Experte erwartet "nicht mehr als fünf Jahre" Erkundung von Gorleben

Klaus-Jürgen Röhlig im Gespräch mit Britta Bürger |
Durch die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wächst der Berg des radioaktiven Atommülls. Als Endlager ist seit 1977 der Salzstock von Gorleben im Gespräch - er wäre durchaus ein geeigneter Standort, meint Professor Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung in Clausthal.
Britta Bürger: An der Technischen Universität Clausthal gibt es seit drei Jahren das Institut für Endlagerforschung, das einzige Universitätsinstitut Deutschlands, das sich mit dem Thema befasst und auch die Bundesregierung berät. Professor Dr. Klaus-Jürgen Röhlig hat dort eine von den Energiekonzernen finanzierte Stiftungsprofessur inne.

Mit ihm habe ich über das schwierige Problem der Endlagerung gesprochen, zunächst mit Blick auf die Einteilung des Atommülls in drei Kategorien: den schwach-, mittel- und hochradioaktiven Atommüll. Radioaktivität ist generell gefährlich. Müsste man nicht also alle radioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerken gleich intensiv sichern?

Klaus-Jürgen Röhlig: Nein, das kann man so nicht sagen. Sie müssen sich vorstellen, dass wir am einen Ende der Skala schon abgebrannten Brennelemente haben, die tatsächlich also harte radioaktive Strahlung aussenden, die entsprechend abgeschirmt werden müssen, die heiß sind auch im wahren Sinne des Wortes. Und am anderen Ende der Skala haben Sie Dinge wie Laborhandschuhe, Bauschutt von kerntechnischen Anlagen und Ähnlichem, der nur sehr schwach strahlt. Und es ist überhaupt nicht sinnvoll, all diese Abfälle gleich zu behandeln.

Bürger: Wie viele Tonnen gibt es derzeit bereits von radioaktivem Atommüll?

Röhlig: Prognostiziert sind knapp 22.000 Tonnen Schwermetall. Das sind schon die neuen Zahlen, wenn man die jetzt geplanten Laufzeitverlängerungen mit in Betracht zieht.

Bürger: Greenpeace sagt, dass durch die Laufzeitverlängerung der Atommeiler sich der Müll verdreifacht hat in dieser Zahl, die Sie jetzt genannt haben. Ist das realistisch?

Röhlig: Nein, das ist eine Frage, wie man es rechnet. Nach dem alten sogenannten Atomkonsens wären wir bei etwas über 17.000 Tonnen wärmeentwickelnden Abfall gelandet, das heißt also wir haben eine Erhöhung um etwa 20 oder 25 Prozent. Was Greenpeace hier meint, ist, dass der noch entstehende Abfall etwa sich verdreifacht.

Bürger: Die Atomkraftgegner, die warnen seit 50 Jahren vor den Gefahren des Atommülls, und auf der anderen Seite gibt es Leute, die sagen, die Deutschen hätten so eine Art Strahlenhysterie. Welche Gefahren stehen für Sie jetzt als Experte, der sich damit befasst, im Mittelpunkt, und welche halten Sie für überbewertet?

Röhlig: Also die Gefahr vor der Strahlung an sich halte ich für eher überbewertet. Gefahren bestehen insbesondere im Zusammenhang mit einer vernünftigen oder weniger vernünftigen Aufsicht über die spaltbaren Materialien, die ja auch für Zwecke genutzt werden können wie Terrorismus zum Beispiel, für die sie nicht intendiert waren. Problematisch ist natürlich auch der Gehalt an radiotoxischen Materialien und chemotoxischen Materialien in den Abfällen. Bei einer vernünftigen Entlagerung müssen wir verhindern, dass diese toxischen Materialien, also diese giftigen Materialien ins Grundwasser und schließlich in die Umwelt kommen.

Bürger: Seit einem halben Jahrhundert sucht man in Deutschland nach einer langfristigen Lagerungsmöglichkeit und es heißt, der Atommüll müsse für eine Million Jahre so gesichert sein, dass kein Mensch jemals damit in Berührung kommen kann. Wie kann man überhaupt in solchen Dimensionen denken?

Röhlig: Meine Kollegen aus der Branche der Geologie denken in noch viel größeren Zeiträumen. Wenn Sie zum Beispiel den von Ihnen vorhin genannten Salzstock Gorleben betrachten, der ist also mehrere hundert Millionen Jahre alt. Die Geowissenschaften sagen, dass die Tiefenschichten, die für eine Endlagerung infrage kommen, auch weitere zehn oder hundert Millionen Jahre so verbleiben werden, wie wir sie brauchen. Insofern ist das für Geologen kein unvorstellbarer Zeitraum.

