Eine schöne Gastgeberin
Mailand ist weitaus schöner als sein Ruf und mehr als das Finanz- und Wirtschaftszentrum Italiens. Die Gastgeberin der Expo 2015 ist eine grüne, lebendige Stadt, immer am Puls der Zeit - vor allem in Sachen Mode, Design und Architektur.
Bis zur letzten Minute haben Tausende Arbeiter dafür gesorgt, dass aus hässlich schön wird. Das EXPO-Gelände im Nordosten der Stadt soll eine grüne Oase sein zwischen Bahngleisen und Autobahnauffahrten - eine Oase für geschätzt 20 Millionen Besucher.
Das Thema dieser Weltausstellung ist Ernährung: "Feed the planet", den Planeten ernähren. Ein großes Thema, ein wichtiges Thema – angesichts einer Milliarde Menschen, die Hunger leiden. Und ein sehr italienisches Thema. In keinem Land spielt Essen eine so zentrale Rolle. Der Genuss, die Leidenschaft, die Gespräche. Alles dreht sich in Italien ums Essen - auch in Mailand.
Wenn Ernst Knam nach der Mittagspause die Rollläden seiner Pasticceria hochzieht, kann er sich vor Kundschaft kaum retten. Die Mailänder mögen es offensichtlich süß. Keine Sorge, es ist für alle etwas da. Die Ladentheke ist voll mit kunstvoll verzierten Schokotörtchen, Obstkuchen, feinem Gebäck.
Auch in Italien wird mittlerweile häufiger in Fernsehshows gekocht als zu Hause, die Krise hat dazu geführt, dass italienische Familien immer weniger Geld für Lebensmittel ausgeben können. Und längst nicht alles, was einem im Ristorante vorgesetzt wird, schmeckt nach Italien. Für Ernst Knam müsste auch das ein Thema der EXPO in Mailand sein: die neue Esskultur der Italiener.
Auch in Italien wird mittlerweile häufiger in Fernsehshows gekocht als zu Hause, die Krise hat dazu geführt, dass italienische Familien immer weniger Geld für Lebensmittel ausgeben können. Und längst nicht alles, was einem im Ristorante vorgesetzt wird, schmeckt nach Italien. Für Ernst Knam müsste auch das ein Thema der EXPO in Mailand sein: die neue Esskultur der Italiener.
"Mailand ist eine Stadt, die sehr schnell ist, in der viel gearbeitet wird. Morgens im Stehen ein Espresso, dann geht's zur Arbeit. Mittags ein Panino in 15 Minuten. Und die Paninos hier sind nicht gut. Aber das Problem ist, dass sie sich abends zwei Kilo Spaghetti reinhauen."
Mailand ist die Hauptstadt des guten Geschmacks. Das kann man im Frühjahr erleben. Wenn der Salone del Mobile, die Internationale Möbelmesse, läuft, dann ist die Stadt voll von Designfans, von jungen Kreativen – und natürlich auch von den Firmen, die hier ihre Geschäfte machen. Das habe Tradition, sagt Christiano Confalonieri, der gerade einen Film produziert hat mit dem Titel DesignCapital:
"In Mailand gibt es immer noch all die Firmen, die italienische Designgeschichte geschrieben haben. Und dann gibt es die Zulieferbetriebe. Und Mailand war auch die Hauptstadt der Verlage, die sich um Design kümmern. In den 80er-Jahren waren hier alle wichtigen Designzeitschriften, die hier eine Kultur der Ausstellung und der Kritik geschaffen haben."
Der Fuorisalone, also die Reihe von Veranstaltungen und Ausstellungen außerhalb der Design-Messe, zieht die Besucher an – dieses Jahr mit über 1.200 Events. Darunter sind immer noch viele improvisierte, alternative. Vor allem junge Designer hoffen hier auf ihren Durchbruch. Aber auch solche, die schon feste Größen sind.
Sebastian Herkner ist so ein Fall: Jahrgang 1981 und schon vielfach ausgezeichnet. In diesem Jahr hat der Offenbacher den Elle Decoration International Design Award als bester junger Designer bekommen.
Die Stadt atmet Design
"Mailand ist für mich und für mein Büro wahnsinnig wichtig, nach wie vor. Es war damals meine erste Kontaktaufnahme zu Firmen, ich habe das erste Feedback von der Presse bekommen, ich bin mit Firmen in Kontakt gekommen.
