Explosives Gemüse

Von Udo Pollmer |
Diese Meldung hatte Sprengkraft: Warentester fanden in Salat, Orangen, Tomaten und Biogurken Rückstände des Sprengstoffs Perchlorat. Wie explosiv ist die Lage?
In Gemüse und Obst steckt einiger Sprengstoff - seit Lebensmittelüberwachung und Warentester in Salat, Orangen, Tomaten und Biogurken Rückstände eines Stoffes namens Perchlorat nachgewiesen haben. Die Höchstmenge, festgesetzt vom Bundesinstitut für Risikobewertung, wurde teilweise überschritten. Zu allem Überfluss handelt es sich um einen Stoff, der vor allem für Feuerwerkskörper und Sprengstoff genutzt wird – eine Nutzung, die nicht wirklich zu Salat und Tomaten passen will.

Perchlorat ist ein Tausendsassa: Neben seiner Rolle als Sprengstoff dient er als Arznei bei Schilddrüsenleiden, theoretisch würde er sich sogar als Unkrautvernichter eignen. Das Umweltbundesamt vermutet jedoch, die Rückstände seien Folge einer allgemeinen Hintergrundbelastung durch die Nutzung von Perchlorat in der Industrie – wie in der Metallverarbeitung und Papierveredelung. Doch der Stoff fand sich in Spuren sogar in Tiefenwässern, die seit zigtausenden von Jahren vor menschlichen Einflüssen geschützt sind. Demnach gibt es noch weitere Quellen. Perchlorat bildet sich beispielsweise bei Gewittern durch Blitze, auf diesem Wege entsteht übrigens auch das altbekannte Nitrat. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum man im Chilesalpeter, einem Bio-Dünger, Perchlorat findet.

All das kann die manchmal hohen Rückstände im Blattgemüse und auf Zitrusfrüchten kaum erklären. Vielleicht wurden die Produkte ja im Erzeugerland desinfiziert? Bei Rohverzehr von Obst und Gemüse besteht die Gefahr, dabei auch Krankheitserreger mit zu verspeisen. Der Branche steckt der EHEC-Skandal noch in den Knochen. Da sind alle Methoden willkommen, die Keime abtöten, aber nicht deklariert werden müssen oder erst gar nicht nachweisbar sind. Eine Möglichkeit bietet ein Stoff namens Dimethyldicarbonat. Das ist ein Desinfektionsmittel, das häufig Apfelschorlen und Eistees zugesetzt wird – natürlich ohne Deklaration. Damit lassen sich auch Schnibbelsalate und Sprossen desinfizieren. Da für Dimethyldicarbonat eine Deklarationspflicht geplant ist, braucht es eine Alternative, die keiner merkt.

Die bietet sich in Form der Elektrochemischen Aktivierung an. Bei der Elektrochemischen Aktivierung löst man etwas Kochsalz in Wasser, legt Strom an und führt eine Elektrolyse durch. Dabei entsteht eine aggressive Reinigungslösung mit Chlor und hypochloriger Säure. In einer Nebenreaktion bildet sich Chlorat und Perchlorat. Denn auf diesem Wege wird Perchlorat auch technisch erzeugt. Vielleicht stammen erhöhte Rückstände im Gemüse ja von einer solchen Anwendung zur Entkeimung!

Dieses Verfahren ist auch für die Abfüller von Mineralwässern interessant. Lange Zeit war bei Sprudel eine Entkeimung überflüssig. Schließlich ist Kohlensäure ein wunderbares Konservierungsmittel. Kohlendioxid bremst die Keime in der Wasserflasche. Ein Zusatzstoff, der erfrischt und für Hygiene sorgt – hier stimmt die Phrase der Werbetexter vom "gesunden Genuss". Kohlendioxid wird auch vom Körper selbst in erheblicher Menge hergestellt, mit jedem Atemzug setzen wir dieses Konservierungsmittel frei, insgesamt atmen wir 700 Gramm am Tag aus.

Doch inzwischen werden immer mehr stille Wässer verkauft. Da ein wirksamer Schutz fehlt, kommt es gelegentlich zu einer unerwünschten Belastung mit Keimen. Hier bietet die Elektrochemische Aktivierung eine elegante Lösung. Da stilles Mineralwasser, wie der Name schon sagt, bereits Mineralien enthält, also Salze, braucht man keine weiteren Zusätze. Es genügt eine Elektrolyse und man erhält ein Desinfektionsmittel. Beim Abfüllen von Apfelschorle wird damit auch noch das Saftkonzentrat entkeimt. Und alsbald verwandelt sich das elektrolysierte Wasser wieder zurück in richtiges Mineralwasser.

Das Verfahren ist effektiv, aber bisher nicht für Lebensmittel zugelassen – außer zum Entkeimen von Leitungen. Da Keime aber riskanter sind als ein Hauch Perchlorat, das sogar in natürlichen Tiefenwässern vorkommt, ist eine Zulassung für Lebensmittel vertretbar, vorausgesetzt es wird deklariert. Und wer diese Behandlung ablehnt, der macht sein Gemüse im Kochtopf keimfrei und trinkt statt Wasser, das nur nass ist, erfrischenden Sprudel. Mahlzeit!


Literatur:
- Wolheim A et al: Kontamination von pflanzlichen Lebensmitteln mit Perchlorat. News Analytik 2013
- Coleman R: Obst und Gemüse mit Perchlorat kontaminiert. Pressemitteilung NDR 16. Juni 2012
- Hinsch B: Test Apfelschorle: Eine Weltreise. Ökotest Kinder Kinder 2013; H.4: 90-94
- Reimann S, Ahrens A: Desinfizieren mit elektrolytisch erzeugtem Chlor. Getränkeindustrie 2012; H.4: 18-21
- Stallberg C: Schärfere Regeln für die in situ-Herstellung von Desinfektionsmitteln. Brauwelt 2012; H.36: 1051-1052
- Engels S: Stille Mineralwasser mit Keimen belastet. Markt NDR 27.5.2013
- Otte A et al: Elektrochemische Aktivierung als potentielles Verfahren zur Vermeidung und Elimination von Biofilmen in Trinkwasserführenden Systemen. Hygiene und Medizin 2005; 30: 398-403
- Wolf D: Probleme und Perspektiven der Nutzung elektrodiaphragmatisch hergestellter Desinfektionsmittel. Dissertation, TU Berlin 2009
- Weber H: Verfahren zur Dekontamination von Fleisch - Wirkprinzip und Leistung von In situ-Elektrolyse-Verfahren. 12. BfR-Forum Verbraucherschutz. Berlin 6. Juni 2012
- Legendre A: Herstellung von Perchloraten durch Elektrolyse. Chemie Ingenieur Technik 1962; 34: 379-387
- Pollmer U: Stille Wässer gründen tief? Auf dem Weg zum nächsten Skandal. Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 2013; H.6: 220-221
- Nüske G et al: Untersuchung von marktüblichen Elektrolyseanlagen zur Herstellung chlorhaltiger Desinfektionsmittel aus Sole im Wasserwerk. Forum Wasseraufbereitung 5.11.2008, Karlsruhe
- UBA FB IV: Verwendung von Perchloraten und deren Vorläufern sowie wesentliche Eintragspfade von Perchloraten in Lebensmitteln. Dessau-Roßlau, 10. 9. 2012
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