"Exorzismus – das gibt es noch? Anfangs war ich geschockt, als ich von dem Boom in Polen hörte, besonders als Kind polnischer Auswanderer. Schnell lernte ich: Ein bloßes, verständnisloses Kopfschütteln reicht da nicht, das Phänomen ist vielschichtiger. Ein spannendes Thema, bei dem ich viel über meinen eigenen Glauben und über polnische Befindlichkeiten lernte."
Auf Teufel komm raus
Siebenmal musste Reporterin Nadine Wojcik nach Polen reisen, bis sie eine junge Frau traf, die glaubte, vom Teufel gequält zu werden und sich verschiedenen Exorzisten anvertraute. Dabei sind Teufelsaustreibungen in Polen durchaus üblich, sie boomen sogar.
Wir schleichen durch das massive Kirchenschiff. Karolina und ich. Ganz selbstverständlich zeigt mir die 32-Jährige ihre Lieblingskirche in der Krakauer Altstadt. An unserem Treffen ist jedoch nichts selbstverständlich. Wir flüstern, es fühlt sich nahezu konspirativ an. Karolina ist täglich hier, erzählt sie, zur Mittagsmesse.
"Kennen sich die täglichen Kirchenbesucher untereinander?", frage ich.
Karolina: "Ja, schon. Jeden Tag die gleichen Babcias, die gleichen Omis - wir kennen uns natürlich."
Mehrere Monate habe ich auf dieses Treffen mit Karolina hingearbeitet. Die blonde Frau mit buntem Brillengestell und Marienanhänger um den Hals ist die einzige Betroffene, die mit mir darüber reden will. Über Exorzismus. Über den Teufel.
Wir trotten zu einem kleinen Park am Rande der Altstadt, sitzen nun im Schatten der Bäume auf einer Bank. Vier Anläufe waren nötig, bis Karolina einem Treffen zusagte. Immer wieder zögerte sie, sagte im letzten Moment ab. Zu intim sind ihre Erfahrungen mit dem Satan, es kostet sie Überwindung, darüber zu sprechen. Jetzt sitzen wir hier. Und ich will endlich wissen: Wie fühlt er sich an, der Teufel?
Karolina: "Das war ein Kampf. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich zitterte. Am ganzen Körper. Ich konnte nicht mehr sprechen. Wenn ich was sagen wollte, fühlte es sich an, als ob ich ersticke."
Jahrelang vom Satan gequält
Sechs Jahre sei sie vom Satan gequält geworden, erzählt Karolina. Besessenen war sie nicht, erklärt sie erleichtert, nur "belagert". Das ist die Vorstufe des Schlimmstmöglichen, der Besessenheit.
Karolina: "Manchmal fühlte es sich so an, als ob jemand hinter mir steht. So eine große Angst, dass jemand hinter mir läuft und mich umbringen will, oder mir etwas antun möchte."
Passanten laufen an unserer Bank vorbei, ein Straßenmusiker spielt im Takt ihrer Schritte. Der friedliche Krakauer Alltag steht im unwirklichen Gegensatz zu unserem Gesprächsthema. Karolina ist Anfang 20, als ihr Kampf mit dem Satan beginnt, bei einer Pilgerfahrt zum bosnischen Wallfahrtsort Medjugorje.
Karolina: "Die Nonne, mit der ich dort war, wollte mit mir zur Messe gehen. Aber ich konnte die Kirche plötzlich nicht betreten. Es ging einfach nicht, irgendeine Kraft hielt mich davon ab. Die Nonne erzählte mir später, wie mir die Augen hervortraten und ich mich auf dem Boden krümmte."
Ob man Karolinas Erlebnissen glaubt oder nicht – fest steht: Die junge Frau denkt sich das Teufelszeug nicht alleine aus.
Im Kampf mit dem Teufel
"Woher wussten Sie, dass Sie spirituelle Hilfe benötigen?"
