Bedingungsloses Grundeinkommen im Test
Was tun Erwerbslose, wenn sie Monat für Monat 560 Euro aufs Konto bekommen und dafür keinerlei Gegenleistungen erbringen müssen? Finnland wagt seit wenigen Monaten das Experiment mit 2000 zufällig Auserwählten.
Endlich im Warmen. Jukka reibt sich die Hände, ehe er sich in einen der Designer-Sessel des "Espresso House" fallen lässt. Donnerstagnachmittag, ein klirrend kalter Wintertag. Draußen versinkt Helsinki, die finnische Hauptstadt, im Schneegestöber. Drinnen nimmt der schwarz-gekleidete Ein-Zentner-Mann in der Nova-Mall einen Schluck Kaffee.
"Ich mag die Mall. Du kannst ins Kino gehen oder mit Freunden ein Bier trinken. Ins "Espresso House" komme ich eher selten. Über drei Euro für eine Tasse Kaffee – das kann ich mir eigentlich nicht leisten. Ich bin arbeitslos. Na ja: Vielleicht habe ich bald etwas mehr Geld in der Tasche. Seit Anfang des Jahres bekomme ich ja das bedingungslose Grundeinkommen."
560 Euro vom Staat "für nix"?
Zehn Seiten lang ist er – der Brief, der Jukkas Leben auf den Kopf gestellt hat. Absender: Kela, die finnische Sozialversicherung. Die Mega-Behörde leitet das Experiment über das bedingungslose Grundeinkommen. 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose erhalten als Ersatz für das Arbeitslosengeld in den nächsten zwei Jahren monatlich 560 Euro. Steuerfrei, ohne Auflagen. Jukka schüttelt den Kopf. So ganz kann es der 28jährige immer noch nicht fassen, dass ausgerechnet er eines der "Versuchskaninchen" ist.
"Als ich den Brief aufgemacht habe, habe ich erst einmal einen mittleren Schock bekommen. Ich dachte nur: Wollen die mich verarschen? Wie in alles um der Welt soll ich mit 560 Euro im Monat auskommen? Das ist doch weniger als mein Arbeitslosengeld. Doch dann haben sich Sini, meine Frau, und ich uns hingesetzt und den Brief noch einmal in aller Ruhe durchgelesen. Und festgestellt: Alles halb so wild. Neben dem Grundeinkommen erhalte ich weiterhin Wohngeld. Das sind 210 Euro. Ich habe gar keine Einbußen. Im Gegenteil: Ich kann mir sogar etwas dazuverdienen, ohne dass sie mir, wie bislang üblich, den staatlichen Zuschuss kürzen. Das ist ein ziemlicher Vorteil."
Opfer der Rezession
Seit gut zwei Jahren ist Jukka arbeitslos. Sein letzter Job als Arbeiter bei einem Papierhersteller fiel der Rezession zum Opfer. Seit fünf Jahren ist die Wirtschaft des 5,5-Millionen-Einwohner-Landes kaum gewachsen; verharrt die Arbeitslosigkeit bei neun Prozent. Jukka zuckt die Schultern. Irgendwie hatte er es schon kommen sehen – das mit dem Jobverlust. Ist er halt zu Hause geblieben – und hat sich um Jasmin und Janette gekümmert, seine zwei kleinen Töchter, während seine Frau wie gehabt arbeiten ging. Sini hat eine Stelle bei der Post. Der Mann, auf dessen linkem Unterarm der finnische Adler tätowiert ist, grinst. Eigentlich hat ihm das Leben als Fulltime-Vater ganz gut gefallen. Doch seine Tage als Hausmann sind gezählt.
"In ein paar Tagen fängt mein Praktikum in einer Behinderten-Einrichtung an. Es dauert drei Monate. Ich bin echt froh, dass es geklappt hat. Ich bekomme zwar nur neun Euro am Tag, aber zumindest wird das Geld nicht vom Grundeinkommen abgezogen. Vielleicht ergibt sich dadurch etwas Längerfristiges. Ich wollte immer schon im sozialen Bereich arbeiten. Durch das Grundeinkommen habe ich die Möglichkeit, es auszuprobieren."
Grundeinkommen als Chance
Ein Arbeitsloser, der das Grundeinkommen als Chance sieht, etwas aus seinem Leben zu machen: Das ist ganz nach dem Geschmack von Marjukka Turunen. Die Chef-Juristin bei der Sozialversicherung Kela leitet das Experiment. Es sind hektische Tage für die Frau im rosa-schwarzen Designerkostüm. Ständig ist etwas; gibt sie fast schon im Stunden-Takt Auskunft über den weltweit einmaligen Versuch. Immer volles Programm, immer unter Strom. Seit Frühling letzten Jahres geht das jetzt schon so; seit das zuständige Sozialministerium grünes Licht gab für das Experiment.
