"Extreme Sehnsucht"
Mit "Tabu" erzählt Regisseur Christoph Stark die Geschichte des Expressionisten Georg Trakl und der verbotenen Liebe zwischen ihm und seiner Schwester Grete. Lars Eidinger als Trakl wird zum zerrissenen, genialen, drogenabhängigen Künstler, getrieben von der Sehnsucht nach Emotionen.
Britta Bürger: Und der diese Zeilen des Dichters Georg Trakl so gegenwärtig spricht, das ist der Schauspieler Lars Eidinger. Schön, dass Sie bei uns sind. Herzlich Willkommen im "Radiofeuilleton"!
Lars Eidinger: Ja, danke für die Einladung!
Bürger: Nach welchem Ton haben Sie beim Sprechen von Trakls Gedichtzeilen gesucht?
Eidinger: Ja, das fand ich tatsächlich ziemlich schwierig, weil ich auch immer das Gefühl hatte, da sitzen dann so und so viele unten und sagen, so kann der gar nicht gelesen haben oder das stimmt jetzt nicht. Das ist natürlich immer schwierig, wenn man jemanden spielt, den es tatsächlich gegeben hat. Zum Glück gibt es ja da gar keine Aufnahmen, also das ist dann tatsächlich alles Mutmaßung. Mir haben die Gedichte einfach wahnsinnig viel bedeutet, und ich habe dann irgendwann …
Bürger: Schon vorher?
Eidinger: Ja, also in der Auseinandersetzung. Also vorher kann ich jetzt nicht behaupten, ich habe den tatsächlich so wie alle anderen, die Abitur gemacht haben, in der Schule kurz durchgenommen, aber da habe ich jetzt keine großen Erinnerungen dran oder dass das irgendwie mein Interesse über Gebühren geweckt hätte. Aber dann habe ich ja sozusagen den Luxus gehabt, dass ich mich da so drauf konzentrieren konnte und mit beschäftigen konnte, und dann habe ich tatsächlich alles gelesen, alle Erzählungen, alle Gedichte. Ja, und dann wollte ich es einfach gut machen oder habe mir einfach vorgenommen, sozusagen den Bezug dazu herzustellen oder sozusagen zum Ausdruck zu bringen, was mir die Gedichte bedeuten, ohne jetzt die ganze Zeit Gefahr zu laufen, einfach nur dem hinterherzurennen, wie der das wohl gemacht hätte.
Bürger: Haben Sie noch ein paar Zeilen im Kopf, über die Sie dieser Figur Georg Trakl besonders nahe gekommen sind?
Eidinger: Na, also mein Lieblingsgedicht war schon "De profundis".
Bürger: Hören wir was davon?
Eidinger: Ach Gott, ich kann es glaube ich gar nicht mehr auswendig, muss ich mal überlegen. Also. "De profundis. Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt. Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht. Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist. Wie traurig dieser Abend." Weiter weiß ich nicht. Ich muss mich da … Ich habe das auch bei Theatertexten, es fällt mir dann ganz schwer, das sozusagen unabhängig von der Bühne zu rezitieren. Ich könnte Ihnen jetzt auch keinen Text aus "Hamlet" sagen, da muss ich mich wirklich wahnsinnig anstrengen.
Bürger: Das klingt so, wie Sie das lesen, in meinen Ohren, als hätten Sie vorher so einen Workshop gemacht: erst mal alles Pathos abschütteln, ganz nüchtern.
Eidinger: Für mich ist es ein bisschen wie bei Shakespeare, das … Über die Sprache kommt die Emotionalität, ja, und da verlasse ich mich drauf.
Bürger: Dekor und Kostüme des Films stammen aus der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts, und doch ist es ja jetzt alles andere als ein Historienschinken. Also wir sehen Georg Trakl nicht als ausstaffierten Künstler einer vergangenen Epoche, sondern eben insgesamt sehr heutig. Wie holen Sie sich jetzt aber eben so eine Figur aus der Geschichte heran und was lassen Sie auch zurück?