"Das verdanke ich der Kirchengemeinde. Jemand riet mir damals, dass ich einen Exorzisten aufsuchen sollte. Selbst wäre ich nicht auf diese Idee gekommen. Ich hatte wirklich großes Glück, dass ich auf so gute Menschen getroffen bin, die mir keinen Schaden zufügten."
Auch das ist Karolina. Nicht auf der Parkbank, sondern in einem Dokumentarfilm. Vor drei Jahren war sie beim Exorzisten. Da steckte sie noch mittendrin, im Kampf mit dem Satan.
Auf den Bildern liegt Karolina zusammengekrümmt auf dem Boden einer Kirche, die Hände zu Fäusten, die Arme an den Brustkorb gepresst. Zwei Gebetsbänke sind vor dem Altar aufgebaut, auf der einen kniet der Pfarrer, auf der anderen kniet Karolina. Gemeinsam beten sie den Rosenkranz, dann beim Lobgesang Marias bricht es aus der jungen Frau heraus. "Ich bringe Dich um", droht sie, zieht am Zipfel des Talars.
Der Film zeigt, wie sich Karolina anfangs ganz ruhig mit dem Pfarrer unterhält. Der katholische Priester Maciej ist Exorzist, vom Bischof dazu offiziell ernannt. Dank dieser Ernennung durch den obersten Chef darf er Sonderaufgaben übernehmen. Sprich: den Teufel aus Menschen austreiben.
Ungefähr 130 Pfarrer in Polen sind gleichzeitig Exorzisten mit offiziellem Segen – die genaue Anzahl liefern leider weder die Diözesen noch die polnische Bischofskonferenz. Wer zum Exorzisten ernannt wird, braucht keine Schulung. Alles, was die Teufelsaustreiber wissen müssen, steht im sogenannten Rituale Romanum.
Hier gibt der Vatikan seit 1614 vor, wie ein Exorzismus abzulaufen hat – das Ritual wurde allerdings 1999 reformiert. Seither ist eine Prüfung obligatorisch und eine entscheidende Frage muss vor der Intervention beantwortet werden: Liegt tatsächlich eine Besessenheit vor oder eher eine psychische Erkrankung?
Nicht besessen, sondern belagert
Pfarrer im Film: "Haben Sie irgendeine Art Pakt mit dem Teufel unterschrieben?"
Karolina im Film: "Einmal habe ich ein Hexenbrett benutzt. Und ein anderes Mal hat eine Freundin ohne mein Wissen eine Wahrsagerin nach Hause eingeladen. Einen Pakt habe ich nie unterschrieben."
Die junge Frau wird nicht als besessen, sondern nur als durch den Satan belagert eingestuft – denn der Teufelsaustreiber, burschikose Statur und kurzgeschorene Haare, betet anschließend nicht das vatikanische Ritual, sondern herkömmliche Gebete. Das ist eher die Regel als die Ausnahme, denn die Mehrzahl der Hilfesuchenden befindet sich nach Einschätzung der Exorzisten in einer Vorstufe der gefürchteten Besessenheit.
Der Dokumentarfilm "Kampf mit dem Satan" von 2015 wird an einem Winterabend im alternativen Theater in Posen gezeigt. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion erzählt Regisseur Konrad Szolajski von den zermürbenden Dreharbeiten. Viele Anläufe habe es gebraucht, bis er bei einem Exorzismus dabei sein konnte – zunächst ohne Kamera.
Konrad Szojalski: "Und da habe ich gesehen, wie der Pfarrer ein Mädchen mit Bändern an einen Stuhl gebunden hat. Es wäre mir im Traum nicht eingefallen, dass solche Riten aus dem 17. Jahrhundert real sind. Sie war ein nettes, schüchternes Mädchen – delikat. Aber als die Bänder an ihren Unterschenkeln, Unterarmen und am Körper festgebunden wurden, bekam sie einen derartigen Anfall, dass sie nur noch unglaublich vulgär und obszön geschrien und beleidigt hat, mit religiös sexuellen Fantasien."
Darf man Besessene festbinden?
