"Unser Bildungssystem hinkt hinterher"
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Der Bildungsforscher Hans Brügelmann hält es für verschmerzbar, dass Bayern den Nationalen Bildungsrat verlassen will. Das geplante Gremium habe ohnehin eine wichtige Frage bisher nicht auf der Agenda: die Bildungsgerechtigkeit.
Mit dem Argument, Bayern lehne ein Zentralabitur aus Berlin ab, will das Bundesland den Nationalen Bildungsrat noch in der Planungsphase verlassen. Das kündigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an. Auch Baden-Württemberg pocht auf die Bildungshoheit der Länder.
Das Projekt der Großen Koalition sieht vor, dass Experten Vorschläge für mehr Qualität, Transparenz und Vergleichbarkeit im Bildungswesen erarbeiten. Nach Ansicht des Bildungsforschers Hans Brügelmann sollte es aber um etwas anderes gehen:
"Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse - das ist ja so, wie das Pferd vom Schwanz aufzäumen. Die eigentlichen Probleme liegen ja vorher, nämlich welchen Zugang zu Bildung haben Kinder aus verschiedenen Milieus? Das wäre eine ernsthafte Frage, mit der sich ein solcher Bildungsrat beschäftigen sollte - und das stand bisher nicht auf der Agenda."
Bürgerräte für mehr Bildungsgerechtigkeit
Von daher sei der Ausstieg Bayerns keine "Katastrophe". Für mehr Bildungsgerechtigkeit hält es der langjährige Professor für Grundschulpädagogik an der Universität Siegen für sinnvoll, "Bürgerräte" einzuberufen. Diesen würden dann nicht nur Bildungsexperten und -politiker angehören, sondern Menschen mit Lebenserfahrung, die einen repräsentativen Querschnitt durch die Bevölkerung darstellten.
Brügelmann nennt das die "Intelligenz der Praxis". Denn die Probleme liegen nach Überzeugung Brügelmanns in den Strukturen des Bildungssystems:
"Wir haben auf der ganzen Erde vielleicht 18 Länder, in denen Kinder nach Klasse 4 sortiert werden - und 16 von denen liegen in Deutschland. Wir haben hier ein Bildungssystem, das hinterherhinkt hinter den Anforderungen, die die moderne Gesellschaft stellt."
(bth)
Der Direktor des Leibnitz-Instituts für Bildungsforschung (DIPF) in Frankfurt am Main, Eckhard Klieme, hält den Bildungsrat für einen sinnvollen Ort, um über Themen wie die Digitalisierung oder die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer zu sprechen. Zu solchen größeren Themen brauche es einen Austausch, den die Kultusministerkonferenz nicht leisten könne.