Tschechien als Brückenkopf nach Europa
Tschechien ist dank zentraler Lage in Europa und billigen Löhnen bei asiatischen Konzernen beliebt. Unternehmen wie Foxconn, Hyundai, Toyota und Panasonic schaffen dort jede Menge Arbeitsplätze – mit den Gewerkschaften tun sich die asiatischen Weltkonzerne jedoch schwer.
Der Weg führt durch Treppenhäuser und Flure, die unendlich scheinen. Eine Stadt in der Stadt ist das Werk des Elektronik-Herstellers Foxconn im tschechischen Ort Pardubice, eine Stunde östlich von Prag. Aus der riesigen Halle dringt das Stampfen und Zischen herüber, gewohnte Geräusche für Marian Stulak. Er leitet hier die Herstellung.
"In dieser Halle ist die mechanische Fertigung untergebracht. Wir schweißen, stanzen und biegen die einzelnen Teile; auf der anderen Seite ist dann die Endfertigung, wo wir sie lackieren, montieren, verpacken und schließlich den Kunden übergeben."
Gehäuse für Computer entstehen hier und Edelstahl-Schränke, in denen später ein Server oder eine digitale Telefonzentrale unterkommen. Roboter arbeiten in der weiten Halle, soweit das Auge reicht.
"In der ganzen Division haben wir 600 Leute, wir sind eine der größten Abteilungen hier. Wir arbeiten in drei Schichten, fünf Tage pro Woche rund um die Uhr."
Foxconn produziert große Stückzahlen - und billig
Foxconn ist eine Firma aus Taiwan, ein globaler Riese, den die Endkunden oft nicht kennen, obwohl die meisten täglich ein Foxconn-Produkt in der Hand halten: Apple, Samsung, Dell, Microsoft - fast allen großen Firmen der Branche lassen ihre Produkte bei Foxconn fertigen.
Die Spezialität der taiwanesischen Firma ist es, Unterhaltungselektronik wie Smartphones und Tablets in großer Stückzahl sehr günstig herzustellen, die große Marken anschließend unter ihrem eigenen Namen verkaufen. Bill Campbell ist Stadthalter von Foxconn in Europa; er empfängt in einem Konferenzraum mit Blick auf das gewaltige Werksgelände. Hier in Tschechien, sagt er, fertige man vor allem für den europäischen Markt.
"Einige Consumer-Produkte werden natürlich auch in Asien hergestellt und dann nach Europa geschickt. Wenn eine Handelskette zum Beispiel 50.000 Computer bestellt, die alle gleich konfiguriert sind, dann können wir das problemlos von China aus erledigen; in sechs bis acht Wochen hat der Kunde seine Computer. Aber wenn zum Beispiel eine europäische Bank kommt, die 1.000 Computer in verschiedenen Modellvarianten braucht und das Ganze innerhalb von drei Tagen – das können wir von hier aus machen."
Eine Welt der gewaltigen Zahlen
Es ist eine Welt der gewaltigen Zahlen, die Bill Campbell managt. Wer die tschechische Firmenzentrale betritt, läuft schon in der Eingangshalle an Trophäen vorbei: Vergoldete Computer sind es; einer von ihnen wurde zur Feier des 65-millionsten PCs für eine bestimmte Marke gefertigt, auf den anderen Trophäen sind ähnliche Meilensteine eingraviert.
Spricht man Bill Campbell auf diese Rekorde an, muss er schmunzeln. In Tschechien hat Foxconn 5.000 Mitarbeiter, rechnet man noch Leiharbeiter hinzu, kommt man auf etwa 9.000. Weltweit aber beschäftigt Foxconn unglaubliche 1,3 Millionen Mitarbeiter.
"Man schaut sich unser Werksgelände hier an und denkt, es sei groß. Aber wenn man nach China reist und sich da die Foxconn-Werke anschaut – wenn wir uns die so groß denken wie hier diesen Din-A-4-Zettel, dann ist unser Werk in Tschechien vielleicht so groß wie mein Fingernagel hier. Jedes Mal, wenn ich dort bin, frage ich mich: Wie lässt sich das managen? Aber es geht, und die machen das echt gut."
Es stellt sich eine weitere Frage: Warum sucht sich ein Unternehmen wie der globale Riese Foxconn ausgerechnet Tschechien als europäischen Stützpunkt aus? Bill Campbell, der gebürtige Schotte, greift auf eine Analogie aus seiner Heimat zurück.