Und nach wie vor ist das bis heute, und das wird auch so sein, DIE Plattform für Design, man trifft viele Kollegen, also das ist ein Austausch mit Kollegen auch, was sehr interessant ist. Man sieht neue Trends, in welche Richtung geht das, neue Technologien, man kommt in Kontakt mit Firmen."
Überall in Mailand kann man in diesen Tagen auf die Suche gehen. Die Stadt atmet Design. Über die Stadt verstreut haben sich kleine Zentren gebildet, die versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Im Brera Design District funktioniert das ziemlich gut. Und auch in der alten Stadtmitte haben sie sich zusammengeschlossen unter dem Namen 5vie. So heißt ein kleiner Platz, der einst das Zentrum des antiken Mediolanum war:
"Hier sind die schönsten Kirchen von Mailand, Reste aus der Römerzeit, die schönsten Paläste, verborgene Höfe und dann eine ganze Reihe von fähigen Handwerkern, die für Made in Italy stehen. Sie leben immer noch, seit Generationen, in den Höfen dieses Viertels. Wir haben uns also ganz einfach dafür entschieden, diesem Viertel einen Markencharakter zu geben."
Alessia Del Corona kümmert sich darum. Sie wohnt hier, wo die Häuser entweder der katholischen Kirche oder den alten, reichen Familien Mailands gehören. In einem Garagenkomplex haben die Organisatoren der 5vie ihr Hauptquartier aufgeschlagen.
Mailand, die Stadt der Profis. Das gilt auch für die Wirtschafts- und Finanzelite: Die Kaderschmiede Italiens gehört natürlich zu Mailand.
Von außen betrachtet ist es an der renommierten Privathochschule Bocconi fast so wie an anderen Universitäten: Die Studenten, die gerade ihre ersten Frühjahrsexamen überstanden haben, sehen nur vielleicht etwas schicker aus als anderswo. Man hört verschiedene Sprachen – die jungen Leute kommen aus 80 Ländern. Der Gebäudekomplex im Süden der Mailänder Innenstadt ist in einem deutlich besseren Zustand als viele staatliche Universitäten in Italien.
Andrea Sironi, der Rektor, residiert im ersten Stock. Gerade hat der smarte Professor für Finanzwissenschaft ein paar Gäste auf Englisch verabschiedet. Jetzt sitzt er in seinem großen Büro im Ledersessel - und erklärt, warum alle hierher, auf die Bocconi wollen:
"Die Bocconi ist wie ein mächtiger sozialer Fahrstuhl nach oben. Viele junge Leute kommen aus ganz Italien und aus dem Ausland. Und es sind auch junge Studenten aus Familien unter ihnen, die nicht besonders wohlhabend sind.
Die können es sich nicht leisten, auf eine Universität zu gehen, die keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Und weil die Absolventen der Bocconi begehrt sind, versucht jeder, der später arbeiten muss, hierher zu kommen."
Zumindest in manchen Bereichen mag das gelten. Wirtschaft kann man hier studieren und Jura, Management und bald auch Politikwissenschaften. Etwa 14.000 Studenten gibt es - 12.000 von ihnen aus Italien. Vor allem sie wissen um den guten Ruf dieser Uni.
Absolventen werden später einflussreiche Manager oder Minister. Präsident ist schon seit Jahren Mario Monti, der war Ministerpräsident und EU-Kommissar. Hier wird die politische und wirtschaftliche Elite des Landes ausgebildet - und entsprechend pflegt man auch einen gewissen Dünkel des Elitären.
Rein kommt nur, wer beste Noten hat und einen Test besteht. Und dann braucht man natürlich auch das nötige Kleingeld: Ein Studium an der Bocconi kostet zwischen 5.000 und 11.300 Euro pro Jahr, je nachdem was die Eltern verdienen. Besonders begabte Studenten aus nicht so reichen Familien können sich um Stipendien bewerben.
Ein etwas älterer, prominenter Mailänder wird dagegen inzwischen von den allermeisten Italienern abgeschrieben. Die Rede ist von Silvio Berlusconi: Unternehmer, Politiker, vorbestraft. Vor 79 Jahren wurde er in Mailand geboren. Und hier, am Mailänder Justizpalast, ging seine politische Karriere zu Ende.
