Exkursionen in deutsch-türkische Verhältnisse
Türken sind die größte Ausländergruppe in Deutschland. Kopftuch und Hassprediger, Macho-Jungs und Arbeitslosigkeit machen sie zur Problemgruppe. Doch was hinter dem Schleier vorgeht und wie es in Parallelgesellschaften aussieht, darüber kann und will Iris Alanyali in ihrem Buch "Die Blaue Reise" nicht berichten.
Wenn das Nationalballett aus Ankara in einer deutschen Stadt zu Gast ist, dann füllt sich das Foyer mit auffallend gut gekleideten, weltgewandten Menschen. Und auf einen Schlag lässt sich ein liberales Bürgertum entdecken, von dessen Existenz wir keine Ahnung haben, weil unser Blick verstellt ist von anderen Vertretern der mittelmeerischen Welt, von "Problemtürken". Doch was hinter dem Schleier vorgeht und wie es in Parallelgesellschaften aussieht, darüber kann und will Iris Alanyali in ihrem zweiten Buch "Die Blaue Reise" nicht berichten.
Obwohl die 1969 in Sindelfingen geborene Tochter eines türkischen Architekten und einer deutschen Mutter immer wieder auf diese Erwartungshaltung trifft. Sogar "Die Welt", die sie als Redakteurin im Feuilleton beschäftigt, attestiert dem Buch ihrer Mitarbeiterin, es sei Zeugnis einer gelungenen Integration. Was schlichtweg Unfug ist. Da gab es nichts zu integrieren. Insofern ist dieses Urteil ein weiterer Beweis für selbst gewählte Blindheit und mangelndes Differenzierungsvermögen, sobald es bei uns um "Ausländer" geht.
Die Autorin lässt keinen Zweifel, dass sie stolz darauf ist, Deutsche zu sein. Mit der Volte, dass sie dafür schließlich auch einiges durchgemacht habe, bis sie mit 18 Jahren ihren deutschen Pass in Händen hielt. Und fortan nicht mehr unzählige Hürden vor sich hatte, um von Baden-Württemberg ins benachbarte Frankreich zu fahren. Sie erzählt den Werdegang eines verwöhnten Jungen aus gutem Haus mit leicht dandyhaften Zügen, der als Architekturstudent einen Ferienjob in Stuttgart antritt, einige Fettnäpfchen erwischt und sich für die schwäbischen Tugenden erwärmt: aus seiner Sicht die Grundlagen des Wirtschaftswunders. Als Jahrgangsbester kommt er 1962 nach Deutschland zurück. Und bald beginnt die Geschichte mit der protestantischen Pfarrerstocher, seiner zukünftigen Frau und Mutter der Autorin.
Auf einem schwäbischen Dorf, bei Großmutter und Großtante erleben Iris Alanyali und ihre jüngere Schwester eine türkische Gegenwelt zu dem modernen, religionsfreien Elternhaus, werden verwöhnt und in das Wertesystem der beiden Frauen eingeführt: Religion gehört dazu, gutes Essen und eine tiefe Abneigung gegen die "Alibabas". Diesen rückständigen Anatoliern mit Schnauzbart und Kopftuch, den Landeiern – wie die Nachbarn – gilt ihr Misstrauen und ihre Ablehnung. Trotz der absurden und komischen Situationen spüren die Mädchen auch, dass die Damen in der deutschen Welt draußen kaum zurechtkommen und geschützt werden müssen. In den 80er Jahren lernt Iris cool zu sein und ironisch zu spielen mit den Klischees beider Welten. In verrückt kommentierten Fernsehabenden entsteht ein Stück deutsch-türkischer Kultur- und Mediengeschichte, bis Tante und Oma sich mithilfe einer Satellitenschüssel davonmachen in "eine Art Puppenhaus-Türkei".