"Mein Chef bei Kela meinte nur: Ran an die Arbeit! Es ging wirklich Zack-Zack – ohne großen Vorlauf. Wenn sie mich fragen: Das allein war schon innovativ; wie wir alle in einem Mordstempo Hand-in-Hand gearbeitet haben: Die Forscher, die Computer-Experten, wir Juristen. Es war eine ganz andere Arbeitsweise als sonst üblich. Wegen des Zeitdrucks."
Das wäre geschafft. Zwei Stunden hat die Pressekonferenz für die ausländischen Medienvertreter gedauert. Marjukka hat sich ins Casino zurückgezogen, eines der Besprechungszimmer der Kela-Zentrale am Rande von Kallio, dem alten Arbeiterviertel Helsinkis. Kurz verschnaufen.
Früher, in den 60ern, dinierten hier die Geschäftsführer. Die Zeiten sind vorbei: Die Kela-Manager essen längst wie alle anderen auch in der Kantine. Marjukka ist das nur recht. Elitäres Gehabe – das ist nichts für die resolute Juristin. Sie mag das alte Casino: Die blauen Lampen, die lange Fensterfront, dass alles zeitlos elegant wirkt. Kein Wunder: Der rote Klinkerbau war eines der ersten öffentlichen Projekte von Alvar Aalto, dem Säulenheiligen der finnischen Architektur. Gedankenversunken schaut Marjukka aus dem Fenster.
Bürokratisches Monster?
Zwar hat die Endvierzigerin gerade ziemlich viel um die Ohren, doch das sei positiver Stress. Meint sie. Einer muss ja die Werbetrommel rühren, Sachen klarstellen: Etwa, dass das Grundeinkommen keine Strafe ist; sprich: Die Bezieher das Geld behalten können, selbst wenn sie einen Job annehmen. Mehr Leute in Arbeit bringen: Das ist ein Ziel des Experiments. Das babylonische Sozialsystem Finnlands zu entwirren ein weiteres.
"Der Bürokratie bei Kela ist enorm - in zweierlei Hinsicht. Zum einen: Der Staat zahlt Arbeitslosengeld nicht im voraus, sondern nur im nachhinein; nach vier Wochen. Unsere Kunden müssen also nach vier Wochen entweder in eines der Kela-Zentren kommen oder online einen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen und angeben: An dem und dem Tag bin ich arbeitslos gewesen. Und an dem und dem Tag habe ich gearbeitet, für so und so viele Stunden. Ein Wahnsinn: Dieser Aufwand, gerade bei einem Teilzeitjob. Unsere Kunden müssen jeden Gehaltszettel vorlegen, von jedem einzelnen Arbeitgeber. Hinzu kommt die Bürokratie bei uns. Wenn wirklich alle Unterlagen vorliegen, setzt sich ein Kela-Mitarbeiter hin – und rechnet alles durch. Ein Computerprogramm kann das nicht leisten. Wir müssen ja jeden Gehaltszettel einzeln prüfen. Für unsere Kunden ist es das reinste Nervenspiel: Immer dieses Warten! Diese Unsicherheit: Wie viel bekomme ich jetzt? Und wann? Also, die bürokratische Last ist riesengroß."
Finnlands Credo: Experimente wagen
Die Zeit ist reif für Experimente – das ist auch das Credo von Pirkko Mattila. Die gelernte Krankenschwester ist seit rund einem halben Jahr Ministerin für Soziales und Gesundheit, seitdem ihre Vorgängerin das Handtuch warf. Von ihrer Parteifreundin von der rechtspopulistischen Finnen-Partei stammt auch noch das meiste im Büro: Der chinesische Kalender links vom Schreibtisch ebenso wie die Skulptur daneben: Eine liegende Frau, die - quasi mit links - eine Weltkugel balanciert.
Frauen halten die Welt zusammen: Pirkko Mattila gefällt das. Der Aktenberg auf ihrem Schreibtisch weniger. Das meiste sind Unterlagen über die Reform des Sozial- und Gesundheitssystems. Die Reform soll zwar erst in zwei Jahren in Kraft treten, doch schon jetzt feilen ihre Experten an den Details, suchen sie nach Möglichkeiten, ähnlich wie beim Grundeinkommen im Vorfeld im Kleinen auszuprobieren, ob etwas funktionieren könnte oder nicht.
