Empathische Songs der Trump-Ära
Viel Gespür für das Gesellschaftsklima der USA: Mit ihrem dritten Album "Exile In The Outer Ring" widmet sich Erika M. Anderson alias EMA der männlichen weißen Wut im Mittleren Westen. Unser Autor hat die Musikerin in Berlin getroffen.
Im Musikvideo zu "Aryan Nation", der ersten Single des neuen EMA-Albums, begeben wir uns auf eine Reise durch eine heruntergekomme Kleinstadt irgendwo im Mittleren Westen der USA. Die Kamera gleitet durch zerfallende Siedlungen, vorbei an einem Drogenpanscher hinein in die Wohnzimmer der weißen Unterschicht, dort, wo sich die Armut eingeschlichen hat.
"Diese Menschen hassen nichts mehr, als den arroganten Blick des liberalen Amerika. Sie haben nichts außer ihren Stolz. Das ist der Grund, warum sie bei der Präsidentschaftswahl gegen ihre eigenen Interessen gestimmt haben. Mir ist es wichtig, ihnen zu sagen: Ich verstehe eure Wut, ich kenne eure Armut, ich bin eine von euch, aber es gibt andere Wege als den Hass."
Die Künstlerin EMA wurde vor 35 Jahren als Erika M. Anderson in South Dakota geboren. Der dünn besiedelte Bundesstaat liegt im sogenannten "Heartland" der USA und ist einer der strukturschwächsten. Wer ein Bild braucht, denke an die ästhetisierte Trostlosigkeit im Film und der Serie "Fargo".
Mit den "Dirtbag Boys" unterwegs
Als Teenager ist Anderson mit einer Bande sogenannter "Dirtbag Boys" unterwegs. Raue junge Männer ohne Zukunftsperspektive, mit denen sie vor allem ein Faible für Drogen, Punk- und Rockmusik teilt:
"Ein Aspekt des Albums ist, wie man als Frau mit diesen Scheißkerlen klarkommen kann. Ich hatte damals den Eindruck, dass sie all die rassistischen und sexistischen Dinge bloß sagten, weil sie provozieren wollten. Mittlerweile ist es die offizielle Politik des Landes. Die Erfahrung hatte aber auch etwas Gutes: Ich habe früh gelernt, mich zu behaupten und durchzusetzen."
Geblieben ist EMA der Hang zur Dröhnung. Ihre Songs setzen sich aus Industrial, Noise-Rock und endzeitlichem Folk zusammen. Akribisch verwaltet EMA ihre Musik, errichtet Soundruinen und haucht hypnotische Mantras ins Mikrophon, wie im Stück "I Wanna Destroy". Die Texte erzählen auf sehr drastische Weise von körperlicher und seelischer Verletzung, von Gewalt und Entwurzelung.
Das Amerika der Marginalisierten
Erika M. Anderson lebt seit Jahren an der Westküste der USA. Nach ihrer Zeit im Folk-Duo Gowns hat sie zwei Soloalben veröffentlicht, die sie international bekannt gemacht haben. Für das Schreiben des neuen Albums ist Anderson in eine Kellerwohnung am Rand von Portland gezogen. Dort im "Outer Ring", also im Außenbezirk weit weg vom Stadtzentrum, hat sie ein neues Amerika entdeckt: das Amerika der Marginalisierten, der Landflüchtlinge und "Dirtbag Boys", die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt gekommen sind, das Amerika der Immigranten und das Amerika der mittelständischen Stadtbevölkerung, die mit Wuchermieten aus den Zentren vertrieben wurde. Ein Amerika, dass der selbsternannten Nihilistin zumindest ein wenig Hoffnung macht.
"Es passieren sehr spannende Dinge in diesem "Outer Ring". Es ist wie die Stelle, wo der Fluß ins Meer mündet und sich alles mischt. Momentan wirkt dieser Ort zwar eher wie eine Dystopie, aber er hat das Potential für eine Utopie. Wenn all diese unterschiedlichen Gruppen es schaffen, eine gemeinsame Vision für ein Zusammenleben zu entwickeln, dann sehe ich auch eine Chance für den Rest des Landes."
Tondokument der Trump-Ära
"Exile In The Outer Ring" ist ein bestechendes Tondokument der Trump-Ära – verwundet, wütend, erschöpft. EMAs drittes Album könnte aber auch den Beginn von etwas Neuem markieren. Vielleicht wird aus dem Exil im "Outer Ring" tatsächlich ein Daueraufenthalt für eine ganze Nation. Ein gutes Gespür für Entwicklungen lässt sich bei EMA jedenfalls nicht abstreiten, hat sie doch die Songs für "Exile It The Outer Ring" noch lange vor der Kandidatur Donald Trumps geschrieben.
"Exile In The Outer Ring" erscheint am kommenden Freitag. Ab 20. September ist EMA in Deutschland auf Tournee.