Eidinger: Ja, klar haben wir viel darüber nachgedacht, wie der aussieht. Da gibt es halt so ein paar Fotos, aber da täuscht man sich halt auch ein bisschen, die Fotos stammen eigentlich alle aus der Zeit, wo er schon beim Militär war und sich die Haare abrasieren musste. Also meine Frisur war dann immer … Alle sagen: Warum hat der jetzt so lange Haare? Hatte der doch gar nicht. Der hatte tatsächlich lange Haare, die hat der sich zwar hinters … zurückgekämmt und die hingen so hinterm Ohr, steht dann, und fielen lang in den Nacken. Also so rein äußerlich habe ich eigentlich schon versucht, so dem ein bisschen gerecht zu werden. Das war jetzt auch keine bewusste Verweigerung, dass ich gesagt habe, der sieht halt aus wie ich. Und sonst – es ist wahnsinnig schwer, also das war jetzt tatsächlich auch keine bewusste Entscheidung, zu sagen, wir machen das jetzt heutig, oder … Klar, mit dem Dialekt, da gab es relativ früh die Entscheidung, dass man das Hochdeutsch macht. Ansonsten – bei mir ist es immer so, ich gehe schon auch stark von mir aus, was gar nicht heißt, dass ich jetzt da immer mich selber spiele, sondern es funktioniert über eine Form von Identifikation. Und das fiel mir gar nicht schwer bei Georg Trakl, also im Gegenteil, ich habe den sehr verstanden und sehr ins Herz geschlossen und habe dann einfach …
Bürger: Welchen Aspekt seiner Person?
Eidinger: Na, diese Gedichte sind wahnsinnig düster, und die sind natürlich von so einem Weltschmerz getragen, den ich ganz gut teilen kann oder wo ich spüre, dass da eine extreme Sehnsucht ist nach einer Form von Emotionalität, wie sie vielleicht gar nicht wirklich befriedigend lebbar ist. Das finde ich faszinierend.
Bürger: Auch in diesem Film stehen Sie gleich zu Beginn und auch nicht zum letzten Mal nackt vor der Kamera. Machen Sie das gerne eigentlich, nackt spielen?
Eidinger: Ich werde das so oft gefragt, das ist natürlich auch klar, wenn man immer nackt rumläuft, dann muss man sich die Frage gefallen lassen. Aber … Ich habe dann immer gesagt, ich habe gar keine exhibitionistische Veranlagung, im Gegenteil, ich habe sogar eine Schamgrenze, die ich da immer wieder überwinden muss. Auf der anderen Seite habe ich dann drüber nachgedacht und gemerkt, das hat der Exhibitionist wahrscheinlich auch. Das ist natürlich das, woraus er den Reiz zieht, dass er was macht, wo er sich überwinden muss und was aufregend ist. Und das ist bei mir schon so beim Nacktsein.
Bürger: Aber vielleicht kann man auch über diese Entblößung die Seele einer Figur offener legen.
Eidinger: Ja, wobei es natürlich tatsächlich so ist, dass emotionale Entblößung viel mehr Überwindung kostet als jetzt die Tatsache, sich einfach auszuziehen. Andersherum ist es bei mir so, dass ich nichts ausschließe. Also ich bin da eigentlich zu allem bereit. Ich denke da auch dann oft nicht drüber nach, weil das dann gar nicht um mich als Person geht in dem Moment, sondern ich spiele dann Georg Trakl, der nackt ist. Also ich hätte viel größere Probleme, mich privat auszuziehen. Ich bin auch überhaupt kein FKK-Fan und gehe auch nicht gerne in die Sauna. Das ist mir eher unangenehm. Also es geht bei mir dann eher darum, dass ich da auch ins Extrem gehen will und dass ich da mich davor nicht scheue. Das bezieht sich aber auch auf alle anderen Sachen, was jetzt Emotionalität angeht oder Expressivität oder Aggression. Das ist was, was ich wahnsinnig genieße, dass ich das dann als Schauspieler ausleben kann.
Bürger: Das heißt, Sie suchen eher den Kontrollverlust als die Kontrolle?
Eidinger: Ja, also mir imponieren immer Schauspieler wie Marlon Brando oder Depardieu, die was Animalisches haben. Und es hat viel damit zu tun, … Es gibt so einen Spruch, dass man eigentlich gegen Kind oder gegen Tier auf der Bühne keine Chance hat, weil es nicht inszeniert sein kann und weil es immer die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und so versuche ich eigentlich zu spielen, weil mich das fasziniert, also weil ich auch das Gefühl habe, dass das Unmittelbare eigentlich das ist, was am Interessanten ist und nicht das Gemachte und nicht das verabredete Inszenierte.
