"Honeymoon" der Großen Koalition ist bald vorbei
Der ehemalige Grünen-Politiker und jetzige Professor für Soziologie und Psychologie, Hubert Kleinert, prophezeit ein baldiges Ende der guten Stimmung in der Großen Koalition. Einige sozialdemokratische Projekte sollten ja erst schrittweise kommen, die Praxis werde zeigen, ob sich die Ziele tatsächlich durchsetzen lassen.
Ute Welty: Die große Koalition steht und ihr Personaltableau. Lange hat es zwar gedauert, aber dann schien alles recht reibungslos über die Bühne zu gehen. Kaum etwas gehört hat man von Nickeligkeiten und Postengeschacher. Bedeutet Große Koalition also jetzt vor allem große Harmonie? Das kann ich Hubert Kleinert fragen, Professor für Soziologie, Psychologie und Europarecht an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen. Guten Morgen!
Hubert Kleinert: Guten Morgen!
Welty: Vor einer Stunde haben wir gehört, wie schwer sich selbst ein Oskar Lafontaine von den Linken damit tut, einen Anpack an diese große Koalition zu bekommen. Wo sehen Sie Ösen und Haken in diesem Teil des politischen Geschäftes?
Kleinert: Das wird man erst mal sehen müssen. Da gibt es sicherlich genug, was sich so in den nächsten Monaten auch an Problemen herauskristallisieren wird. Zunächst mal sieht es ja so aus, als wenn die Sozialdemokraten doch sich da ganz gut hätten behaupten können in den Koalitionsverhandlungen, sowohl, was das Inhaltliche anbetrifft, als auch, was das Personal anlangt. Sie haben ja eine ganze Reihe von Schlüsselpositionen in dieser Regierung besetzt. Jetzt wird man sehen müssen, was sozusagen unter dem Oberkommando von Frau Merkel aus all dem wird, was da an sozialdemokratischen Hoffnungen jetzt da sein wird. Also das müssen wir mal abwarten.
Koalitionsvertrag das eine, Praxis das andere
Welty: Halten Sie die ausgehandelten Personalien und Kompromisse für tragfähig über die nächsten vier Jahre? Und wo könnte noch Reibung entstehen, die das Ganze dann ja auch lebendig erhält?
Kleinert: Na ja, erst mal, sage ich mal, vom Personal her sieht es ja, und auch von dem, was im Koalitionsvertrag steht, sieht es ja so aus, als wenn die SPD recht gut abgeschnitten hätte, jedenfalls gemessen an der Tatsache, dass sie nur ein reichliches Viertel der Wählerstimmen bekommen hat und die Union eigentlich der große Wahlsieger ist. Dafür wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle sich die Union auch im Lauf der Zeit schadlos halten. Und ob jetzt etwa Sigmar Gabriel, der ja im Moment sehr stark aussieht, diese Position sozusagen unter Angela Merkel halten kann, das werden wir alles mal abwarten. Bei einigen sozialdemokratischen Projekten wird es ja so sein, dass das erst schrittweise kommt. Das werden wir sehen, ob es dann so kommt, wie es in Aussicht genommen worden ist. Stichwort Mindestlohn, Stichwort einige andere Dinge, die was mit sozialer Absicherung von Beschäftigung zu tun haben. Also da werden wir wirklich noch – der Koalitionsvertrag ist das eine und die Postenvergabe, und die Praxis, die sich dann einspielen wird über die Jahre, ist das andere. Der Honeymoon, der da im Moment da ist, wird sicher so nicht lange bleiben.
Welty: Befürchten Sie insgeheim, dass die große Koalition zu kurz denkt und zu klein sich darstellt?
Kleinert: Also, ich halte wenig davon, sozusagen schon von Anfang an sich in Beckmesserei zu üben und immer nur alles Negative …
Welty: Na ja, aber der Koalitionsvertrag ist ja eine Basis, auf der man schon mal in die Zukunft schauen kann.
Kleinert: Ja, sicher. Sicher. Aber zunächst mal enthält der Koalitionsvertrag, ich sagte es schon, ja doch, das in dem einen oder anderen Punkt alte sozialdemokratische Vorstellungen jetzt auch von der Union vertreten werden oder zumindest umgesetzt werden können. Dass es jetzt nicht der große Wurf ist, sozusagen die visionäre Kraft von übermorgen oder für übermorgen herauslugt, das ist ganz sicher richtig. Aber es sind doch einige interessante Dinge enthalten, die sozusagen in der Realisierung doch Veränderungen mit sich bringen werden, und deswegen würde ich jetzt erst mal vorsichtig sein, das alles in Bausch und Bogen zu verdammen.
