Von wegen Armutsauswanderung
Über zwei Millionen Rumänen haben in den vergangenen 15 Jahren ihr Land verlassen. Sie arbeiten als Bauarbeiter in Spanien, als Servicekraft in Hotels und Restaurants in Italien, aber auch als Erzieherinnen, Altenpfleger und Ärzte in Deutschland. Aber warum wollen so viele Rumäninnen und Rumänen ins Ausland?
Das "Barock" liegt im historischen Zentrum der westrumänischen Stadt Temeswar. Hassan Mervat und Andrea Bianca Guitan treffen sich regelmäßig in dem stilvoll eingerichteten Café am Piata Onieri mit dem großen alten Kronleuchter am Plaza Oniri.
Lass uns so schnell wie möglich aus Rumänien verschwinden, sagt Andrea auf Rumänisch. Wenn Du Dich spezialisiert hast, dürfte das eigentlich gar nicht so schwer sein, entgegnet Hassan. Beide arbeiten als Ärztinnen in einer städtischen Klinik. Die Frage ist nur: Wie lange noch?
"Ich will in ein anderes Land gehen zu arbeiten. Aber ich weiß nicht genau, ob gleich jetzt oder nach einem Monat oder einem Jahr. Weil: Ich sehe keine Änderungen."
Keine Zukunftsperspektive
Hassan, die ein wenig Deutsch gelernt hat, zieht an ihrer Zigarette; ihr Gesichtsausdruck wird ernst. Wie viele junge Ärztinnen und Ärzte sehen die beiden in Rumänien keine Zukunftsperspektive mehr.
"Ich bin in meinem zweiten Jahr. Und ich verdiene 400 Euro. Und es ist sehr teuer hier. Aber wenn Du keine Wohnung hast und Du musst eine Miete zahlen, ist das ungefähr 300 Euro pro Monat. Und dann hast Du nur 100 Euro für das Essen und alles."
Das Geld allein ist aber nicht der einzige Grund, warum sie aus Rumänien weg wollen. Auch die katastrophalen Zustände in vielen rumänischen Krankenhäusern frustrieren sie.
"In kleineren Krankenhäusern müssen die Patienten ihre eigenen Medikamente kaufen. Und nicht nur die Medikamente. Alle 'Pasamente', Verbände - sie müssen alles kaufen."
Seit Jahren gehe das so, berichten die beiden jungen Ärztinnen. Und der Mangel, er habe die Korruption im Gesundheitswesen noch verstärkt. Viele ihrer Kollegen lassen sich von Patienten und Angehörigen Geldscheinen zustecken. Diejenigen, die das nicht mitmachen wollen, sehen häufig nur einen Ausweg: Raus aus Rumänien.
"Ich glaube, so etwa 50 Prozent, ja vielleicht mehr, 60 Prozent von uns in einem deutschen Zentrum und lernen Deutsch und danach ist alles leicht. Deutschland ist die erste Position, Deutschland und Frankreich."
Deutsche Kindergärten suchen Personal
"Können wir vielleicht was singen? Eins, zwei, drei… Am Montag muss das Minimonster."
Weg wollen auch drei der 18 Erzieherinnen im deutschsprachigen Kindergarten "Kinderwelt". Der liegt in einem villenähnlichen Gebäude am Stadtrand von Temeswar. Rund 80 Mädchen und Jungen kommen jeden Tag hierher.
Die drei jungen Frauen haben sich auf eine Stelle in Stuttgart beworben. Dort sucht das Jugendamt händeringend nach Personal mit Deutschkenntnissen, auch aus Rumänien. Martina und Alina waren schon beim Vorstellungsgespräch, gemeinsam mit gut zwei Dutzend weiteren Kolleginnen aus Rumänien.
"Es geht um Erfahrung, um Geld. Manche wollen für immer nach Deutschland, weil das eine andere Möglichkeit ist, etwas Neues zu machen. Ein neuer Lebensstil."
"Für mich ist das eine Opportunität, meine deutsche Sprache zu verbessern. Meine Selbstentwicklung - die Pädagogik zu lernen. Ich bin neugierig. Ich weiß auch, dass viele Leute wegen dem Geld gehen. Das ist aber nicht so wichtig für mich."
Erzieherinnen, Ärzte, aber auch Krankenschwestern, Altenpfleger, Bauarbeiter, junge Informatiker: In Scharen verlassen die Rumäninnen und Rumänen ihr Land. Viele sind verbittert.
Ende der Korruption gefordert
Auf dem zentralen Platz vor der Temeswarer Oper sind über 100 Menschen zu einer Demonstration gegen die Regierung zusammengekommen. "Viata nostre - unde este?" - "Unser Leben - wo ist es geblieben?" steht auf einem großen Transparent, das ein alter Mann mit Hut und Sakko hochhält. Andere fordern lautstark endlich ein Ende der grassierenden Korruption im Land.
Das ist auch immer wieder Thema ein paar hundert Meter weiter, im schmucken Café "Barock", am Tisch der beiden jungen Ärztinnen Hassan und Andrea. Hassan erinnert sich noch gut daran, wie manche besser betuchte Studierende an ihr Examen gekommen sind.
"Mit Geld. Geld geben - und Du bekommst Dein Zertifikat. Das ist alles."
Dass sich daran seit Jahren nichts geändert hat, raubt den beiden Ärztinnen jegliche Hoffnung auf Besserung. Und damit die Hoffnung, in naher Zukunft vielleicht wieder in ihre Heimat zurückzukehren.
"Ich kenne keinen Mitarbeiter oder Kollegin, die nach Deutschland gegangen ist und zurückgekommen ist, nein. Nein, alle, die dorthin gegangen sind, sind dort geblieben."