Bürger: Wenn man Sie auf der Bühne erlebt, dann spürt man, mit welcher Intensität Sie für mehrere Stunden am Stück in einen anderen sich verwandeln. Im Film jetzt, da müssen Sie ja immer für ein paar Minuten diesen Impuls anzünden und auch wieder ausknipsen, haben den Kameramann und den Regisseur als Gegenüber, keine Mitspieler. Wie bleiben Sie jetzt an so einem Drehtag mit X Unterbrechungen an dieser Intensität der Rolle?
Eidinger: Generell fällt mir das schon wahnsinnig schwer, weil ich auch gemerkt habe, dass der Film im Gegensatz zum Theater viel mehr auf die Illusion setzt und dass es da gar nicht ums Erleben des Schauspielers geht, sondern letztendlich nur darum, was der Zuschauer erlebt. Das heißt, man spielt ja ganz oft auch nicht direkt in die Augen des Partners. Es gibt ja auch so Situationen, wo die Kamera so nah an der Wand ist, dass man eigentlich auf eine Marke spielen muss.
Bürger: Ein Stück Tesafilm.
Eidinger: Ja. Und das vergisst man ja oder das weiß ja keiner. Aber für mich als Schauspieler ist das eine große Herausforderung. Ich habe jetzt gerade einen Fernsehfilm gemacht mit Silke Enders, und da haben wir mit Kindern gedreht, die dürfen halt nur sechs Stunden am Tag drehen, und dann dreht man erst die Schüsse auf die Kinder, also Schüsse, also man filmt die Kinder, und dann dreht man die Kamera um und dann waren die Kinder weg. Und ich habe immer nur auf Tesafilm gespielt.
Bürger: Zum Abschluss Ihres Schauspielstudiums, da haben Sie beim Vorspiel nicht für Tesafilm gespielt, sondern für eine ganze Riege von Schauspielintendanten, Theaterintendanten, und zwar eine Szene aus Schillers "Räuber", und ihr Publikum dazu gezwungen, Ihnen erst mal beim Nachdenken darüber zu folgen, wie Sie jetzt den Vater ermorden könnten, Vatermord, das große Thema der "Räuber" von Schiller. Und das haben Sie gemacht, indem Sie sich hingesetzt haben, nachgedacht haben und lange Zeit ein Bonbon gelutscht haben. Das war ganz schön mutig und wurde später dann von dem Regisseur Thomas Ostermeier auch bewundernd unterstrichen, er hat nämlich den Eindruck, dass Sie als Schauspieler überhaupt keine Angst hätten, irgendwie peinlich oder unglaubwürdig rüberzukommen. Stimmt das? Haben Sie davor keine Angst?
Eidinger: Zu dem, was Thomas sagt: Ich meine, auf der einen Seite freut mich das, irgendwie ist es ein schönes Kompliment, auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, das Gegenteil ist der Fall. Also ich habe wahnsinnige Angst.
Bürger: Wovor?
Eidinger: Ich habe einfach Angst davor, nicht gut zu sein und zu versagen und also einfach auch … Ich habe auch Angst, mich vor Leute zu stellen und mich sozusagen zu zeigen. Und das ist aber für mich kein Widerspruch zu dem Beruf, sondern im Gegenteil: Das hat natürlich einen totalen Reiz, sich da zu überwinden. Und das ist ja letztendlich das, was das Adrenalin ins Blut schießen lässt und was einfach so eine Form von Überkonzentration schafft, die ich total genießen kann. Also ich vergleiche das immer, wenn man mit einem Fahrrad hinfällt, dann gibt es ja diesen Moment, wo sich plötzlich Zeit dehnt und wo man eigentlich schon merkt, ich falle jetzt und jetzt stürze ich und jetzt schlägt mein Kopf gleich auf dem Bordstein auf. Und das empfinde ich beim Spielen genauso, und das hat ganz viel mit dieser Angst zu tun.
Bürger: Wobei Sie ja bislang nicht gefallen sind, im Gegenteil.
Eidinger: Nein, obwohl ich auch ganz gut fallen kann, also das ist so eine meiner Stärken im Theater, hinfallen kann ich gut.
Bürger: Muss ich jetzt noch mal nachfragen: Hinfallen als Georg Trakl tun Sie aber nicht, höchstens auf die Matratze zu Peri Baumeister?
Eidinger: Ja, nein, ich stolpere einmal so die Stufe hoch, aber nein, das stimmt. Ich falle da eigentlich nicht hin.
