Ex-Kanzler im Parlament
"Ich möchte diesen Weg mit meiner SPD weitergehen – solidarisch, aber frei." Mit diesen Worten verabschiedete sich Gerhard Schröder als Bundeskanzler auf dem jüngsten Karlsruher Parteitag von der wehmütig applaudierenden Delegiertenschar.
Was denn wohl "frei" bedeute, darüber rätselte man eine Woche in der SPD. Wollte der gerade wiedergewählte Hannoveraner Abgeordnete Schröder, kaum aus dem höchsten Regierungsamt geschieden, auch alsbald Parlamentsverzicht leisten?
Er wollte -, wie wir nunmehr wissen. Damit ist Gerhard Schröder der erste Ex-Kanzler, der über seinen Regierungsjob hinaus nicht länger im Deutschen Bundestag verweilen möchte. Zu verstehen ist dieser Schritt freilich erst, wenn wir uns einmal näher anschauen, in welch unterschiedlicher Weise seine sechs Amtsvorgänger die Zeit ihrer Ex-Kanzlerschaft im Deutschen Bundestag bewältigt haben.
Gleich war ihnen nur, dass sie alle von der Ausschussarbeit befreit waren. Ansonsten ist zum Beispiel Konrad Adenauer über seine 14-jährige Kanzlerschaft hinaus bis zu seinem Ausscheiden kein würdiger Abschied aus dem Bundestag gelungen.
Denn wichtiger als das Reden halten schien ihm das Strippenziehen hinter den Kulissen gegen seinen ungeliebten Nachfolger Ludwig Erhard und dessen Außenminister Gerhard Schröder. Erhard blieb noch zehn Jahre über seinen Kanzlersturz hinaus Mitglied des Deutschen Bundestags. Viel zu lang, wie wohlwollende Kritiker meinen.
Seine letzte Rede im Plenum – ein halbes Jahr vor seinem Tod – war eine programmatische Botschaft für die Marktwirtschaft und gegen eine Utopie des Sozialismus, versehen mit Warnungen vor den Gefahren einer Inflation.
Kurt Georg Kiesinger, der Kanzler der Großen Koalition, hat den erzwungenen Abschied vom höchsten Regierungsamt durch den "Machtwechsel" der sozialliberalen Koalition nie innerlich bewältigt.
Immerhin gönnte man ihm den vermeintlich späten Triumph, beim Konstruktiven Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 den Antrag begründen zu dürfen. Ebenso ließ man ihn als ersten Redner die fragwürdige Stimmenthaltung der Unionsfraktion zu den Ostverträgen erklären.
Kiesinger war noch elf Jahre nach seiner Kanzlerabwahl als Abgeordneter des Wahlkreises Waldshut im Parlament, ohne größer in Erscheinung zu treten.
So blieb aus jenen Jahren das unvergessen traurige Bild der beiden verbitterten Ex-Kanzler Erhard und Kiesinger, die Monumenten gleich, in den vorderen Oppositionsbänken kauerten.
Willy Brandt war dagegen nach seinem Kanzlerrücktritt noch lange unangefochten SPD-Chef, was sein Amtsnachfolger Schmidt vor allem beim Nato-Doppelbeschluss zu spüren bekam. Außerdem blieb er als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission ein weltweit geachteter Mahner. Seine Zeit im Parlament währte noch stattliche viereinhalb Legislaturperioden bis zur Deutschen Einheit.
Kein Zweifel, Brandt bewältigte die parlamentarische Rolle des Ex-Kanzlers am besten, weil er sich als SPD-Chef ohnehin immer wohler gefühlt hatte denn als Bundeskanzler. Seine bedeutendste Parlamentsrede blieb indes die Regierungserklärung von 1969, in der er "mehr Demokratie zu wagen" versprach.
Helmut Schmidt gehörte nach seinem Sturz im Oktober 1982 noch eine Legislaturperiode als Direktkandidat des Wahlkreises Hamburg-Bergedorf dem Parlament an. Immerhin trat er vor dem Hohen Haus noch mit einem dreiteiligen französisch-deutschen Vermächtnis "zur Selbstbehauptung Europas" in Erscheinung.
Das Thema seiner drei medial geschickt eingefädelten Bundestagsreden war eine gemeinsame Sicherheitsinitiative, die in der Aufstellung von dreißig Divisionen gipfelte, welche die US-Präsenz in Europa verringern sollten. In Erinnerung vom parlamentarischen Ex-Kanzler Schmidt blieb ansonsten die berühmte Szene am Rande, als er in seinem Abgeordnetensitz gelangweilt Papierschiffchen faltete.
Währenddessen schien Helmut Kohl nach seiner Abwahl 1998 eher in den Spuren Adenauers zu wandeln. Im Hintergrund zog er lange Zeit immer noch die Strippen. Bis zu seinem Ausscheiden 2002 ward er im Deutschen Bundestag häufig nur noch als randständiger Hinterbänkler gesichtet, der sich Abgeordnete zu Einzelgesprächen kommen ließ.
Genau diese Rolle empfindet Gerhard Schröder aber als "unwürdig". Ebenso hat er sich gegen ein Parteileben nach der Kanzlerschaft à la Brandt entschieden. Auch steht ihm noch nicht der Sinn nach einer Rolle des raisonierenden elder statesman à la Helmut Schmidt.
Schröder hat mit seinem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Bundestag die berechtigte Frage aufgeworfen, ob ein abgetretener Bundeskanzler noch ein sinnvolles parlamentarisches Nachleben zu erwarten hat.