Stellt ein Exorzist eine Besessenheit fest, wird der sogenannte Große Exorzismus gebetet. Das ist eine Abfolge von Gebeten, Psalmen, Evangeliumstexten, Symbolhandlungen wie Zeigen eines Kreuzes und letztlich dem Befehl des Exorzisten an den vermeintlichen Teufel, auszufahren. Das kann zehn Minuten dauern oder aber mehrere Stunden, besonders wenn sich die Betroffenen während der Gebete wehren und um sich schlagen. Die drei jungen Frauen, die in Konrad Szolajskis Dokumentarfilm portraitiert werden – darunter auch Karolina - gingen über mehrere Jahre regelmäßig zu solchen Sitzungen. Freiwillig.
Andrzej Rajewski: "Ich sehe bei keinem der vorgestellten Fälle etwas, was man nicht psychologisch oder psychiatrisch erklären könnte. Es scheint mir, dass die Personen Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen und dass die Störung eine gewisse Funktion erfüllt."
Das sagt Andrzej Rajewski, ein Podiumsgast der heutigen Filmvorführung. Für den Vorsitzenden des polnischen Psychiater-Verbandes gibt es eine große Diskrepanz zwischen Glauben und medizinischem Wissen. Verbieten kann man den Glauben deswegen aber nicht. Natürlich nicht, pflichtet ihm Regisseur Szolajski bei. Aber - und deshalb habe er den Film gemacht - man müsse öffentlich diskutieren, wo die Grenzen verlaufen. Was ist innerhalb dieses - auch in Polen umstrittenen - Rituals vertretbar? Darf man Personen zum Beispiel festbinden – auch wenn sie einverstanden sind? Angstzustände werden dadurch verstärkt, so der Vorwurf.
Konrad Szolajski: "Die erlernen unbewusst eine Rolle. Solange die Mädchen nicht festgehalten werden, solange schlagen sie auch nicht um sich. Das ist wie im Theater. Wenn es kein Publikum gibt, keine Männer, die schon auf ihren Einsatz zum Festhalten warten, dann manifestieren sie sich nicht."
Frauen gehen häufiger zum Exorzisten
Ein paar Tage später sitze ich bei Konrad Szolajski am Küchentisch. Bei schwarzem Tee mit Zitrone sprechen wir über seine Recherche.
Warum er drei junge Frauen portraitiert hat, frage ich.
Konrad Szojalski: "Frauen sind hier in der Mehrzahl. Es gibt auch Männer, meistens alkohol- oder drogenabhängig, und denen helfen die Exorzismen manchmal sogar. Die meisten aber sind Mädchen, vor allem in der Pubertät. Und wenn ein Kind psychische Probleme hat, dann ist es für die Eltern oftmals leichter, es zum Exorzisten zu bringen – das ist nicht so stigmatisierend. Denn würden sie zum Psychiater gehen, dann gilt das Kind als nicht normal. Das ist in Polen schlecht angesehen: Oh, mein Kind ist verrückt."
Der erfahrene Dokumentarfilmer Konrad Szolajski, 60 Jahre alt mit silbergrauen kurzen Haaren, hatte es schwer mit der Recherche.
Bis er die Exorzismen der jungen Frauen drehen kann, kassiert er eine Absage nach der nächsten. Ein befreundeter Bischof verschafft ihm schließlich Zugang.
Ich kenne leider keinen Bischof. Über die vielen Monate meiner Recherche erhalte ich nonstop Absagen, eine nach der anderen.
Ich rufe 15 Exorzisten an, ich schreibe Emails an alle 41 Bistümer, niemand möchte mit mir sprechen. Die polnische Bischofskonferenz hat meine Emails angeblich nicht erhalten – bis heute. Man arbeite im Verborgenen, antwortet eine Diözese. Ein Exorzist, den ich nur per Facebook erreichen kann, sperrt mich nach meiner Anfrage auf seiner Seite.