Bürger: Lars Eidinger, derzeit im Kino zu sehen als Georg Trakl in dem Film "Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden". Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Eidinger: Ja, vielen Dank für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Kino und Film: Das Tabu der "Blutschuld"
Filme der Woche: "Hell" - Ein Katastrophen-Science-Fiction von Tim Fehlbaum
"Fenster zum Sommer" - Liebesdrama zwischen Fiktion und Realität
Lars Eidinger: Ja, danke für die Einladung!
Bürger: Nach welchem Ton haben Sie beim Sprechen von Trakls Gedichtzeilen gesucht?
Eidinger: Ja, das fand ich tatsächlich ziemlich schwierig, weil ich auch immer das Gefühl hatte, da sitzen dann so und so viele unten und sagen, so kann der gar nicht gelesen haben oder das stimmt jetzt nicht. Das ist natürlich immer schwierig, wenn man jemanden spielt, den es tatsächlich gegeben hat. Zum Glück gibt es ja da gar keine Aufnahmen, also das ist dann tatsächlich alles Mutmaßung. Mir haben die Gedichte einfach wahnsinnig viel bedeutet, und ich habe dann irgendwann …
Bürger: Schon vorher?
Eidinger: Ja, also in der Auseinandersetzung. Also vorher kann ich jetzt nicht behaupten, ich habe den tatsächlich so wie alle anderen, die Abitur gemacht haben, in der Schule kurz durchgenommen, aber da habe ich jetzt keine großen Erinnerungen dran oder dass das irgendwie mein Interesse über Gebühren geweckt hätte. Aber dann habe ich ja sozusagen den Luxus gehabt, dass ich mich da so drauf konzentrieren konnte und mit beschäftigen konnte, und dann habe ich tatsächlich alles gelesen, alle Erzählungen, alle Gedichte. Ja, und dann wollte ich es einfach gut machen oder habe mir einfach vorgenommen, sozusagen den Bezug dazu herzustellen oder sozusagen zum Ausdruck zu bringen, was mir die Gedichte bedeuten, ohne jetzt die ganze Zeit Gefahr zu laufen, einfach nur dem hinterherzurennen, wie der das wohl gemacht hätte.
Bürger: Haben Sie noch ein paar Zeilen im Kopf, über die Sie dieser Figur Georg Trakl besonders nahe gekommen sind?
Eidinger: Na, also mein Lieblingsgedicht war schon "De profundis".
Bürger: Hören wir was davon?
Eidinger: Ach Gott, ich kann es glaube ich gar nicht mehr auswendig, muss ich mal überlegen. Also. "De profundis. Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt. Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht. Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist. Wie traurig dieser Abend." Weiter weiß ich nicht. Ich muss mich da … Ich habe das auch bei Theatertexten, es fällt mir dann ganz schwer, das sozusagen unabhängig von der Bühne zu rezitieren. Ich könnte Ihnen jetzt auch keinen Text aus "Hamlet" sagen, da muss ich mich wirklich wahnsinnig anstrengen.
Bürger: Das klingt so, wie Sie das lesen, in meinen Ohren, als hätten Sie vorher so einen Workshop gemacht: erst mal alles Pathos abschütteln, ganz nüchtern.
Eidinger: Für mich ist es ein bisschen wie bei Shakespeare, das … Über die Sprache kommt die Emotionalität, ja, und da verlasse ich mich drauf.
Bürger: Dekor und Kostüme des Films stammen aus der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts, und doch ist es ja jetzt alles andere als ein Historienschinken. Also wir sehen Georg Trakl nicht als ausstaffierten Künstler einer vergangenen Epoche, sondern eben insgesamt sehr heutig. Wie holen Sie sich jetzt aber eben so eine Figur aus der Geschichte heran und was lassen Sie auch zurück?