Immer wieder musste der langjährige Ministerpräsident aussagen: in Prozessen wegen Steuerhinterziehung, Amtsmissbrauchs, Förderung der Prostitution Minderjähriger. Hier, in dem Betonklotz aus faschistischer Zeit, hat er sich als Opfer inszeniert, als der Mann, der von der Justiz am meisten verfolgt wird. Während der Prozesse gab es immer wieder Demonstrationen für und gegen Berlusconi.
Vor etwas mehr als zwei Jahren sind sogar Berlusconis Abgeordnete aufmarschiert, um gegen die Justiz zu protestieren. Sie kamen bis vor den Gerichtssaal – so etwas hatte es noch nie gegeben.
Berlusconis Mailand ist aber viel mehr. Das weiß kaum jemand besser als Piero Colaprico. Schon lange schreibt er für die Zeitung "La Repubblica" über Verbrechen aller Art. Mit Berlusconi hatte er zum ersten Mal 1986 zu tun. Wenn man mit ihm in Mailand unterwegs ist, kommt man unweigerlich an die Orte, die für Berlusconis Höhen und Tiefen stehen.
Berlusconis Mailand ist aber viel mehr. Das weiß kaum jemand besser als Piero Colaprico. Schon lange schreibt er für die Zeitung "La Repubblica" über Verbrechen aller Art. Mit Berlusconi hatte er zum ersten Mal 1986 zu tun. Wenn man mit ihm in Mailand unterwegs ist, kommt man unweigerlich an die Orte, die für Berlusconis Höhen und Tiefen stehen.
Der Corso Buenos Aires zum Beispiel: Ein große Straße ohne besonders schöne Häuser. Am 27. Mai 2010 kam hier die damals 17-jährige Karima el-Mahroug, besser bekannt als Ruby Rubacuori, aus einem Schönheitssalon. Die Besitzerin sagt, Ruby habe immer mit 500-Euro-Scheinen bezahlt und kenne Silvio Berlusconi persönlich:
"Als sie rauskommt, ist die Polizei da, und die sieht ein Mädchen aus Marokko, das aus einer betreuten Wohngemeinschaft abgehauen ist. Ruby wird aufs Polizeipräsidium gebracht, um die Personalien aufzunehmen.
Und dort ruft gegen Mitternacht dann der Ministerpräsident an. Er sagt, dass es die Nichte des ägyptischen Präsidenten Mubarak sei und dass er eine Bevollmächtigte schicken werde, um sie abzuholen. Und da beginnt die sogenannte Ruby-Affäre, der Tiefpunkt von Berlusconis politischer Geschichte."
"Mailänder legen Wert auf gepflegtes und trendiges Outfit"
Denn das, was Ruby der Polizei erzählt, bringt den Ex-Cavalliere in große Schwierigkeiten.
Eine sterile Wohnanlage mit einem großen Tor: Nordöstlich vom Zentrum Mailands haben die jungen Frauen gewohnt, die als "Le Olgettine" Geschichte gemacht haben. Die Via Olgettina liegt auf halbem Weg nach Arcore, zur Residenz Berlusconis, so hatte man die Frauen schnell zur Hand.
Eine sterile Wohnanlage mit einem großen Tor: Nordöstlich vom Zentrum Mailands haben die jungen Frauen gewohnt, die als "Le Olgettine" Geschichte gemacht haben. Die Via Olgettina liegt auf halbem Weg nach Arcore, zur Residenz Berlusconis, so hatte man die Frauen schnell zur Hand.
Arcore ist durch die sogenannten Bunga-Bunga-Feste berühmt-berüchtigt geworden. Ruby hat von teuren Geschenken erzählt, von viel Geld, dass es gab, von noch mehr Geld, wenn die Frauen über Nacht blieben.
Gleich um die Ecke der Via Olgettina kann man besichtigen, wie Silvio Berlusconi erfolgreich wurde und reich. Hier steht Milano 2, ein gesichtsloser Stadtteil für Leute, die in Mailand wohnen wollen, ohne in Mailand zu sein. Eine Atmosphäre wie auf einem bebauten Golfplatz: rote Häuser, viel Grün, dazwischen Seen.