Zeitschrift "Der Exorzist" und ihr Teufelszeug
Einer jedoch sagt gleich zu Beginn meiner Recherche zu: Mariusz Błochowiak, Herausgeber des monatlichen Magazins "Der Exorzist" mit dem Beisatz "Zeitschrift der freien Menschen". Geschrieben und beraten von Exorzisten, approbiert von der katholischen Kirche, widmet sich das Magazin jeden Monat diversem Teufelszeug, das heißt: Dingen und Methoden, die dem Satan angeblich die Pforte öffnen. Denn der Teufel, so lerne ich, sucht einen Menschen nicht willkürlich heim – diese unerwünschte Begegnung verursacht man selbst – durch Sünde.
Bevor ich zu dem Interview fahre, will ich erst ein Blick in die Zeitschrift werfen. An einem Kiosk in der Nähe des Warschauer Hauptbahnhofes kaufe ich das Hochglanzmagazin, auf dessen Cover ein langgliedriger Alien zu sehen ist, dazu ein bedrohlich roter Sonnenuntergang, ein fliegendes UFO und auch ein riesiges, leuchtendes Kreuz. Ich blättere verwundert durch das Magazin – was hat das mit dem Teufel zu tun?
Mariusz Błochowiak: "Wissen Sie, es gibt verschiedene Hypothesen darüber, was ein sogenanntes UFO eigentlich ist. Uns erschien die Annahme am wahrscheinlichsten, dass unbekannte Flugobjekte die Manifestation des bösen Geistes sind. Menschen, die ein UFO sichten, klagen anschließend über psychische Probleme. Und warum haben diese Wesen stets Angst vor dem Namen Jesu Christi? Das sind sehr deutliche Hinweise darauf, dass es sich hierbei um Dämonen handeln muss."
Das sagt Mariusz Błochowiak, seit 2012 selfmade Herausgeber des "Exorzisten". Eine Redaktion hat er nicht, der "Exorzist" ist ein Autorenmagazin mit Auflage von 20.000 Exemplaren. Deswegen treffen wir uns auch im Café eines Einkaufszentrums.
Mariusz Błochowiak: "Das Magazin ist dafür da, um Leser über den Teufel aufzuklären. Wenn Sie zum Beispiel in den Wald gehen und Sie wissen nicht, dass dort Wölfe leben, wird sie das vor einem Angriff bewahren? Nein. Das ist so wie mit der Physik, es gibt Sachen, die geschehen unabhängig vom Menschen."
Wissenschaftler glaubt an teuflische Ufos
Mariusz Błochowiak, etwa 40 Jahre alt, akkurat gebügeltes Hemd und Anzugshose, ist promovierter Physiker. Ein Wissenschaftler, der an teuflische Ufos glaubt. Mit unaufgeregter und bedachter Stimme erzählt er von den Themen früherer Ausgaben des Magazins: Tattoos, Homöopathie, Depressionen, Familienaufstellung, Computerspiele, Workaholic und Gender. In all diesen Dingen und Methoden steckt der Teufel. Dunkle Mächte lauern hier und da. Ihm macht es Spaß sich damit zu beschäftigen - und er hofft sogar, damit zu helfen.
"Mir gefällt, dass ich viele neue Sachen kennenlerne und mich intellektuell weiterentwickele. Wissen fällt ja nicht vom Himmel und unsere Zeitschrift kann da helfen. Wir sind nicht unfehlbar, es geht vielmehr darum, eine Debatte zu ermöglichen. Und nicht so wie in Deutschland, wo das verboten ist. Oder ausgelacht. Darum geht es."
"Sie haben in Deutschland promoviert, wie ist es ihnen dort ergangen?"
"Wissen Sie, ich fühle mich in liberalen Ländern grundsätzlich nicht wohl. Die Menschen haben den Kontakt zu Gott verloren, sind meiner Meinung nach ideologisiert. Eine andere Mentalität: eigenständig, leichtlebig, liberal."