Eidinger: Ja, klar haben wir viel darüber nachgedacht, wie der aussieht. Da gibt es halt so ein paar Fotos, aber da täuscht man sich halt auch ein bisschen, die Fotos stammen eigentlich alle aus der Zeit, wo er schon beim Militär war und sich die Haare abrasieren musste. Also meine Frisur war dann immer … Alle sagen: Warum hat der jetzt so lange Haare? Hatte der doch gar nicht. Der hatte tatsächlich lange Haare, die hat der sich zwar hinters … zurückgekämmt und die hingen so hinterm Ohr, steht dann, und fielen lang in den Nacken. Also so rein äußerlich habe ich eigentlich schon versucht, so dem ein bisschen gerecht zu werden. Das war jetzt auch keine bewusste Verweigerung, dass ich gesagt habe, der sieht halt aus wie ich. Und sonst – es ist wahnsinnig schwer, also das war jetzt tatsächlich auch keine bewusste Entscheidung, zu sagen, wir machen das jetzt heutig, oder … Klar, mit dem Dialekt, da gab es relativ früh die Entscheidung, dass man das Hochdeutsch macht. Ansonsten – bei mir ist es immer so, ich gehe schon auch stark von mir aus, was gar nicht heißt, dass ich jetzt da immer mich selber spiele, sondern es funktioniert über eine Form von Identifikation. Und das fiel mir gar nicht schwer bei Georg Trakl, also im Gegenteil, ich habe den sehr verstanden und sehr ins Herz geschlossen und habe dann einfach …
Bürger: Welchen Aspekt seiner Person?
Eidinger: Na, diese Gedichte sind wahnsinnig düster, und die sind natürlich von so einem Weltschmerz getragen, den ich ganz gut teilen kann oder wo ich spüre, dass da eine extreme Sehnsucht ist nach einer Form von Emotionalität, wie sie vielleicht gar nicht wirklich befriedigend lebbar ist. Das finde ich faszinierend.
Bürger: Auch in diesem Film stehen Sie gleich zu Beginn und auch nicht zum letzten Mal nackt vor der Kamera. Machen Sie das gerne eigentlich, nackt spielen?
Eidinger: Ich werde das so oft gefragt, das ist natürlich auch klar, wenn man immer nackt rumläuft, dann muss man sich die Frage gefallen lassen. Aber … Ich habe dann immer gesagt, ich habe gar keine exhibitionistische Veranlagung, im Gegenteil, ich habe sogar eine Schamgrenze, die ich da immer wieder überwinden muss. Auf der anderen Seite habe ich dann drüber nachgedacht und gemerkt, das hat der Exhibitionist wahrscheinlich auch. Das ist natürlich das, woraus er den Reiz zieht, dass er was macht, wo er sich überwinden muss und was aufregend ist. Und das ist bei mir schon so beim Nacktsein.
Bürger: Aber vielleicht kann man auch über diese Entblößung die Seele einer Figur offener legen.
Eidinger: Ja, wobei es natürlich tatsächlich so ist, dass emotionale Entblößung viel mehr Überwindung kostet als jetzt die Tatsache, sich einfach auszuziehen. Andersherum ist es bei mir so, dass ich nichts ausschließe. Also ich bin da eigentlich zu allem bereit. Ich denke da auch dann oft nicht drüber nach, weil das dann gar nicht um mich als Person geht in dem Moment, sondern ich spiele dann Georg Trakl, der nackt ist. Also ich hätte viel größere Probleme, mich privat auszuziehen. Ich bin auch überhaupt kein FKK-Fan und gehe auch nicht gerne in die Sauna. Das ist mir eher unangenehm. Also es geht bei mir dann eher darum, dass ich da auch ins Extrem gehen will und dass ich da mich davor nicht scheue. Das bezieht sich aber auch auf alle anderen Sachen, was jetzt Emotionalität angeht oder Expressivität oder Aggression. Das ist was, was ich wahnsinnig genieße, dass ich das dann als Schauspieler ausleben kann.
Bürger: Das heißt, Sie suchen eher den Kontrollverlust als die Kontrolle?
Eidinger: Ja, also mir imponieren immer Schauspieler wie Marlon Brando oder Depardieu, die was Animalisches haben. Und es hat viel damit zu tun, … Es gibt so einen Spruch, dass man eigentlich gegen Kind oder gegen Tier auf der Bühne keine Chance hat, weil es nicht inszeniert sein kann und weil es immer die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und so versuche ich eigentlich zu spielen, weil mich das fasziniert, also weil ich auch das Gefühl habe, dass das Unmittelbare eigentlich das ist, was am Interessanten ist und nicht das Gemachte und nicht das verabredete Inszenierte.
Bürger: Wenn man Sie auf der Bühne erlebt, dann spürt man, mit welcher Intensität Sie für mehrere Stunden am Stück in einen anderen sich verwandeln. Im Film jetzt, da müssen Sie ja immer für ein paar Minuten diesen Impuls anzünden und auch wieder ausknipsen, haben den Kameramann und den Regisseur als Gegenüber, keine Mitspieler. Wie bleiben Sie jetzt an so einem Drehtag mit X Unterbrechungen an dieser Intensität der Rolle?