"Kennen Sie ein Dart-Board, dieses runde Brett für das Dartspiel? Das Feld in der Mitte heißt Bull’s Eye – und genau das ist Tschechien, wenn man auf die europäische Landkarte schaut. Mit dem Lastwagen können wir alle Kunden in Europa innerhalb von zwölf Stunden erreichen."
Auch Hyundai, Toyota und Panasonic sind schon da
Es muss aber noch etwas anderes geben, was Tschechien zu einem bevorzugten Standort der asiatischen Investoren macht. Neben Foxconn gibt es eine ganze Reihe weiterer Firmen, die zum Teil Milliardensummen in das Land gepumpt haben: Hyundai beispielsweise unterhält in Tschechien auf einer Fläche von 200 Hektar ein gewaltiges Werk, in dem pro Jahr 350.000 Autos für den europäischen Markt entstehen.
Toyota hat gemeinsam mit Peugeot und Citroen ein Werk für Kleinwagen errichtet, Panasonic baut Fernseher und Futaba Autoteile. Der jüngste Coup: Der Reifenhersteller Nexen investiert umgerechnet rund eine Milliarde Euro in eine neue Fertigung. Das sind Beispiele aus ganz unterschiedlichen Ländern: Die Firmen haben ihren Hauptsitz in Südkorea, in Japan oder, so wie Foxconn, in Taiwan.
Warum ist für sie viele asiatische Konzerne Tschechien der Brückenkopf nach Europa geworden? Die Spurensuche in Prag führt in ein elegantes Bürohaus in einer der verwinkelten Altstadt-Gassen.
Draußen staunen Touristen in der Pferdekutsche über die Schönheit Tschechiens; drinnen im klimatisierten Altbau macht sich Lukas Mikeska seine Gedanken über harte wirtschaftliche Fakten. Er ist Präsident der tschechisch-südkoreanischen Handelskammer, ein junger Mann mit Designerbrille und teurem Anzug.
"Aus logistischer Sicht ist es natürlich von Vorteil, da zu produzieren, wo man seine Ware auch verkauft. Hinzu kommt: Die Arbeitskräfte sind in Tschechien immer noch ein bisschen billiger als in Südkorea. Und als Hyundai seine Investition in Tschechien ausgehandelt hat, waren die Anreize der Regierung sehr interessant."
Die Regierung lockt mit geringen Steuern
Die Anreize der Regierung: Eine weitreichende Steuerfreiheit bekam Hyundai im Gegenzug für die neuen Arbeitsplätze, dazu eine Autobahn bis fast vor das Werkstor. Im Jahr 2006 war das, und dieser Fall Hyundai – das sind sich Beobachter im Rückblick sicher – hat die Weichen gestellt für das gewaltige Interesse der Asiaten ausgerechnet an Tschechien. Lukas Mikeska von der Handelskammer:
"Langfristig ist Südkorea einer der größten Investoren in Tschechien, zugleich der größte aus einem der asiatischen Länder. Nach der Entscheidung von Hyundai ging das los: Wenn eine große Firma kommt, folgen die Zulieferer – und sie glauben an den Standort. Sie vertrauen darauf, dass der Große die Umgebung und die Bedingungen geprüft hat, und wenn er kommt, dann fühlen sie sich auch sicher. Die Großen haben also die kleineren Unternehmen im Sog mitgezogen."
Zuletzt stammten mehr als 30 Prozent der ausländischen Investitionen in Tschechien aus Korea. Auf eins ist Lukas Mikeska dabei besonders stolz:
"Wenn man die Investitionen aus verschiedenen asiatischen Ländern vergleicht, sieht man Unterschiede; sie investieren ganz anders. Die Chinesen etwa kaufen bestehende Firmen auf, da wächst wenig Neues. Die Koreaner hingegen kommen und bauen Fabriken auf die grüne Wiese; sie schaffen reale, neue Handelsmöglichkeiten."
Trotzdem: In der tschechischen Politik sind es ausgerechnet die Chinesen, die derzeit hoch im Kurs stehen. Dahinter steht Milos Zeman, der Prager Präsident. Mit militärischen Ehren begrüßte er im Frühling seinen chinesischen Amtskollegen – geschlagene drei Tage lang weilte der in Prag, es war der historisch erste chinesische Staatsbesuch in Tschechien. Präsident Milos Zeman:
Keine goldene Kutsche - aber eine goldene Stadt
"Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich keine goldene Kutsche habe, in der ich mit Ihnen fahren könnte wie kürzlich die britische Königin. Aber Prag wird ja die goldene Stadt genannt, und das ist mehr als eine goldene Kutsche."
