"Ich hatte meine Gefühle ausgeschaltet"
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Zweieinhalb Jahre war Silke Maier-Witt in der RAF. Nach ihrem Ausstieg lebte sie zehn Jahre unter falscher Identität in der DDR. Erst in ihrer Haft stellte sie sich die Frage, die sie bis heute beschäftigt: Warum habe ich das getan?
Wer Silke Maier-Witt heute begegnet, trifft auf eine freundliche, leise, humorvolle und nachdenkliche Frau von 69 Jahren. Sie lebt als Rentnerin in Mazedonien, dort und im Kosovo hat sie mehrere Jahre als "Friedensfachkraft" gearbeitet, hat geholfen, die Folgen der Gewalt wie Hass und Trauma zu bewältigen. Als junge Frau aber war sie selbst an Gewalt beteiligt, als Mitglied der Terrororganisation Rote Armee Fraktion, RAF.
Am 7. April 1977 schloss sich Silke Maier-Witt der RAF an, also an dem Tag, an dem der damalige Generalbundesanwalt Siegfried Buback ermordet wurde. Das wirkt wie ein Statement. "Ja, leider", sagt Silke Maier-Witt heute. Warum ist sie diesen Schritt gegangen?
"Es war eine Gemengelage aus Suche nach Anerkennung und politischer Überzeugung, das ist nicht voneinander zu trennen. Ich habe darüber viel nachgedacht und denke immer noch darüber nach, weil das ja die Hauptfrage ist. Wissentlich, also keine moralischen Bedenken gehabt zu haben."
Idealisierung der RAF
Sie habe die Menschen der RAF für ihre Bereitschaft bewundert, das eigene Leben für die politischen Ziele aufs Spiel zu setzen. Sie glaubte, "dass es auch nur in so einem totalen Engagement möglich ist, authentisch zu sein, bei sich zu sein und das zu leben, was man vorgibt zu wollen, nämlich den imperialistischen Staat von innen her anzugreifen. – Aber es war natürlich überhaupt nicht so." Heute vergleicht sie den Eintritt in die RAF mit dem Eintritt in eine Sekte.
Ihre Aufgaben in der RAF bestanden in Boten- und Erkundungsgängen, sie habe niemals auf jemanden geschossen. Aufkommende Zweifel habe sie immer wieder unterdrückt, die Verantwortung für ihr Leben an die Gruppe abgegeben. "Ich habe ja auch meine Gefühle ausgeschaltet, erfolgreich. Und dass das so möglich ist, das finde ich immer noch erschreckend."
Der Vater war bei der SS
Silke Maier-Witts Mutter starb früh, zu ihrem autoritären Vater hatte sie ein distanziertes Verhältnis, von seinen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg sprach er nie. Erst als sie im Gefängnis saß, erfuhr sie, dass ihr Vater bei der SS gewesen war. Und die linke, antifaschistische Tochter geht zu einer Terrorgruppe. "Das ist tragisch, ja. Einer hat mir mal gesagt: 'Und dann habt ihr mit Nazi-Methoden Hanns-Martin Schleyer mit Kopfschuss umgebracht.'"
1979, nach zweieinhalb Jahren, brach sie mit der RAF. Bei einem Banküberfall in Zürich war eine unbeteiligte Passantin erschossen worden, die Zeit der Rechtfertigung war für Maier-Witt zu Ende. Es folgten zehn Jahre unter falschen Identitäten in der DDR. Im Juni 1990, nach dem Mauerfall, wurde sie verhaftet, ihr wurde der Prozess gemacht. Silke Maier-Witt ist eine Ausnahme, weil sie als eines der wenigen ehemaligen RAF-Mitglieder vor Gericht aussagte, sie war geständig und bedauerte ihre Taten. Von den zehn Jahren Gefängnis, zu denen sie verurteilt wurde, musste sie fünf absitzen.
Sich selbst verzeihen?
Nach der Haft beendete sie ihr Psychologiestudium, machte eine Weiterbildung zur Friedensfachkraft und ging in den Kosovo.
Hat sie sich selbst verziehen? "Endgültig nicht. Immer wieder reißt etwas auf." Aber etwas ist Silke Maier-Witt wichtig: "Ich bin nicht mit eigener Hand zur Mörderin geworden."
(sf)