"Ich glaube an die These vom qualitativen Wachstum"
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In seinen 30 Jahren als Werbespezialist hat Amir Kassaei für seine Kampagnen zahllose Preise eingesammelt. 2020 verließ der gebürtige Iraner, der seine Muttersprache vergessen hat, die Werbewelt – und startet gleich drei neue Projekte.
"Werbung wird, je mehr Technologie um sich greift, immer banaler, immer substanzloser, scheinheiliger, und das ist ein gefährlicher Trend." Amir Kassaei hat sich schon immer gern kritisch mit Wirtschaftstheorien auseinandergesetzt. Statt Quantität und Gewinnmaximierung, Rückkehr zu Qualität und Innovation. Für ihn ist es eine der Konsequenzen der Pandemie, "dass wir anfangen müssen, über dieses System nachzudenken.
Kindersoldat im Golfkrieg
Amir Kassaei wird 1968 im Iran geboren und wächst in einem wohlhabenden Elternhaus auf. Vater und Mutter hatten im Ausland studiert und können ihrem Kind eine sorgenfreie Kindheit ermöglichen. Bis zur Revolution und dem ersten Golfkrieg. Als 13-jähriger wird Amir Kassaei als Kindersoldat in die Armee eingezogen, muss mit Waffen kämpfen, sieht Menschen sterben. Den Eltern gelingt es, ihren Sohn über die Grenze in die Türkei zu schmuggeln.
Dort erhält er über die Botschaft Österreichs die Möglichkeit, zu Verwandten zu ziehen. Als 15-Jähriger seine Heimat zu verlassen, allein, ohne Eltern, ohne Geld, ohne Orientierung, war in meinen Augen viel schlimmer als die Kriegserfahrung", sagt Amir Kassaei. Aber er glaube daran, dass nichts im Leben ohne Grund passiere, und er habe diese Erfahrung machen müssen, als Vorbereitung auf sein späteres Leben.
Und das war geprägt von der Welt der Werbung. Nach seinem Wirtschaftsstudium in Frankreich arbeitet er zunächst im Bereich Marketing bei L’Oreal. Später spezialisiert er sich auf die Werbung in der Automobilbranche. 2017 gründet er eine eigene Werbeagentur: C14torce. Diese kümmert sich exklusiv - und sehr erfolgreich - um die Werbung für den Automobilhersteller Seat.
Dennoch wächst in ihm der Gedanke, die Werbebranche verlassen zu wollen: "Ich hatte die Scheinheiligkeit der Werbung satt."
Neue Wege als Kreativer
Mode, Architektur und Streamingdienste sind seine neuen Arbeitsfelder. Das erste Projekt seiner neu gegründeten Architektur- und Designfirma entsteht 2019 mitten in Barcelona und nennt sich "Loft Buresq"- ein 240 Quadratmeter großes Appartement in einer ehemaligen Textilfabrik. Das Projekt wird mit dem Designpreis "Frame Wards" ausgezeichnet. Auch hier, sagt Kassaei, ging es ihm um Qualität: "Wir wollten jenseits von diesem ChiChi und Bling Bling des Luxuslebens das Thema Wohn- und Lebensqualität in den Vordergrund stellen. Es geht darum, welche Gefühle Sie erzeugen wollen, in denen sich Menschen wohlfühlen und kreativ sein können." Dafür müsse man nicht unfassbar viel Geld investieren. Man könne mit lokalen, nicht namhaften Produzenten arbeiten und jungen Designern eine Chance geben, ihre Ideen umzusetzen.
Nachhaltige Mode
Im Bereich Mode arbeitet Kassaei an einer neuen Kollektion, "die die Menschen zum Nachdenken anregen" soll. Auch hier geht es um qualitatives Wachstum. "Wenn Sie sich die Perversion der Fashion-Industrie ansehen mit den ganzen Billig-Fashion-Ketten auf der einen Seite, aber dann die High End sogenannten Luxury Fashion Brands auf der anderen Seite, hat das System ja schon vor Corona nicht funktioniert." Der Kontext von Qualität und Nachhaltigkeit sei verloren gegangen, und dem wolle er mit seiner Kollektion etwas entgegensetzen. Details will Kassaei noch nicht verraten. "Nur so viel", sagt der Marketingstratege geheimnisvoll, "es geht um Qualität und Nachhaltigkeit, und jedes Stück wird ein soziales Statement."
(kuc)