwig deshalb Gesundheitsbotschafter einer Krankenkasse, will Männer dazu bewegen, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen: "Ich kann jedem sagen, es tut nicht weh. Geht hin, es ist eine Arbeit von einer viertel Stunde."
"Ich bin als Bastard beschimpft worden"
Für den DFB ist der ehemalige Nationalspieler u.a. als Integrationsbeauftragter tätig. "Wenn wir dieses Integrationsthema nicht nach vorne gebracht hätten, wären wir [2014] nicht Weltmeister geworden. Wenn Sie sehen, wie viele Spieler mit Migrationshintergrund da mitgespielt haben. Aber wir müssen mehr tun. Wir müssen die Stimme erheben."
Als erster dunkelhäutiger deutscher Nationalspieler, der u.a. für den HSV und den 1.FC Köln unter Vertrag stand, wurde Jimmy Hartwig während seiner Karriere immer wieder beschimpft und mit "Bananen beschmissen". Sein Vater kam als GI nach Deutschland, die Mutter stammte aus Hessen. "Meine Mutter ist als Negerhure im Stadion beschimpft worden. Ich bin als Bastard beschimpft worden. Aber trotzdem habe ich nie aufgegeben meinen Mund aufzumachen. Deswegen mache ich das jetzt beim DFB."
"Die schweigende Mehrheit müsste auf die Barrikaden gehen"
Sich einzumischen, das vermisst er heute bei vielen in Deutschland, gerade auch im Fußballstadion. "Die meisten Menschen sagen, wir sind nicht rechtsradikal. Wir haben mit den Leuten nichts zu tun. Aber dann sollen sie den Mund aufmachen, wenn tausend rechte Parolen schreien, und die anderen sind 70.000. Die schweigende Mehrheit in Deutschland müsste mehr auf die Barrikaden gehen, den Mund aufmachen."
Zwischendurch kümmert sich Jimmy Hartwig weiter um das Theater. Gerade nimmt er regelmäßig Gesangsunterricht. Im September will der 65-Jährige auch singend auf der Bühne stehen. "Ich erzähle Geschichten, zwischendurch singe ich Lieder. Es geht von Brecht los, von Mackie Messer, dann die Zauberflöte, dann Udo Jürgens."