"Unsere Regierung hat sich auf die Fahnen geschrieben zu experimentieren. Der Versuch mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ist erst der Anfang. Aber ich möchte noch einmal betonen: Es ist ein Experiment, kein Modell. Ich wäre natürlich froh, wenn wir nach zwei Jahren sagen könnten: OK, es hat funktioniert, lasst uns das Grundeinkommen für alle einführen. Doch das müssen wir erst prüfen. Ich persönlich würde mir allerdings jetzt schon wünschen, dass wir das Budget für das Experiment erhöhen. Zwanzig Millionen Euro für zwei Jahre sind eigentlich zu wenig. Na ja, warten wir ab. Noch hat die Regierung über die nächsten Schritte nicht entschieden."
Mogelpackung Grundeinkommen?
Luftlinie sind es nur gut drei Kilometer vom Sozialministerium unten am alten Hafen bis zur Helsinginkatu - und doch liegen Lichtjahre dazwischen. Für irgendwelche Sozial-Experimente ist hier niemand zu haben – schon gar nicht Heikki Hursti. Der wortkarge Finne hat ganz andere Sorgen. Die Warteschlange vor seiner Ausgabestelle reicht mal wieder bis um die Ecke. So ist es eigentlich immer, wenn seine private Hilfsorganisation drei Mal die Woche kostenlos Kleidung und Essen verteilt. Heute dürften es bestimmt wieder 3000 Leute sein: Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rentner, deren Rente vorne und hinten nicht reicht.
Vor zehn Jahren waren es gerade einmal 300. Doch das war, bevor das skandinavische Land nicht zuletzt wegen des Absturzes von Nokia, dem finnischen Handy-Multi, zum "Griechenland des Nordens" mutierte, wie Finnlands Ministerpräsident Juha Sipilä unlängst konstatierte. Kein gutes Thema. Heikkis Gesichtszüge verfinstern sich. Auf Sipilä, den millionenschweren Ex-Unternehmer, ist er nicht gut zu sprechen.
"Jetzt hat er sich auch noch das mit dem Grundeinkommen ausgedacht. Das ist doch ein Witz. Wenn ich recht informiert bin, liegt das Durchschnittseinkommen in Finnland bei 2500 Euro. Was sind da schon 560 Euro?! Das reicht vorne und hinten nicht. Allein schon die Miete: In Helsinki zahlst du mindestens 450 bis 500 Euro für eine winzige Wohnung. Selbst wenn du noch Wohngeld bekommst, bleibt dir fast nichts mehr zum Leben übrig. Nein, nein: Dieses Grundeinkommen ist eine einzige Mogelpackung. Es ist wie immer: Die Regierung kürzt bei denen, die so oder so nichts haben: Den Armen."
Zumindest auf Stockmann, die größte Warenhauskette Finnlands, ist noch Verlass. Heikki zählt die Käse-Paletten im Kühlraum durch: Das dürfte erst einmal reichen. Ohne die Spenden, meint der kleine Mann in der beigen Weste, hätten sie schon längst schließen müssen. Geld vom Staat bekommt er keines.
"Das sind doch alles Halsabschneider. Die Leute im Rathaus sagen immer: Toll, Heikki. Wir wissen wirklich zu schätzen, was du für die Armen tust. Danke. Doch wenn ich dann im Rathaus auftauche und frage, ob mir die Stadt finanziell etwas unter die Arme greifen könnte, stellen alle auf Durchzug. Die Regierung ist auch nicht besser: Für irgendwelche Prestigebauten und neue Autobahnen hat sie Geld, aber nicht für die Armen. Die haben doch alle kein Herz."
Bürokratie abbauen, Stellen streichen, Staatsausgaben kürzen
Die finnische Politiker-Riege: Ein herzloser Haufen; der Versuch mit dem Grundeinkommen: Eine Mogelpackung?! Soweit würde Ilka Kaukaranta nie gehen. Doch auch dem jungen Wirtschafts-Experten bei SAK, dem Dachverband der finnischen Gewerkschaften, bereitet das Experiment Bauchschmerzen.
"Das Experiment mit dem Grundeinkommen?! Zunächst einmal: Grundsätzlich begrüßen wir es, dass im Sozialbereich experimentiert wird. Allerdings überzeugt uns weder das gewählte Modell noch das Grundeinkommen an sich. Gehen wir einmal davon aus: Das Grundeinkommen wird auf nationaler Ebene eingeführt, sprich: Jeder bekommt es. Dann würde das Haushaltsdefizit um fünf Prozent des Bruttosozialprodukts steigen. Es würde unser Defizit verdreifachen. Ich möchte die Regierung sehen, die sich traut, so etwas zu tun. Also noch mal: Gut, dass wir im sozialen Bereich experimentieren. Aber: Dieses Modell ist zu teuer, um realistisch zu sein."