Bürger: Wir wissen nicht, wie sich die Welt verändern wird.

Röhlig: Natürlich wissen wir das nicht, aber wir wissen einiges über geologische Formationen, wie lange diese geologischen Formationen ihre Form behalten und wie lange wir sie schon kennen. Wir wissen, wo es Erdbeben gibt, wo es keine Erdbeben gibt, wir wissen, wo Erdplatten sich gegeneinander verschieben, wir kennen also die instabilen Bereiche, in die wir natürlich auch kein Endlager bauen würden, und insofern, denke ich, ist aufgrund der geologischen Expertise insbesondere schon gewährleistet, dass man über diese Zeit tatsächlich auch einen Einschluss der Abfälle gewährleisten kann.

Bürger: Die Politik hat das Thema der Endlagerung lange verschleppt. Der einzige Ort, über den einigermaßen konkret diskutiert wurde und wird ist nach wie vor der Salzstock bei Gorleben, am 1. Oktober sollen dort die Erkundungen fortgesetzt werden. Was muss man denn dort noch klären, um abschließend sagen zu können, das geht oder das geht nicht?

Röhlig: Ich hatte ja gerade von den Salzformationen gesprochen, die die Abschirmung und die Isolation des Abfalls bewirken sollen. Die muss man tatsächlich Schritt für Schritt unter Tage in einem Erkundungsbergwerk erkunden. Und von denen ist eben bis jetzt tatsächlich nur ein Einziger von mehreren erkundet worden. Insofern, falls in Gorleben jemals ein Endlager errichtet wird, dann müssten alle diese potenziellen Endlagerbereiche auch mit einer Strecke, nennen wir das, umfahren werden und entsprechend erkundet werden.

Bürger: Wie lange werden diese Erkundungen dort voraussichtlich noch dauern?

Röhlig: Wenn man sie zügig vorantreibt, einige Jahre.

Bürger: Einige Jahre ist relativ!

Röhlig: Im einstelligen Bereich auf alle Fälle, also nicht mehr als fünf Jahre.

Bürger: Wohin mit dem Atommüll, darüber sprechen wir hier in Deutschlandradio Kultur mit Klaus-Jürgen Röhlig, dem Leiter des einzigen Universitätsinstituts in Deutschland, das sich mit der Endlagerung von Atommüll befasst, an der TU Clausthal. Diese Professur ist ja eine Stiftungsprofessur, Herr Röhlig, finanziert von der Atomindustrie, die ja bereits viel Geld in die Erkundung auch von Gorleben gesteckt hat. Die Rede ist von 1,5 Milliarden Euro. Ist das auch der Grund, warum es ja gar keine Bewegung gibt, nach alternativen Standorten zu Gorleben zu suchen?

Röhlig: Ja, Sie haben sicherlich ein wesentliches Problem angesprochen. Das System in Deutschland ist so konstruiert, dass der Bund die Lösung finden muss und sich diese Lösung dann refinanzieren lässt von der Industrie. Diese Verordnung besagt, dass die Industrie aufkommt für die notwendigen Leistungen, die der Bund erbringt im Zusammenhang mit der Endlagerung, und der Streit geht natürlich immer darum, was jetzt eigentlich notwendig ist. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, solange die Nichteignung von Gorleben noch nicht bewiesen ist, ist es nicht notwendig, andere Standorte zu erkunden zum Beispiel, kann der Bund die Aufwendung für eine solche Erkundung auch der Industrie nicht in Rechnung stellen. Das ist eigentlich ein Systemproblem, wenn Sie so wollen.

Bürger: Stehen Sie selbst dabei nicht auch ein bisschen zwischen den Stühlen? Sie beraten die Bundesregierung, arbeiten aber im Auftrag der Atomindustrie. Sie müssen doch als Wissenschaftler eigentlich generell für einen Standortvergleich plädieren?

Röhlig: Also zunächst mal möchte ich klarstellen, dass ich nicht im Auftrag der Atomindustrie arbeite. Es handelt sich um eine Stiftungsprofessur, wie Sie gesagt haben. Eine Stiftung verfolgt in der Regel einen Zweck, in dem Fall ist der Hauptzweck der Stiftung gewesen der Kompetenzerhalt, die Gewährleistung von Kompetenzen auf diesem Gebiet in Deutschland, wir haben nämlich große Probleme auf diesem Gebiet. Ansonsten unterliege ich den gleichen Bedingungen wie jeder andere Universitätsprofessor auch. Also ich nenne die Stichworte Freiheit von Lehre und Forschung, wie sie festgehalten werden in der Verfassung und im Gesetz, und insofern sehe ich mich auch nicht als Interessenvertreter, insofern stehe ich auch nicht zwischen den Stühlen.

