Experimentelles Projekt

Ein Jahr leben wie David Bowie gelebt hat

David Bowie 1974 bei einem Konzert in London: Er galt als großer Verwandlungskünstler.
Original oder Kopie? Das Bild zeigt tatsächlich den echten David Bowie - bei einem Auftritt im Jahr 1974. © imago/LFI
Will Brooker im Gespräch mit Martin Böttcher |
David Bowie ist gestorben. Den britischen Kulturwissenschaftler Will Brooker trifft die Nachricht besonders hart. Er wagt zurzeit ein radikales Experiment: Um das Werk des Popstars besser zu verstehen, schlüpft Brooker für ein Jahr in die Rolle von David Bowie.
"Ein Musiker wie David Bowie, der über 40 Jahre hinweg nicht nur musikalisch viel bewegt hat, sondern zur Popikone aufstieg, hat viele Fans. Der Kulturwissenschaftler Will Brooker pflegt diese Fankultur auf eigene Weise und versucht ein Jahr lang das Leben von Bowie nachzuleben. Der Dozent von der renommierten Universität Kingston betreibt nach eigenen Worten "Auto-Ethonografie" und passt seine Ernährung, seine Kleidung und sein Auftreten an das des weltweit verehrten Idols an.
Dafür schlüpft Brooker beispielsweise in verschiedene Kostüme, die denen des Küntlers nachempfunden sind: als Ziggy Stardust, als Aladdin Sane mit dem aufgemalten Pfeil im Gesicht, im Anzug als David Bowie der 80er-Let's-Dance-Phase. Er musste sein Äußeres dafür stark verändern, die Haare blond färben, die Augenbrauen zupfen, die Zähne bleichen und den ganzen Körper mit Selbstbräuner besprühen. Was Will Brooker noch alles macht und warum - das erklärt uns Will Brooker im Gespräch.
Deutschlandradio Kultur: Bitte erklären Sie doch kurz, was genau Sie in Sachen David Bowie machen?
Will Brooker: Ich versuche in die Karriere und in die Erfahrungen einzutauchen, die David Bowie in der Zeit von 1965 bis in die Gegenwart gemacht hat. Das Projekt dauert ein Jahr und ich habe damit im Juni dieses Jahres angefangen. Für mich ist das vor allem Forschung: ich werde danach ein wissenschaftliches Buch über David Bowie und ein weiteres über meine Erlebnisse mit dieser Forschungsmethode schreiben.
Das Ganze hat eigentlich ganz bescheiden als persönliches Projekt angefangen, weil ich die kulturellen Einflüsse besser verstehen wollte, denen Bowie in seiner Zeit ausgesetzt war. Ich höre die Musik, die Bowie hörte, ich lese die Bücher und sehe die Filme, die er sah und hoffe so einen Einblick in sein kreatives Denken zu bekommen.
"Ich halte mich auch streng an die Chronologie"
Deutschlandradio Kultur: Sie tragen also ähnliche Kleidung wie Bowie und hören auch nur Musik aus der Zeit - und nicht nur Musik von David Bowie?
Brooker: Nein, ich höre nicht nur Musik von Bowie, aber ich höre ausschließlich Musik die Bowie in einer bestimmten Lebensphase gehört hat. Mittlerweile habe ich die allermeisten Biografien über ihn gelesen. Aus diesen Büchern wissen wir, welche Musik das war und ich halte mich auch streng an die Chronologie. Ich höre in diesem Forschungs-Jahr niemals Musik, die nicht zur aktuellen Lebensphase von David Bowie passt, in der ich mich gerade befinde.
Deutschlandradio Kultur: Was tragen Sie denn jetzt gerade? In welcher Bowie-Phase lben Sie aktuell?
Zurzeit lebe ich in den Jahren 1995 bis 1997, als Bowie die Alben "Outside" und "Earthling" gemacht hat. Ich trage eine weiße Jacke mit aufgedruckten Reifenmustern, eine Kopie des Modells, das Alexander McQueen für Bowie entworfen hat. Außerdem einen Mantel mit einer großen britischen Fahne auf dem Rücken. Die stammt auch von Alexander McQueen, das war seine Hommage an das Earthling-Album. Im Gesicht habe ich mir einen Ziegenbart rasiert, die Haare trage ich als Igelfrisur und rund um meine Augen ist reichlich Make Up. Ich sehe vielleicht ein wenig wie ein Stummfilm-Bösewicht aus oder wie Prospero aus dem Shakespeare-Drama "Der Sturm". Vielleicht ähnele ich gerade auch einem verspielten Zauberer. So sah Bowie jedenfalls kurz vor seinem 50. Geburtstag aus.