Von Mariusz Błochowiak und seinem Magazin lerne ich: man sollte ständig auf der Hut sein. Und fromm leben. Ich besuche einen Gottesdienst in einer katholischen Gemeinde im Ostteil Warschaus. Es ist Donnerstagabend, das Haus ist voll. Heute findet eine besondere Messe statt: Zur Befreiung und Heilung von satanischen Qualen.
Befreiungsmessen sind sehr populär
Befreiungsmessen wie diese gibt es in allen mittleren und größeren Städten in Polen. Sie sind sehr populär – manchmal stehen Gläubige bis auf die Straße.
Ein Mobiltelefon klingelt, der Priester unterbricht seine Predigt. "Meine Lieben" säuselt er, "bitte schaltet die Handys aus. Der Satan weiß, wann er zu stören hat." Ob es denn nicht merkwürdig sei, dass die Telefone meist während der Predigt klingeln. Die Worte hallen durch das Kirchenschiff, niemand regt sich, keiner scheint sich über die priesterliche Interpretation zu wundern.
Befreiungsmessen sind herkömmliche Gottesdienste – mit besonderem Fokus auf das Seelenheil.
So zum Beispiel beim sogenannten Befreiungsgebet, direkt nach der Predigt. Viele holen Ketten, Heiligenbilder, aber auch Wasser in Plastikflaschen hervor – alles wird gesegnet. Anschließend verliest der Priester individuelle Fürbitten:
"Halte die islamische Invasion auf. Beten wir in Gedenken an die Großväter Josef und Max. Beten wir darum, dass Polen erhalten bleibe. Hilf Paweł, dass er vom Alkohol loskommt. Öffne den europäischen Kommissaren ihr Herz für das heilige Evangelium."
Für diese Messen braucht es keinen Exorzisten – Befreiungsgebete kann jeder beten. Selbst im "Vaterunser" findet sich die Zeile "Erlöse uns von dem Bösen". Nur den Teufel direkt ansprechen, das ist der alleinige Wirkungsbereich des Exorzisten.
Und da. Endlich. Eine Interviewzusage: Pfarrer Andrzej Grefkowicz, Teufelsaustreiber seit 1999 in Warschau und mittlerweile Koordinator aller Exorzisten in Polen, will mit mir sprechen.
Exorzisten arbeiten mit christlichen Psychologen zusammen
Ich treffe Pfarrer Andrzej im Seelsorgezentrum Bednarska. Hier sind drei Exorzisten tätig – und auch eine Vielzahl christlicher Psychologen. Man arbeite eng zusammen. Ein Betroffener bekommt erst dann einen Termin beim Teufelsaustreiber, wenn er zuvor einen Psychologen konsultiert hat.
Im Rituale Romanum ist festgeschrieben, in welcher Reihenfolge Gebete, Psalmen, Symbolhandlungen wie Besprenkeln mit Weihwasser abgehalten werden sollen. Bei Pfarrer Andrzej kommt noch eine neue Dimension dazu.
Andrzej Grefkowicz: "In der Regel beten wir in einer Gruppe. Idealerweise sind außer mir noch sechs Helfer dabei. Drei Personen beten gemeinsam mit mir und der betroffenen Person, drei weitere beten in einem Nebenraum – zum einen um Gottes Unterstützung, zum anderen erfahren sie in diesen Gebeten verborgene und vergessene Dinge über die Person, auch Details aus der Kindheit."
Den Teufel selbst hat Grefkowicz in all den Jahren noch nie in sich selbst gespürt. Nur in anderen. Gott zeigt sich ihm, erklärt er: in außergewöhnlichen Gedanken oder wenn ihm plötzlich ein Licht aufgeht. Während des Interviews bleibt der etwa 50-jährige, schlanke Exorzist sehr vage. Redet in Metaphern. Seine Exorzismen hingegen verlaufen sehr strukturiert. Jeweils montags und mittwochs empfängt er je vier Betroffene. Sie alle kämpfen mit dem Satan, davon ist er überzeugt, das hat er vorher abgeklärt.