Für seinen oft launischen Ton ist Milos Zeman bekannt, der 71-jährige tschechische Präsident. Er ist es, auf den die seit zwei Jahren betriebene Annäherung zu China maßgeblich zurückzuführen ist. 3,5 Milliarden Euro, verkündete Zeman, wollten die Chinesen noch im laufenden Jahr in Tschechien investieren.
"Ich wünsche mir, dass die tschechische Republik für China zum Eingangstor in die EU wird; dass wir uns zu einem ruhigen Hafen entwickeln, in dem die chinesischen Schiffe nach den verschiedensten Stürmen auf offener See eine freundschaftliche Aufnahme erwartet."
Während sich die koreanischen und japanischen Investoren aus wirtschaftlichen Gründen für Tschechien entschieden haben, verbinden die Chinesen auch politische Hintergedanken mit ihrer demonstrativen Nähe zum Zehn-Millionen-Einwohner-Land Tschechien – davon ist Michael Zantovsky überzeugt, ein ehemaliger tschechischer Spitzendiplomat.
"Ich denke, dass die Chinesen sehr pragmatische Ziele verfolgen und reagieren, wenn ein Land bereit ist, ihnen entgegenzukommen, ohne eigene Forderungen zu stellen. Worum es ihnen geht, ist eine Brücke in die EU. Momentan haben sie offenbar den Eindruck, dass Tschechien ihnen die besten Bedingungen bietet – und das muss nicht unbedingt ein Kompliment sein."
Zantovsky ist nicht nur Diplomat, er ist auch ein enger Weggefährte des Prager Nach-Wende-Präsidenten Vaclav Havel und leitet heute eine Einrichtung, die Havels Vermächtnis wachhalten soll.
"Vaclav Havel war Verfechter einer Offenheit unserer Außenpolitik gegenüber allen Staaten, auch gegenüber denen mit anderen Meinungen zu manchen Politikfeldern. Aber gleichzeitig legte er Wert darauf, dass es bei solchen Besuchen legitim ist, sich zur Problematik der Menschenrechte zu äußern und zum Schicksal der Verfolgten."
Menschenrechtsverletzungen sind kein Thema
Einen Anspruch, den der aktuelle Präsident Milos Zeman nicht verfolgt. Menschenrechtsverletzungen in China waren kein Thema beim Staatsbesuch. Vaclav Havel dagegen wollte in Tschechien eine Politik etablieren, die von der Moral geleitet wird – als bewusstes Gegengewicht nach den Jahrzehnten der kommunistischen Verfolgung. Diese spezielle Prägung drohe verloren zu gehen, sagen Kritiker angesichts des chinesischen Staatsbesuchs. Priorität habe die wirtschaftliche Entwicklung, das ist das Credo, das auf der Prager Burg offen verkündet wird.
Die Begeisterung über große asiatische Investitionen teilen in Tschechien nicht alle. Ein Besuch bei Jaroslav Soucek, dem Vorsitzenden der einflussreichen Metall-Gewerkschaft in Tschechien; er sitzt im Prager Gewerkschaftshaus, einem schmucklosen Hochhaus aus den 70er Jahren. Neue Arbeitsplätze, sagt Soucek, seien immer willkommen, aber die Erfahrungen mit den Investoren aus Asien seien durchwachsen.
"Bei Firmen aus Korea ist es sehr schwierig für uns als Gewerkschaft, mit ihnen überhaupt ins Gespräch zu kommen. Bei Japanern können wir sofort einen Dialog aufnehmen, aber umso schwieriger sind dafür die Verhandlungen, wenn es um Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen geht. Und aus Taiwan haben wir bislang nur Foxconn, auch da sind die Verhandlungen sehr schwierig. Wenn ich mir anschaue, wie viel sie hier herstellen und welche Gewinne sie haben, da könnten sie den Angestellten bessere Bedingungen bieten."
