Exot ohne musikalische Grenzen

Von Guylaine Tappaz · 22.07.2009
Der 46-jährige Musiker Gilles Apap verbindet klassische Musik von Mozart oder Vivaldi mit Folkmusik aus Irland oder Indien. Sein großes Vorbild, der Geiger Yehudi Menuhin, schrieb ihm einmal: "In meinen Augen sind Sie der exemplarische Musiker des 21. Jahrhunderts. Sie verkörpern die Richtung, in die sich die Musik entwickeln sollte."
"Ich mag die Ordnung der Tonleiter nicht so richtig... Ordnung tötet die Musik. Jeden Morgen, wenn ich meine Geige nehme, fange ich immer gleich mit Bach an..."

Gilles Apap empfängt nicht in einem sterilen Hotelzimmer, sondern in einer großzügigen Wohnung in der Schloßstraße in Berlin-Charlottenburg. Sein Gastgeber und langjähriger Freund ist erster Geiger bei den Berliner Philharmonikern. Eine lebenslange Festanstellung in einem Orchester wie der Berliner Musiker – für Gilles Apap eine Horrorvorstellung!

Lässig sitzt der schlanke Mann - 46 Jahre alt, groß, mit braunem, halblangem Haar – auf dem Sofa. Er trägt ein kariertes Hemd – blau und rot – dazu eine Jeans. Immer wieder greift er zu seiner Geige.

"Diese Geige wurde mir von einem befreundeten Geigenbauer in Paris fast geschenkt. Eigentlich wollte ich bei ihm nur einen Bogen ausprobieren – ungefähr so..."

Er spielt einen Satz.

"Das war wie Liebe auf den ersten Blick. Dabei bin ich nicht so einer, der bei Geigenbauern nach einem ganz besonderen Instrument sucht. Überhaupt nicht. Aber diese Geige musste ich einfach spielen."

Aus der Geige von Gilles Apap raschelt es: es sind Geldscheine, indische Rupien, die Musiker aus Indien bei einem gemeinsamen Auftritt mal in sein Instrument gesteckt haben – das soll Glück bringen.

Gilles Apap ist in der klassischen Musikszene ein Exot. Er produziert seine CDs selbst, tritt auf Dorffesten genauso wie auf großen Bühnen auf. Dabei trägt er lieber Ethno-Hemden als Anzüge. Und: er verbindet gern Mozart oder Vivaldi mit traditioneller Musik - wie Gypsy, irischem Folk oder indischer Musik.

"Ich halte mich ganz an die Noten und ändere nur den Einsatz des Bogens. Die unterschiedlichen Musikstile sind wie Sprachen."

"Manche Menschen sind schockiert, sogar bestürzt von so einer ´Haltung´ gegenüber was weiß ich. Aber, wenn du mich darüber sprechen hörst, merkst du, dass ich nicht provozieren will. Es ist einfach ein Spiel mit der Musik."

Mit sieben beginnt Apap mit Geigespielen – in Nizza. Geboren wurde er 1963 in Algerien. Im gleichen Jahr musste die 6-köpfige Familie infolge der Unabhängigkeit das Land verlassen. Geld haben die Apaps wenig: Der Vater ist Kellermeister, die Mutter Hausfrau. Doch sie besitzen ein Grammophon – und Gilles liebt es, Yehudi Menuhins Aufnahmen zuzuhören.

Schließlich wird er als Jugendlicher an der Musikakademie in Lyon aufgenommen. Seine Ausbildung beendet er mit besonderer Auszeichnung – ohne viel üben zu müssen, sagt er heute. Doch: plötzlich plagen ihn Lampenfieber - und Zukunftsängste.

"Du gehst auf die Musikakademie, weil alle dir sagen, Du sollst dorthin. Aber nach und nach fragst du dich: Wo will ICH hin? Dabei hatte ich auf einmal furchtbar Angst, auf die Bühne zu gehen. Ich war sehr schüchtern. Die Menschen sagen immer, ich sei überschwänglich, das stimmt gar nicht."

Anfang der 80er Jahre zieht Gilles Apap nach Kalifornien – der Liebe wegen. Zwei Jahre lang spielt er nur noch für sich selbst – bis er das Lampenfieber in den Griff bekommt und 1985 den internationalen Yehudi-Menuhin-Wettbewerb gewinnt, in der Kategorie "Zeitgenössische Musik". Mit 26 Jahren dann die Befreiung: Gilles Apap entdeckt die Folkmusik. Seitdem kennt der Geiger keine musikalischen Grenzen. Eine Klassische Solokarriere - das interessiert ihn nicht.

Gilles Apap öffnet seinen Geigenkoffer: er ist ganz schön ramponiert, mit lauter Aufklebern darauf. Auf einmal duftet es nach Thymian und Salbei – alles Kräuter aus seinem Garten in Kalifornien. Dort in einem kleinen Holzhaus auf einem riesengroßen Grundstück mit Blick auf den Ozean lebt er - ganz allein.

"Ich bin dabei, Obstbäume und Gemüse zu pflanzen. Eines Tages will ich von meinem Grundstück leben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch diesen Beruf machen werde. Immer unterwegs zu sein – manchmal bin ich es ziemlich leid."

Noch geht Gilles Apap auf Tour - als Solist und mit seiner Gruppe "The Colors of Invention". Zusammen spielen sie Orchesterwerke... à la Gilles Apap: Statt 80 Musiker spielen hier nur vier. Und zur Geige kommen weder Klavier noch Cello, sondern Akkordeon, Cymbalum und Kontrabass.

Service:
Am 24. Juli 2009 spielt Gilles Apap beim renommierten Musikfestival Musicalta im Elsass. Weitere Termine auf seiner Homepage. Aktuelle CD: "Gilles Apap & The Colors of Invention - Mozart, Kreisler, Ravel, de Falla, Saint-Saens und traditionelle Musik"