Weitere Episoden handeln von den Reisen in die Türkei, vom Studium, als die Autorin endgültig "zur anderen Türkin" avanciert. Und da sie das Glück hatte, sich nie auf eine Seite schlagen zu müssen, behielt sie beide im Blick: Das schärft die Wahrnehmung, macht das Denken elastisch und sorgt für die richtige Portion Witz und Respektlosigkeit und zwar sowohl den Türken als auch den Deutschen beziehungsweise ihren jeweiligen Vorurteilen und Unbeweglichkeiten gegenüber. Ihre Geschichten sind deshalb von Erfahrung getränkte, gut erfundene Exkursionen in deutsch-türkische Verhältnisse – Selbstbewusstsein vorausgesetzt.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Iris Alanyali: Die Blaue Reise – und andere Geschichten aus meiner deutsch-türkischen Familie
Rowohlt 2006
256 Seiten, 16,90 Euro
Obwohl die 1969 in Sindelfingen geborene Tochter eines türkischen Architekten und einer deutschen Mutter immer wieder auf diese Erwartungshaltung trifft. Sogar "Die Welt", die sie als Redakteurin im Feuilleton beschäftigt, attestiert dem Buch ihrer Mitarbeiterin, es sei Zeugnis einer gelungenen Integration. Was schlichtweg Unfug ist. Da gab es nichts zu integrieren. Insofern ist dieses Urteil ein weiterer Beweis für selbst gewählte Blindheit und mangelndes Differenzierungsvermögen, sobald es bei uns um "Ausländer" geht.
Die Autorin lässt keinen Zweifel, dass sie stolz darauf ist, Deutsche zu sein. Mit der Volte, dass sie dafür schließlich auch einiges durchgemacht habe, bis sie mit 18 Jahren ihren deutschen Pass in Händen hielt. Und fortan nicht mehr unzählige Hürden vor sich hatte, um von Baden-Württemberg ins benachbarte Frankreich zu fahren. Sie erzählt den Werdegang eines verwöhnten Jungen aus gutem Haus mit leicht dandyhaften Zügen, der als Architekturstudent einen Ferienjob in Stuttgart antritt, einige Fettnäpfchen erwischt und sich für die schwäbischen Tugenden erwärmt: aus seiner Sicht die Grundlagen des Wirtschaftswunders. Als Jahrgangsbester kommt er 1962 nach Deutschland zurück. Und bald beginnt die Geschichte mit der protestantischen Pfarrerstocher, seiner zukünftigen Frau und Mutter der Autorin.
Auf einem schwäbischen Dorf, bei Großmutter und Großtante erleben Iris Alanyali und ihre jüngere Schwester eine türkische Gegenwelt zu dem modernen, religionsfreien Elternhaus, werden verwöhnt und in das Wertesystem der beiden Frauen eingeführt: Religion gehört dazu, gutes Essen und eine tiefe Abneigung gegen die "Alibabas". Diesen rückständigen Anatoliern mit Schnauzbart und Kopftuch, den Landeiern – wie die Nachbarn – gilt ihr Misstrauen und ihre Ablehnung. Trotz der absurden und komischen Situationen spüren die Mädchen auch, dass die Damen in der deutschen Welt draußen kaum zurechtkommen und geschützt werden müssen. In den 80er Jahren lernt Iris cool zu sein und ironisch zu spielen mit den Klischees beider Welten. In verrückt kommentierten Fernsehabenden entsteht ein Stück deutsch-türkischer Kultur- und Mediengeschichte, bis Tante und Oma sich mithilfe einer Satellitenschüssel davonmachen in "eine Art Puppenhaus-Türkei".
Weitere Episoden handeln von den Reisen in die Türkei, vom Studium, als die Autorin endgültig "zur anderen Türkin" avanciert. Und da sie das Glück hatte, sich nie auf eine Seite schlagen zu müssen, behielt sie beide im Blick: Das schärft die Wahrnehmung, macht das Denken elastisch und sorgt für die richtige Portion Witz und Respektlosigkeit und zwar sowohl den Türken als auch den Deutschen beziehungsweise ihren jeweiligen Vorurteilen und Unbeweglichkeiten gegenüber. Ihre Geschichten sind deshalb von Erfahrung getränkte, gut erfundene Exkursionen in deutsch-türkische Verhältnisse – Selbstbewusstsein vorausgesetzt.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Iris Alanyali: Die Blaue Reise – und andere Geschichten aus meiner deutsch-türkischen Familie
Rowohlt 2006
256 Seiten, 16,90 Euro