"Als Forscher lese ich viele Bücher, Biografien und Interviews"
Brooker: Ich habe gelesen, dass Sie sogar essen und schlafen wie Bowie? Was bedeutet das genau?
Deutschlandradio Kultur: Bowies Ernährung war eigentlich nur Mitte der 70er-Jahre ungewöhnlich, als er vor allem von Paprikaschoten, Milch und großen Mengen Kokain lebte. Drogen stehen mir allerdings nicht zur Verfügung, deshalb habe ich mich eine Zeit lang auch nur von roter Paprika und Milch ernährt. Ich habe in dieser Phase auch nur sehr wenig geschlafen, weil es Bowie damals genauso machte.
Deutschlandradio Kultur: Was haben Sie dabei gelernt?
Brooker: Nun, ich wollte nachempfinden, in welchem mentalen Zustand er sich möglicherweise befand, als er ein Album wie "Station to Station" machte. Natürlich lässt sich Bowie nicht allein aufgrund einer solcher Erfahrung verstehen, aber diese Herangehensweise erweitert unser Repertoire an Forschungsmethoden. Die traditionelle Forschung bleibt natürlich die Grundlage, um Bowie zu verstehen. Als Forscher lese ich viele Bücher, Biografien und Interviews. Neulich habe ich aber auch damit angefangen, aufzutreten und Bowie Lieder zu singen. Das sind Erweiterungen des klassischen Forschungsrepertoires, die mir helfen, Bowie aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.
Keine Drogen, kein entfesseltes Sexleben
Deutschlandradio Kultur: Drogen haben definitiv einen Einfluss auf seine Musik gehabt - und auf sein ganzes Leben Wie nähern Sie sich dieser Seite Bowies?
Brooker: Nun, ich sollte Ihre Hörer daran erinnern, dass Drogen illegal sind. Egal, wie toll man Bowie findet, dürfte wohl kaum jemand mit den Unmengen an Kokain mithalten können, die er konsumiert hat. Davon abgesehen wäre das sehr ungesund und teuer. Es wäre nicht sinnvoll, Dinge zu tun, die tödlich enden können. Bowie hatte viel Glück, dass er die 70er-Jahre überlebt hat. Für meine Forschungen beschränke ich mich auf legale Substanzen, Koffein, Schlafmangel und ich passe meine Ernährung an, um einen ähnliche Effekt zu erreichen.
Original oder Kopie? Auch hier wieder: das Original. David Bowie im Jahr 1976  bei den Dreharbeiten zu dem Film "Der Mann, der vom Himmel fiel".
Original oder Kopie? Auch hier wieder: das Original. David Bowie im Jahr 1976 bei den Dreharbeiten zu dem Film "Der Mann, der vom Himmel fiel".© imago/AD
Deutschlandradio Kultur: Ist das nicht ein großer Widerspruch?
Brooker: Ich glaube, irgendwo muss man Abstriche machen. Ich führe in diesem Jahr auch kein entfesseltes Sexleben, so wie es Bowie mit Männern und Frauen in den 70er-Jahren lebte. Leider kann ich auch nicht die Songs schreiben, die Bowie komponierte. Es geht ja auch gar nicht darum, dass ich vollständig in seinen Erfahrungen aufgehe. Es geht darum, einen punktuellen Zugang zu seinem Leben zu finden. In der Tat wäre es ja auch anmaßend! Es wäre geradezu eine Beleidigung dieses Leben zu imitieren, denn es wird keinen zweiten David Bowie geben. Als der extrem begabte Künstler der er ist, bleibt Bowie einzigartig. Wäre dem nicht so, würden ja alle versuchen so zu sein wie er. Ich versuche, David Bowie und seinem Leben mit meinem Forschungsprojekt die Ehre zu erweisen. Alles andere wäre eine Beleidigung.
Deutschlandradio Kultur: Sind Sie denn der größte lebende Bowie-Fan?
Brooker: Nein, keineswegs! Es gibt viel Fans, die von Bowie noch sehr viel stärker besessen sind als ich es bin. Wenn ich zum Beispiel kleine Fehler mache, etwa bei der Kleidung oder bei der Wahl meiner Orte, melden die sich umgehend mit ihren Korrekturen bei mir. Ja, ich mag David Bowie und seine Arbeit sehr, aber so heftig wie bei manchen anderen ist meine Leidenschaft nicht. Ich pflege zu ihm eine kritische Zuneigung, keine bedingungslose Liebe. Ich sehe auch seine Schwächen und mache daher auch kein Fan-Buch, sondern eine wissenschaftliche Studie. Kritische, auf Objektivität bedachte Distanz ist da nur angemessen.
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