Bürger: Okay, wie sehen Sie denn das Thema Standortvergleich? Bräuchte man einen Vergleich oder reicht es, nur in Gorleben weiter zu erkunden?

Röhlig: Rein technisch gesehen würde es reichen, nachzuweisen, dass in Gorleben ein ausreichend sicheres Endlager gebaut werden kann. Das ist aber die puristische Version, die technische Version. Ob ein Standortvergleich dazu beitragen könnte, die Akzeptanz in Lösungswege zu erhöhen, vermag ich nicht zu sagen. Da gibt es zwei Meinungen: Die einen sagen, ja, das würde auf alle Fälle die Akzeptanz erhöhen, weil ein gewisses Gefühl von Fairness reinkommt, das kann ich verstehen; andere wiederum sagen, dass wenn man jetzt mehrere Standorte zum Vergleich benennt, dass man dann mehrere Konfliktherde ähnlich zu Gorleben auch kreieren würde.

Es gibt noch einen dritten Punkt, das ist einfach die Frage des vernünftigen und rationalen Vorgehens. Die Frage ist doch, was passiert, wenn sich herausstellt, dass Gorleben scheitert, mag es sein aus technischen Gründen oder sei es aus juristischen oder politischen Gründen. Für diesen Fall wäre es natürlich vernünftig, sich auch eine Rückfahrtposition offenzuhalten. Insofern wäre es schon vernünftig, parallel weitere Standorte zu untersuchen.

Bürger: Was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Vor- und Nachteile bislang von Gorleben?

Röhlig: Also die wichtigsten Vorteile finden sich in etwa 800, 900 Meter Tiefe, dort, wo die von mir vorhin beschriebene Erkundung bis jetzt große Partien von sehr altem und auch kaum gestörtem Steinsalz vorgefunden hat, was also eine Barriere bilden könnte zwischen den Abfällen auf der einen Seite und der Umwelt auf der anderen Seite. Diese Vorkommen sind sehr homogen, es gibt kaum Flüssigkeitseinschlüsse dort, nicht wie in anderen Teilen, in diesen potenziellen Endlagerbereichen gibt es also nur ganz kleine Flüssigkeitseinschlüsse. Formationen, die eine hydraulische, also eine wasserleitende Verbindung zwischen den Abfällen und der Umgebung herstellen könnten, existieren als durchgehende Formationen nicht. Das sind die wesentlichen Vorteile. Nachteile sind, dass es keine abgeschlossene Tonschicht über dem Salzstock gibt, das ist in etwa 300 Meter Tiefe, 200 bis 300 Meter Tiefe, so dass also das Grundwasser an einigen Stellen in direktem Kontakt mit dem Salzstock steht.

Bürger: Also das, was in Asse passiert ist?

Röhlig: Nein, das muss man schon auseinanderhalten. In der Asse ist ein Salzbergwerk aufgefahren worden, was tatsächlich bis auf wenige Meter an die wasserführenden Schichten herangetrieben worden ist. Und das ist das, was dort die Probleme bereitet. Wir sprechen hier in Gorleben von mehreren hundert Metern Steinsalz, die sich immer noch zwischen dem Wasser und dem potenziellen Einlagerungsorten für die Abfälle befinden. Und dieses Wasser wird auch das Salz nur sehr langsam ablaugen, also man spricht von ja Ablaugraten, von Bruchteilen, von Millimetern pro Jahr, Sie können sich vorstellen, wie lange es dauern wird, um mehrere hundert Meter Steinsalz da abzulaugen.

Bürger: Aber wir reden doch über einen Zeitraum von einer Million Jahre, über die die Sicherung dieser Tausenden Tonnen von Atommüll gesichert werden soll!

Röhlig: Das ist richtig, aber mit diesen Ablaugraten würde es natürlich Dutzende von Millionen Jahren dauern, bis das Grundwasser die Abfälle gegebenenfalls erreichen würde.

Bürger: Auf der Suche nach einem Konzept für die Endlagerung von Atommüll ist der Wissenschaftler Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung an der TU Clausthal. Herr Röhlig, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Röhlig: Ich danke Ihnen, Frau Bürger!
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