Berlusconis Firmen hatten das Gelände in den 70er-Jahren bebaut. Eine Erfolgsgeschichte. Denn hier ist auch Berlusconi als Medienunternehmer groß geworden: Aus einem kleinen Lokalsender wurde das Imperium Mediaset mit seinen Fernsehsendern. Aus fünf Studios in Milano 2 wird immer noch gesendet - immer wieder auch Berlusconi-Propaganda, vor allem im Wahlkampf.
Piero Colaprico: "Die Mailänder legen besonderen Wert auf gepflegtes und vor allem trendiges Outfit und gelten unbestritten als die schicksten Italiener - und somit als die schicksten Menschen überhaupt! Selbst Temperaturen über 30 Grad sind für den Mailänder noch lange kein Grund, auf den Anzug zu verzichten, der ihm von Guido Vergani auf den Leib geschneidert worden ist.
Der Stoff ist aus Kaschmir und Wolle, bedruckt auf beiden Seiten. Auf der einen Seite mit einem Schottenmuster und auf der anderen Seite mit diesen besonderen Farben. Das ist doch sympathisch!"
Der Stoff ist aus Kaschmir und Wolle, bedruckt auf beiden Seiten. Auf der einen Seite mit einem Schottenmuster und auf der anderen Seite mit diesen besonderen Farben. Das ist doch sympathisch!"
Die "besonderen Farben" dieses Saccos von Guido Vergani machen den Träger nicht nur zu einem besonders sympathischen, sondern auch zu einem besonders mutigen Menschen. Die wilde Kombination aus Beige, Orange und Braun liegt offenbar im Mailänder Sommertrend. Der edle Stoff steht für Qualität und eine gewisse Finanzkraft des Käufers. Typisch Mailand eben, um noch ein Klischee über diese Stadt zu bedienen. Der Mailänder liebt Maßgeschneidertes.
"Ja, in Mailand gibt es dafür viele Kunden, wir machen das seit vielen Jahren. Wir haben einen festen Kundenstamm in diesem Stadtteil. Es gibt auch Kunden, die in diesem Viertel arbeiten und vorbeikommen. Auch Leute von außerhalb Mailands, auch sehr viele Kunden aus dem Ausland."
Diese Stadt ist ein einziger Laufsteg. Und die älteren Herren, die im perfekt sitzenden Dreiteiler durch die Straßen flanieren, sind mindestens genauso eitel wie die jungen Frauen, die in engen Designerkostümen und hochhackigen Stilettos den Kampf mit dem Mailänder Kopfsteinpflaster aufnehmen. Bevor im nächsten Jahr der neueste Schrei ausgeführt wird.
An der Porta Garibaldi, am Rand der Altstadt, ist in den letzten Jahren ein neues Viertel entstanden. Eine spannende Kombination aus historischem Baubestand und wagemutiger zeitgenössischer Architektur. Und dafür, dass zwischen Wolkenkratzern, Ladenzeilen und U-Bahnhöfen der Mensch nicht verloren geht, war das Büro des deutschen Landschaftsarchitekten Andreas Kipar zuständig.
"Wir befinden uns jetzt in der Mailänder Innenstadt und gehen zum Neubaugebiet "Porta Nuova", auf dem wir einen Fußgängerboulevard für 1,2 Kilometer eingerichtet haben. Ohne einem einzigen Auto zu begegnen, verbinden wir hier drei Stadtviertel miteinander."
Eine kleine Zeitreise: Als Kipar hier vor 30 Jahren ankam, gab es noch keine einzige Fußgängerzone, man konnte bis zum Mailänder Dom mit dem Auto vorfahren. Mittlerweile haben sich die Mailänder ihre Stadt zurückerobert.
In vielen Straßen des Zentrums dürfen nur noch Straßenbahn oder Taxis fahren. Von der Verkehrsberuhigung profitieren vor allem die Straßencafés. Jeder Tisch ist besetzt. Die Angestellten aus der nahegelegenen Zentrale einer großen italienischen Bank machen Mittagspause. Das Hochhaus, das diese Bank im neuen Viertel "Porta Nuova" errichtet hat, ist der umstrittenste Neubau des Projekts. Ein 230 Meter hoher Glaspalast, auf dessen Dach ein dünner, spitzer Turm wie ein Bleistift in den Himmel ragt.
"Es ist ja jetzt sehr grün geworden nach den Regenfällen und der Sonne. Es wird schön, denn es bringt doch noch mal eine gewisse Leichtigkeit, die sich nicht nur in Rom, Neapel oder Florenz breit macht."