Aber in der Regel ist aus seiner Sicht nur einer der acht tatsächlich besessen und verliert zeitweise die Kontrolle über den Körper – während der Teufel diesen übernimmt. Die anderen sind nur belagert, also vom Satan gequält und schikaniert mit Ängsten, Depressionen, Halluzinationen, Albträumen oder auch mal durch nächtlichen Spuk und durch Gegenstände, die durch die Gegend fliegen.
An eine seiner ersten Begegnungen mit dem Teufel kann sich Grefkowicz noch genau erinnern:
"Einmal habe ich gemeinsam mit einer besessenen Person gebetet, was ich vorher allerdings nicht wusste. Während des Gebets hob sie die Hand und stieß mich weg. Gleichzeitig rief sie: 'Oje, was passiert hier? Das möchte ich doch gar nicht!' Das war damals ein Schlüsselmoment für mich. Der böse Geist beeinflusst den Körper und man kann nichts dagegen tun."
Immer mehr Exorzisten in Polen
Die Zahl der Exorzisten ist stark gestiegen, es gibt mindestens 130 in Polen. Vor zwanzig Jahren waren es nur vier. Man habe den Nachholbedarf gedeckt, erklärt Exorzist Grefkowicz, inzwischen sei die Anzahl der Teufelsaustreiber stabil. In das Seelsorgezentrum Bednarska kamen im Jahr 2014 genau 609 Menschen zur Erstkonsultation mit einem Psychologen. Die große Mehrzahl, nämlich 576, wurden anschließend einen Exorzisten vorgestellt. Ziemlich umtriebig scheint der Teufel in Polen zu sein, deshalb stellt sich mir die Frage: warum ist der Satan gerade in so einem gläubigen Land wie Polen aktiv – und nicht zum Beispiel in Deutschland?
Andrzej Grefkowicz: "Der Unterschied liegt darin: Die einen wissen Bescheid und die anderen nicht. Vielen Menschen, die in Psychiatrien festsitzen, könnte eher ein Exorzist helfen, nicht wahr? Außerdem macht sich der Teufel erst bemerkbar, wenn man versucht, ihm zu entkommen."
Die letzte Station meiner exorzistischen Reise führt mich zu den Nationalen Besinnungstagen – ein zwölfstündiges religiöses Massenevent, geleitet von Exorzist John Bashobora aus Uganda. Immer wieder sind auf der Festivalwiese Schreie zu hören. Der angebliche Moment, wenn der böse Geist ausfährt.
Polens Gläubige lieben den 70-jährigen Priester. Erstaunlicherweise ist er in seinem eigenen Land weitaus weniger bekannt, seine Internetseite und auch sein Wikipedia-Eintrag sind in erster Linie polnisch-sprachig. Rund 20.000 Gläubige sind heute nach Lichén gekommen, einem polnischen Wallfahrtsort mit nigel-nagel-neuer Kathedrale, die dem Petersdom ähnelt, auch wegen der bombastischen Größe.
John Bashobora: "Alles was nicht von Gott ist, verlässt uns jetzt. Auch Krebs. Jesus hat uns nicht mit Krebs oder Kreislaufschwierigkeiten geschaffen. Und in dieser göttlichen Freude werden die Krüppel wieder laufen, die Blinden sehen, die Knochen tanzen vor Freude!"
Göttliches Gelächter nach der Wunderheilung
20.000 Menschen strecken die Arme nach oben. Kaum ist das Böse ausgefahren, fallen sie in das sogenannte göttliche Gelächter ein. Jeder scheint hier nicht nur an die vermeintlichen Wunderheilungen des Bashobora zu glauben – sie fühlen sie bereits.
Dass dabei Gläubige schreien oder ausrasten, kümmert niemanden. Immer wieder beobachte ich, wie Frauen einfach umfallen oder Männer sich heulend auf den Boden schmeißen.
John Bashobora: "Im Namen von Jesus: Sollte in Dir der böse Geist der Krankheit oder der Erschöpfung sein, befehle ihm – und das muss jetzt direkt aus Deinem Herzen kommen – geh raus! Geh raus!"