Seit sechs Jahren arbeitet der Anfang 30jährige in der SAK-Zentrale am Hakaniemi-Platz. Viel zentraler geht es in Helsinki kaum. Von seinem Büro im dritten Stock hat Ilka alles im Blick. Am ersten Mai ist immer am meisten los. Aus dem ganzen Land strömen die Gewerkschaftler dann her. Ansonsten aber bleibt es auf dem Hakaniemi eher ruhig. Kaum Proteste, selbst letztes Jahr nicht, als Ministerpräsident Sipilä daran ging, sein Wahlversprechen einzulösen, das da lautete: Den Staat zu führen wie eine Firma. Also: Bürokratie abbauen, Stellen streichen; kürzen: Allein im Staatshaushalt vier Milliarden Euro.
Ilka schaut zum Öl-Porträt seines Urgroßvaters neben dem Schreibtisch: Was der alte Herr wohl dazu gesagt hätte?! Dass selbst die SAK, wenn auch zähneknirschend, höheren Sozialbeiträgen und längeren Arbeitszeiten zugestimmt hat. Jetzt auch noch das Experiment mit dem Grundeinkommen.
"Das Problem mit dieser Art von Experiment ist: Es ist zeitlich begrenzt. Es dauert nur zwei Jahre. Dadurch ist es nur bedingt aussagekräftig. Wir befürchten, dass, wenn das Grundeinkommen landesweit eingeführt werden sollte, ältere Arbeitnehmer einfach zu Hause bleiben, um vom Grundeinkommen zu leben. Sie könnten in Vorruhestand gehen, mit 55. Ist das realistisch? Ich weiß es nicht. Nur: Dadurch, dass das Experiment auf zwei Jahre begrenzt ist, werden wir keine aussagekräftigen Ergebnisse erhalten."
Das "Amt für experimentelle Politik"
Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen: Bei Demos Helsinki wird man das nicht hören. Mittwochmittag, ein Großraumbüro über den Dächern der finnischen Hauptstadt. Mikko Annala hat gerade seine Schuhe ausgezogen. Schuhe aus: Das gehört sich so in finnischen Büros. Der Chef der Innovationsabteilung des Think-Tanks schlendert in die Küche, vorbei am Porträt von Salvador Dali, dem spanischen Surrealisten. Der Kaffee, die Milch, die Kekse: Alles gratis.
Bewaffnet mit einer Tasse Kaffee setzt sich der Anfang Dreißigjährige auf eines der Sofas – und holt seinen Laptop raus. Feste Arbeitsplätze: So etwas gibt es hier schon lange nicht mehr. Flexibel sein, sich vernetzen, Sachen ausprobieren: Was Finnlands Regierung erst mühsam lernt: Bei Demos ist es längst Gang und Gäbe. Seit einiger Zeit arbeiten Mikko und Co für das neu geschaffene "Amt für experimentelle Politik" des Premierministers. Die Idee für den Versuch mit dem Grundeinkommen: Bei Demos wurde sie mitentwickelt. Auf das Ergebnis ist der Verhaltenspsychologe schon gespannt.
"Gibt das Grundeinkommen uns einen Schub? Oder könnte es eher sein, dass wir eine ruhige Kugel schieben – also gesellschaftlich gesehen nicht produktiv sind, sondern destruktiv? Letzten Endes geht es auch um die Frage: Wie wichtig ist Arbeit als sozialer Kitt für unsere Gesellschaft? Wie sehr definieren wir uns über Arbeit? In der Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen spielt ja auch die Automatisierung eine Rolle, dass Roboter mehr und mehr Jobs ersetzen. Namhafte Leute wie Barack Obama und Ela Musk, der Tesla-Gründer, warnen schon seit längerem, es könne gut sein, dass bald jeder zweite Arbeitsplatz wegfallen könnte. Wegen der Roboter. Da geht es längst nicht mehr "nur" um Fabrikjobs. Taxifahrer könnten ihren Job verlieren, Journalisten, Leute in einem Think-Tank."
Zukunft ohne Arbeitsplätze
Keine Experimente – das Credo, mit dem einst Konrad Adenauer, der deutsche Kanzler, seine Wiederwahl sicherte: Mikko könnte es fremder nicht sein. Ihm kann gar nicht genug experimentiert werden. Trial and error, wie bei den Startup: Damit, hofft er, könnte Finnland nicht nur die Rezession abschütteln, sondern auch die digitale Revolution meistern.
"Der Staat experimentiert schon eine Menge. Gerade sind die Behörden dabei, kommunale Angebote zu digitalisieren. Soweit ich informiert bin, sind dazu landesweit zwanzig Versuche angelaufen. Alles wissenschaftlich fundiert."
So viel Experimentierfreudigkeit kommt bei vielen Finnen an. Laut Umfragen sind zwei von drei für das Experiment mit dem Grundeinkommen. Ob es aber nach zwei Jahren landesweit eingeführt wird – das steht noch in den Sternen.