Welty: Wäre Schwarz-Grün visionärer gewesen?
Kleinert: Schwarz-Grün wäre sicher die interessantere Option gewesen aus vielerlei Gründen. Aber so, wie die Dinge lagen, waren die Grünen für eine solche Option offensichtlich nicht vorbereitet. Man hatte sich im Wahlkampf so stark auf die Sozialdemokraten konzentriert, was sicherlich so auch ein Fehler war, dass man dann zumal mitten in einem Personalwechsel oder Führungswechsel wohl nicht die Kraft gesehen hat, jetzt das Ruder rumzureißen. Die Partei war einfach nicht vorbereitet darauf. So habe ich das jedenfalls gesehen. Dass ist jetzt dann doch, dass die Grünen dann gesagt haben, das machen wir jetzt mal lieber nicht.
"Tarek Al-Wazir ist ganz sicherlich nicht der geborene Schwarz-Grüne"
Welty: Warum gelingt dann Schwarz-Grün in Hessen und eben nicht auf Bundesebene? Und inwieweit hängt das wiederum mit handelnden Personen zusammen, vor allem mit einem hessischen Grünen-Chef Tarek al-Wazir?
Kleinert: Dafür gibt es einen ins Auge fallenden Grund: Die hessischen Grünen sind auf eine solche Verbindung trotz allen heftigen Streits, den man in Wiesbaden immer hatte in der Landespolitik weniger unvorbereitet als die Bundes-Grünen. In Hessen haben wir schon seit etlichen Jahren diverse Verbindungen von Schwarz und Grün im kommunalen Bereich, sodass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Partei in Hessen Erfahrungen mit solchen Bündnissen hat. Die Landespolitik, wie soll man sagen, das war lange Zeit noch so ein bisschen – da hing die Vergangenheit lange Zeit noch über allem, und da hat sich das ein Stück weit geöffnet. Also aufgrund dieser Erfahrung mit Schwarz-Grün in etlichen durchaus wichtigen Teilen des Landes, Beispiel Frankfurt, Beispiel Darmstadt, waren die hessischen Grünen, war es einfacher, bei den hessischen Grünen die Grundlage – oder ist es einfacher, die Grundlage für so etwas zu schaffen.
Welty: Was noch nicht die Frage nach Tarek Al-Wazir beantwortet.
Kleinert: Ja, Tarek Al-Wazir ist ganz sicherlich nicht der geborene Schwarz-Grüne. Er ist ja …
Welty: Den möchte ich auch mal kennenlernen!
Kleinert: Nein, aber es gibt Leute bei den Grünen, die in der Vergangenheit schon entschiedener oder klarer als Leute aufgetreten sind, die sich so was vorstellen können. Also Tarik Al-Wazir war sicher vor einem Jahrzehnt, oder ist vor einem Jahrzehnt noch als Skeptiker, als vehementer Skeptiker von schwarz-grünen Verbindungen aufgetreten. Aber Tarik Al-Wazir hat offensichtlich in dieser Situation sozusagen die richtige Einschätzung der Dinge – ich nehme das so wahr, dass man da sehr offen in die politische Konstellation, wie sie nach dem Wahltag in Wiesbaden da war, hineingegangen ist. Und dann hat man gesehen, dass Rot-Rot-Grün nicht zu machen ist. Das hat ja auch die SPD so gesehen. Und dann gab es schlicht die Alternative, soll man das mit der Union versuchen oder soll man in die Opposition gehen. Und es kann ja kein Naturgesetz sein, dass immer dann, wenn die Mehrheitsverhältnisse kompliziert werden, es dann eine Große Koalition gibt. Ich glaube, das ist recht vernünftig, dass es in Hessen nun nicht auch noch eine Große Koalition gibt, sondern mal etwas anderes ausprobiert, und offenkundig ist es ja so, dass die CDU den ernsthaften Willen hatte und hat, den Grünen entgegenzukommen. So war das möglich, und so war da nun auch Tarek Al-Wazir derjenige, der das jetzt machen kann.
Welty: Neue Politik und neue Koalitionsoptionen lotet der Soziologieprofessor Hubert Kleinert aus, und wir folgten ihm gern in diese Tiefen und Untiefen und sagen Danke dafür!
Kleinert: Bitte schön!
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