Arten- und Naturschutz statt Show und Unterhaltung
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Vom Tierpfleger zum Direktor: Udo Nagel hat sein Berufsleben im Rostocker Zoo verbracht. Ihm geht es nicht nur darum, Tiere zu zeigen. Nagel will ein Bewusstsein schaffen – für ihre Einzigartigkeit, den Artenschutz, die Folgen des Klimawandels.
In der einen Hand den Kinderwagen, in der anderen die Leine für Kali, an dieses Bild erinnert sich Udo Nagel noch immer mit großer Freude. Dabei liegt der Moment Jahrzehnte zurück.
Mit Kind und Tigerbaby
Im Kinderwagen saß der eigene Nachwuchs, daneben tapste das Tigerbaby Kali herum. Nagel hatte gerade im Zoo Rostock als Praktikant begonnen, plötzlich war er auch als Pflegevater für eine heranwachsende Großkatze gefragt.
Die Mutter hatte das Junge abgelehnt, also wurde der kleine Tiger von Hand aufgezogen. Heute sei das nicht mehr "opportun", sagt Nagel, selbst wenn die Geschichte mit dem Berliner Eisbären Knut noch nicht so lange zurückliegt.
Der Natur den Vorrang geben
"Wir müssen der Natur den Vorrang geben", betont Nagel. "Das hat sich ja auch bei Knut gezeigt. Wenn das Muttertier etwas ablehnt, dann ist irgendetwas nicht in Ordnung."
Kali habe nur gut vier Jahre gelebt und an den gleichen Symptomen wie Knut gelitten, berichtet Nagel: "Das Muttertier hat es also nicht ohne Grund liegen lassen. Da waren zerebrale Veränderungen, die sich dann im Erwachsenenalter ausgebildet haben."
Dennoch, das Erlebnis mit Kali "infizierte" Nagel endgültig. Vom Tierpfleger stieg er bis zum Direktor des Rostocker Zoos auf. In diesem Jahr ist Nagel den Ruhestand gegangen, als einer der dienstältesten Zoodirektoren Deutschlands.
Zurück bleibt auch die Erinnerung an eine Elefantenkuh. Die brach ihm zwei Rippen. "Wenn etwas mit den Tieren passiert, dann ist es immer die Schuld des Menschen", sagt er. "Ich habe einfach die Rangordnung nicht respektiert. Ich habe eine andere Kuh bevorzugt." Also wirbelte erstere den damaligen Tierpfleger durch die Luft. "Die Flugphase war sehr gut, die Landung war Mist."
"Wir haben die Leute sensibilisiert"
In seinen 45 Arbeitsjahren hat sich rund um die Institution Zoo vieles verändert, sagt Nagel: angefangen beim Verständnis für die Tiere bis zu der Diskussion über den Sinn und Unsinn von Tiergärten. Auch die Besucher würden heute viel mehr nach Zusammenhängen fragen, erzählt der studierte Agraringenieur mit Schwerpunkt Veterinärmedizin. "Das heißt, wir haben da etwas erreicht. Wir haben die Leute sensibilisiert."
Mehrfach wurde der Rostocker Zoo in den letzten Jahren ausgezeichnet. Das hänge auch mit dessen Selbstverständnis zusammen, meint Nagel. Artenschutz und Bildung habe man sich auf die Fahnen geschrieben.
In einem ersten großen Projekt wollte der Zoo die Haltungsbedingungen für die Menschenaffen verbessern: "So haben wir 2012 das Darwineum eröffnet. Das ist eine große Schau zur Evolution auf zwei Hektar, bei der im Mittelpunkt die Menschenaffen stehen."
Eine ähnliche Idee verfolgte Nagel mit dem "Polarium". Die Eisbären und Pinguine bekamen eine größere Fläche, hinzu kam auch hier ein musealer Teil. Die unmittelbaren Folgen des Klimawandels, auch für Deutschland, will der Zoo den Besuchern hier vermitteln.
Hauptsache sauber
"Wenn wir diese Tiere sehen, dann müssen wir darauf hinweisen, was in der Arktis passiert", sagt Nagel. "Wenn die Arktis schmilzt, und sie schmilzt momentan dramatisch, dann wird das Auswirkungen auf uns alle haben. Und an den Eisbären kann man das gut festmachen."
Möglichst viele und exotische Tiere, damit versuchten Zoos und Tierparks früher zu punkten, egal ob in Ost oder West.
Die artgerechte Haltung sei kaum ein Thema gewesen, erinnert sich Nagel. Sterile Käfige, mit pflegeleichten Fliesen und Kacheln: So sahen viele Anlagen aus. "Die Tierhaltung war: Hauptsache sauber."
Auch wenn sich in dieser Hinsicht viel verbessert hat, ist dem ehemaligen Zoo-Direktor klar: "Wir werden uns noch in hundert Jahren Kritik an Haltungsbedingungen stellen müssen. Das ist überhaupt keine Frage."
Werben für die Artgenossen
Doch warum muss es überhaupt noch Zoos und Tiergärten geben? Menschenaffen, Tiger oder Eisbären werden in Anlagen und hinter Gittern nie so leben können wie in der Natur.
Die Menagerie sei aus dem Gedankengut der Zoologischen Gärten verschwunden, sagt Nagel. "Wir haben heute eine Aufgabe, unsere Tiere werben für ihre Artgenossen in der Wildbahn. Das Entscheidende für mich war immer die Sensibilisierung der Besucher, denen zu zeigen, was für eine wunderbare Kreatur das ist." Arten- und Naturschutz: Daran müssten sich Zoos heute messen lassen.
(ful)