Bashobora, schlichtes anthrazitfarbenes Hemd mit weißen Priesterkragen, ist katholischer Geistlicher. Er ist auf Einladung des Bischofs hier und sein Event wird von mehr als 100 polnischen Priestern unterstützt – sie nehmen unter freiem Himmel die Beichte ab, neben ihren Klappstühlen stehen die Menschen Schlange. Für Teile der katholischen Kirche in Polen scheint es offensichtlich keinen Widerspruch zwischen den strengen Prüfungen des Vatikans bei vermeintlichen Wunderheilungen und den zweifelhaften Versprechen des Bashobora zu geben.
Der ugandische Exorzist hat an der Päpstlichen Universität in Rom studiert und ist dort der sogenannten Charismatischen Erneuerung des Heiligen Geistes beigetreten. Im Zentrum dieser Strömung stehen spontane, freie Gebete mit erhobenen Händen oder Segnung durch Mitbetende. Die Gläubigen berichten, Gottes Liebe körperlich zu spüren.
Wo ist die Grenze zwischen Glauben und Aberglauben?
Auch Exorzist Grefkowicz, den ich nach langer Suche interviewen konnte, ist Teil der Charismatischen Erneuerung in Polen, er ist sogar in Warschau so eine Art Koordinator.
Andrzej Kobylinski: "Liebe Frau Wojcik, wir haben in Polen einen religiösen Krieg. Es ist ein neuer Fundamentalismus. Schrecklich. Gefährlich. Zumal man mit diesen Leuten nicht diskutieren kann. Wie eine Sekte, kein Dialog. Das ist ein Krieg."
Andrzej Kobylinski ist auch Katholik und Priester, aber er sorgt sich um die Entwicklungen in der katholischen Kirche Polens sehr. Mit neuen Strömungen wie der Charismatischen Erneuerung oder auch der Pfingstbewegung durchlebt das Christentum seiner Meinung nach eine radikale Veränderung – vom Glauben hin zum Aberglauben. Kobylinski ist Gelehrter an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau. Die Kirche, so meint er, droht zu zersplittern und sich selbst dabei zu verlieren.
Andrzej Kobylinski: "Erstens herrscht in Europa leider ein gewisser religiöser Analphabetismus. Nur wenige können heute noch benennen, was eigentlich typisch katholisch ist und nehmen spirituelle Moden unkritisch an. Zweitens sind die vermeintlichen Versprechen der Pfingstbewegung sehr effektiv und bedienen das, was Menschen brauchen. Willst du gesund sein? Bitteschön. Willst du reich sein? Komm zu uns, du wirst reich! Drittens bringt eine generelle Globalisierung der Welt auch eine Globalisierung der Religionen mit sich. Dadurch entsteht eine synkritische Form aus bisschen Christentum, bisschen afrikanische und bisschen asiatische Religion. Diese Transformation ist die tiefste, die wir bislang erlebt haben."
Der Boom des Exorzismus ist laut Kobylinski ein Teil dieser Veränderungen. Eine Reaktion auf die Versprechen der Charismatiker und Pfingstler, deren Welt sich - vereinfacht gesagt – so erklärt: Alles, was Dir Schlechtes widerfährt – Rauchen, Autounfall, Fehlgeburt, vermasselte Prüfung – ist das Werk von Dämonen.
Die familiären religiösen Gemeinschaften versprechen schnelle, einfache Lösungen – egal für welches Problem. Auch im Namen der katholischen Kirche, die hier offensichtlich nicht den Anschluss verlieren will.
John Bashobora: "Depression verlässt dich jetzt. Verschiedene Leiden verlassen jetzt deinen Körper. Diejenigen, die Hörgeräte tragen, werden diese jetzt nicht mehr brauchen. Im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Jetzt und in alle Ewigkeit. Amen."
Die Recherche wurde durch das Robert-Bosch-Programm "Reporters in the Field" unterstützt.
Mehr Informationen: "Wo der Teufel wohnt"