Die Belegschaft will keinen Frühsport
Es prallten einfach verschiedene Mentalitäten aufeinander, wenn asiatische Investoren nach Tschechien kämen. Da kursieren jede Menge kuriose Geschichten – etwa, wenn die Manager aus Fernost sich daran die Zähne ausbeißen, mit ihrer tschechischen Belegschaft kollektiven Frühsport bei Schichtbeginn zu machen. Ernst wird es allerdings, wo es um europäische Regelungen zu Urlaubstagen, Elternzeit und Arbeitsstunden geht. Gewerkschafter Jaroslav Soucek erinnert sich an zähe Verhandlungen; er hat ein Kernproblem ausgemacht.
"Es geht hauptsächlich um die unterschiedliche Wahrnehmung, wie man die Arbeitspflichten gegenüber der Firma erfüllen soll. Aus Asien haben sie die Erfahrung, dass die Mitarbeiter sehr loyal sind und der Firma weit entgegenkommen, wenn es um flexible Arbeitszeitregelungen geht. Aber ich vermisse im Umkehrschluss die Beschäftigungssicherheit, wenn ein Mitarbeiter lang und gut für eine Firma arbeitet."
Zurück im Werk des taiwanesischen Elektro-Herstellers Foxconn. Gerade diese Firma ist auch für ihre Arbeitsbedingungen in die Schlagzeilen geraten – ein paar Jahre liegt es inzwischen zurück, dass sich mehrere Arbeiter in China aus Verzweiflung das Leben genommen haben. Mit dem tschechischen Werk habe das nichts zu tun, sagt Jitka Kratochvilova, die einflussreiche Personalchefin für das Europageschäft von Foxconn.
"Als ich zu Foxconn kam – und das ist jetzt schon 14 Jahre her - hat mir eins wirklich gut gefallen: Es hieß von Anfang an, das Management müsse europäisch sein, wir müssen das europäisch angehen. Es ist ganz klar, dass wir lokale Bedingungen respektieren müssen und gerade im Bereich des Personalwesens liegt es stark in unserer Verantwortung, wie wir mit den Leuten umgehen."
Auch im tschechischen Foxconn-Werk gebe es Missstände, kritisierten Menschenrechtler vor einigen Jahren. Vor allem eine Praxis ist ihnen übel aufgestoßen: Foxconn lagert ganze Montage-Linien an externe Firmen aus, die dann im Foxconn-Werk mit Foxconn-Material für Foxconn bestimmte Produkte herstellen – aber rechtlich eigenständig sind. Die Löhne dort seien viel zu niedrig, die Arbeitszeiten viel zu lang, fanden Kritiker heraus.
Die "verlängerte Werkbank" ist nur die erste Phase
Foxconn kontert, dass die Auslagerung der Produktion nötig sei, um Auftragsspitzen abzufangen; überdies seien die Zulieferfirmen vertraglich auf hohe arbeitsrechtliche Standards verpflichtet. Inzwischen plagt die Firma aber ohnehin ein anderes Problem: Tschechien hat die niedrigste Arbeitslosigkeit der gesamten Europäischen Union – neue Leute zu finden, sei so gut wie unmöglich. Personalmanagerin Jitka Kratochvilova:
"In erster Linie schauen wir deshalb auf diejenigen, die wir schon in der Firma haben. Die Fluktuation bei uns ist niedrig, das klappt also gut. Und wir holen Leute aus einem Umkreis von 40 Kilometern mit Bussen ab, um sie zu uns zur Arbeit zu fahren. Natürlich schauen wir auch im Ausland nach möglichen Kollegen. Es ist eine Kombination aus allem, und in jedem Fall gilt: Wir müssen als Arbeitgeber konkurrenzfähig sein."
Schlechte Arbeitsbedingungen, soll das heißen, könne man sich gar nicht leisten, weil die Mitarbeiter sonst woanders hingehen würden. Ohnehin gehe die Entwicklung weg vom Fokus auf billige Massenproduktion: Foxconn baut gerade in Prag ein Forschungs- und Entwicklungszentrum auf, für das vor allem Ingenieure gebraucht werden. Mit ähnlichen Plänen tragen sich derzeit viele Investoren aus Asien, das bestätigt Lukas Mikeska von der tschechisch- koreanischen Handelskammer.
"Die verlängerte Werkbank ist die erste Phase; dann sehen die Investoren, dass sie in Tschechien auch gut Forschung und Entwicklung betreiben können. Generell gilt: Wer herkommt, der ankert hier für längere Zeit und zieht nicht nach zehn Jahren weiter."
Tschechien und die Asiaten – wie es ausschaut, wird diese Verbindung noch eine ganze Weile halten.