Eidinger: Generell fällt mir das schon wahnsinnig schwer, weil ich auch gemerkt habe, dass der Film im Gegensatz zum Theater viel mehr auf die Illusion setzt und dass es da gar nicht ums Erleben des Schauspielers geht, sondern letztendlich nur darum, was der Zuschauer erlebt. Das heißt, man spielt ja ganz oft auch nicht direkt in die Augen des Partners. Es gibt ja auch so Situationen, wo die Kamera so nah an der Wand ist, dass man eigentlich auf eine Marke spielen muss.
Bürger: Ein Stück Tesafilm.
Eidinger: Ja. Und das vergisst man ja oder das weiß ja keiner. Aber für mich als Schauspieler ist das eine große Herausforderung. Ich habe jetzt gerade einen Fernsehfilm gemacht mit Silke Enders, und da haben wir mit Kindern gedreht, die dürfen halt nur sechs Stunden am Tag drehen, und dann dreht man erst die Schüsse auf die Kinder, also Schüsse, also man filmt die Kinder, und dann dreht man die Kamera um und dann waren die Kinder weg. Und ich habe immer nur auf Tesafilm gespielt.
Bürger: Zum Abschluss Ihres Schauspielstudiums, da haben Sie beim Vorspiel nicht für Tesafilm gespielt, sondern für eine ganze Riege von Schauspielintendanten, Theaterintendanten, und zwar eine Szene aus Schillers "Räuber", und ihr Publikum dazu gezwungen, Ihnen erst mal beim Nachdenken darüber zu folgen, wie Sie jetzt den Vater ermorden könnten, Vatermord, das große Thema der "Räuber" von Schiller. Und das haben Sie gemacht, indem Sie sich hingesetzt haben, nachgedacht haben und lange Zeit ein Bonbon gelutscht haben. Das war ganz schön mutig und wurde später dann von dem Regisseur Thomas Ostermeier auch bewundernd unterstrichen, er hat nämlich den Eindruck, dass Sie als Schauspieler überhaupt keine Angst hätten, irgendwie peinlich oder unglaubwürdig rüberzukommen. Stimmt das? Haben Sie davor keine Angst?
Eidinger: Zu dem, was Thomas sagt: Ich meine, auf der einen Seite freut mich das, irgendwie ist es ein schönes Kompliment, auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, das Gegenteil ist der Fall. Also ich habe wahnsinnige Angst.
Bürger: Wovor?
Eidinger: Ich habe einfach Angst davor, nicht gut zu sein und zu versagen und also einfach auch … Ich habe auch Angst, mich vor Leute zu stellen und mich sozusagen zu zeigen. Und das ist aber für mich kein Widerspruch zu dem Beruf, sondern im Gegenteil: Das hat natürlich einen totalen Reiz, sich da zu überwinden. Und das ist ja letztendlich das, was das Adrenalin ins Blut schießen lässt und was einfach so eine Form von Überkonzentration schafft, die ich total genießen kann. Also ich vergleiche das immer, wenn man mit einem Fahrrad hinfällt, dann gibt es ja diesen Moment, wo sich plötzlich Zeit dehnt und wo man eigentlich schon merkt, ich falle jetzt und jetzt stürze ich und jetzt schlägt mein Kopf gleich auf dem Bordstein auf. Und das empfinde ich beim Spielen genauso, und das hat ganz viel mit dieser Angst zu tun.
Bürger: Wobei Sie ja bislang nicht gefallen sind, im Gegenteil.
Eidinger: Nein, obwohl ich auch ganz gut fallen kann, also das ist so eine meiner Stärken im Theater, hinfallen kann ich gut.
Bürger: Muss ich jetzt noch mal nachfragen: Hinfallen als Georg Trakl tun Sie aber nicht, höchstens auf die Matratze zu Peri Baumeister?
Eidinger: Ja, nein, ich stolpere einmal so die Stufe hoch, aber nein, das stimmt. Ich falle da eigentlich nicht hin.
Bürger: Lars Eidinger, derzeit im Kino zu sehen als Georg Trakl in dem Film "Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden". Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Eidinger: Ja, vielen Dank für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Kino und Film: Das Tabu der "Blutschuld"
Filme der Woche: "Hell" - Ein Katastrophen-Science-Fiction von Tim Fehlbaum
"Fenster zum Sommer" - Liebesdrama zwischen Fiktion und Realität