Welche außerparlamentarische Rolle er stattdessen künftig über seine Anwaltskanzlei und Beraterjobs hinaus einnehmen wird, ist noch nicht ausgemacht.
Soviel steht zumindest fest: Dass Stil und Format von Bundeskanzlern sich auch daran ermessen lassen, wie sie ihre Zeit nach dem Amt gestalten.
Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist verantwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u. a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).
Er wollte -, wie wir nunmehr wissen. Damit ist Gerhard Schröder der erste Ex-Kanzler, der über seinen Regierungsjob hinaus nicht länger im Deutschen Bundestag verweilen möchte. Zu verstehen ist dieser Schritt freilich erst, wenn wir uns einmal näher anschauen, in welch unterschiedlicher Weise seine sechs Amtsvorgänger die Zeit ihrer Ex-Kanzlerschaft im Deutschen Bundestag bewältigt haben.
Gleich war ihnen nur, dass sie alle von der Ausschussarbeit befreit waren. Ansonsten ist zum Beispiel Konrad Adenauer über seine 14-jährige Kanzlerschaft hinaus bis zu seinem Ausscheiden kein würdiger Abschied aus dem Bundestag gelungen.
Denn wichtiger als das Reden halten schien ihm das Strippenziehen hinter den Kulissen gegen seinen ungeliebten Nachfolger Ludwig Erhard und dessen Außenminister Gerhard Schröder. Erhard blieb noch zehn Jahre über seinen Kanzlersturz hinaus Mitglied des Deutschen Bundestags. Viel zu lang, wie wohlwollende Kritiker meinen.
Seine letzte Rede im Plenum – ein halbes Jahr vor seinem Tod – war eine programmatische Botschaft für die Marktwirtschaft und gegen eine Utopie des Sozialismus, versehen mit Warnungen vor den Gefahren einer Inflation.
Kurt Georg Kiesinger, der Kanzler der Großen Koalition, hat den erzwungenen Abschied vom höchsten Regierungsamt durch den "Machtwechsel" der sozialliberalen Koalition nie innerlich bewältigt.
Immerhin gönnte man ihm den vermeintlich späten Triumph, beim Konstruktiven Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 den Antrag begründen zu dürfen. Ebenso ließ man ihn als ersten Redner die fragwürdige Stimmenthaltung der Unionsfraktion zu den Ostverträgen erklären.
Kiesinger war noch elf Jahre nach seiner Kanzlerabwahl als Abgeordneter des Wahlkreises Waldshut im Parlament, ohne größer in Erscheinung zu treten.
So blieb aus jenen Jahren das unvergessen traurige Bild der beiden verbitterten Ex-Kanzler Erhard und Kiesinger, die Monumenten gleich, in den vorderen Oppositionsbänken kauerten.
Willy Brandt war dagegen nach seinem Kanzlerrücktritt noch lange unangefochten SPD-Chef, was sein Amtsnachfolger Schmidt vor allem beim Nato-Doppelbeschluss zu spüren bekam. Außerdem blieb er als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission ein weltweit geachteter Mahner. Seine Zeit im Parlament währte noch stattliche viereinhalb Legislaturperioden bis zur Deutschen Einheit.
Kein Zweifel, Brandt bewältigte die parlamentarische Rolle des Ex-Kanzlers am besten, weil er sich als SPD-Chef ohnehin immer wohler gefühlt hatte denn als Bundeskanzler. Seine bedeutendste Parlamentsrede blieb indes die Regierungserklärung von 1969, in der er "mehr Demokratie zu wagen" versprach.
Helmut Schmidt gehörte nach seinem Sturz im Oktober 1982 noch eine Legislaturperiode als Direktkandidat des Wahlkreises Hamburg-Bergedorf dem Parlament an. Immerhin trat er vor dem Hohen Haus noch mit einem dreiteiligen französisch-deutschen Vermächtnis "zur Selbstbehauptung Europas" in Erscheinung.
Das Thema seiner drei medial geschickt eingefädelten Bundestagsreden war eine gemeinsame Sicherheitsinitiative, die in der Aufstellung von dreißig Divisionen gipfelte, welche die US-Präsenz in Europa verringern sollten. In Erinnerung vom parlamentarischen Ex-Kanzler Schmidt blieb ansonsten die berühmte Szene am Rande, als er in seinem Abgeordnetensitz gelangweilt Papierschiffchen faltete.
Währenddessen schien Helmut Kohl nach seiner Abwahl 1998 eher in den Spuren Adenauers zu wandeln. Im Hintergrund zog er lange Zeit immer noch die Strippen. Bis zu seinem Ausscheiden 2002 ward er im Deutschen Bundestag häufig nur noch als randständiger Hinterbänkler gesichtet, der sich Abgeordnete zu Einzelgesprächen kommen ließ.
Genau diese Rolle empfindet Gerhard Schröder aber als "unwürdig". Ebenso hat er sich gegen ein Parteileben nach der Kanzlerschaft à la Brandt entschieden. Auch steht ihm noch nicht der Sinn nach einer Rolle des raisonierenden elder statesman à la Helmut Schmidt.
Schröder hat mit seinem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Bundestag die berechtigte Frage aufgeworfen, ob ein abgetretener Bundeskanzler noch ein sinnvolles parlamentarisches Nachleben zu erwarten hat.
Welche außerparlamentarische Rolle er stattdessen künftig über seine Anwaltskanzlei und Beraterjobs hinaus einnehmen wird, ist noch nicht ausgemacht.
Soviel steht zumindest fest: Dass Stil und Format von Bundeskanzlern sich auch daran ermessen lassen, wie sie ihre Zeit nach dem Amt gestalten.
Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist verantwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u. a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).