Extremismus-Prävention

Mit Filmen gegen Geschlechterklischees

06:56 Minuten
Zwei Frauen, eine mit roter Federboa, die andere mit schwarzer Lederjacke, sind kurz davor, sich zu küssen.
Eine Szene aus dem Film "Hysteria", der im Rahmen des Präventionsprojekts "RISE" entstanden ist. Das Projekt will mit Filmen gegen extremistische Rollenbilder vorgehen. © Vanessa Marino
Von Lea De Gregorio |
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Männer müssen stark sein, Frauen haben nichts zu sagen: Extremistinnen und Extremisten vertreten oft starre Rollenbilder. Das Präventionsprojekt RISE setzt auf Medienkompetenz gegen die Klischees, um Jugendliche vor solchen Ideologien zu schützen.
Am Anfang stand eine Frage, sagt die 25-jährige Regisseurin und Sportjournalistin Annika Prigge.
"Wer sind eigentlich meine weiblichen Vorbilder? Mir ist aufgefallen, dass ich zwar meine Mama nennen kann, die ein total großes weibliches Vorbild für mich ist, aber mir wenig andere Frauen in Führungspositionen aufgefallen sind. Einfach aus dem Grund, weil ich finde, dass die oft keine Sichtbarkeit haben." Auch die Branche, in der sie arbeitet, sei männerdominiert.

Webserie porträtiert Frauen in männerdominierten Berufen

Mit ihrer Webserie ":in" porträtiert Prigge eine Rapperin, eine Tischlerin, eine Winzerin. Auch in diesen Berufen werden sonst vor allem Männer wahrgenommen. Prigges Webserie ist Teil des Projektes RISE. Geleitet wird es von Fabian Wörz.
"In RISE, das ist ein medienpädagogisches Modellprojekt, machen junge Menschen Filme. Und diese Filme, die machen sie zu gesellschaftlich relevanten Themen, also das sind Themen wie Gender, Pluralismus, Werte und Religionen", erläutert Wörz. "Und diese Filme, die werden dann wiederum durch pädagogisches Material gerahmt, um in der pädagogischen Arbeit eingesetzt werden zu können."
Es gehe darum, dass die Jugendlichen bei der Erstellung der Filme eine Haltung zu den Themen entwickeln.

Jugendliche frühzeitig erreichen

"Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus" lautet der Untertitel von RISE. Wer die Filme sieht, denkt jedoch erstmal nicht an Islamismus. Laut Wörz müsse dem auch nicht so sein, schließlich soll es um gesellschaftliche Fragen an sich gehen.
"Wir gehen davon aus, dass das Themen sind, die zum einen eine große Relevanz für die Lebenswelt Jugendlicher haben, die in einer Phase sind, in der sie ihre Identität entwickeln, in der sie eben auch sich mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigen. Das sind aber gleichzeitig auch Themen, die von extremistischen Akteur*innen besetzt werden."
Das Projekt dient der Primärprävention. Das heißt: Es setzt im Idealfall an, bevor die Jugendlichen mit Extremismus in Berührung kommen: "Es kann durchaus sein, dass sie auch schon in Kontakt waren, aber es war uns wichtig, ein Projekt zu entwickeln, das für alle Jugendlichen funktionieren kann. Und wir machen eben auch ein universalpräventives Projekt und keines der Sekundär- oder Tertiärprävention. Wir versuchen nicht, Jugendliche, die bereits dabei sind, sich zu radikalisieren, wieder zurückzuholen. Und wir versuchen auch keine Aussteigerarbeit zu machen."
Ansprechen sollen die Filme alle Jugendlichen, nicht explizit Musliminnen und Muslime – auch, um niemanden zu stigmatisieren.

"Ein Film, den ich selbst gerne gesehen hätte"

Auch Charlot van Heeswijks Filmprojekt ist Teil von RISE. In "Hysteria" geht es um ein lesbisches Paar, das mit sexueller Belästigung umgehen muss. Die 24-jährige Filmemacherin sagt: "Ich glaube, das wäre ein Film, den ich gerne gesehen hätte mit 13 oder mit 14 als junge queere Frau, einmal um mich repräsentiert zu sehen und zum anderen auch, um eben gezeigt zu bekommen: Diese Erfahrung, die du machst, die machen wir alle und wir müssen uns da solidarisieren."
Eine Frau in roter Lederjacke und rotem Kopftuch schaut in die Kamera.
Charlot van Heeswijks, die Regisseurin des RISE-Films "Hysteria".© Clemens Barth
Sie freut sich außerdem, wenn Menschen ihren Film sehen, die mit dem Thema zuvor wenig zu tun hatten. Ähnlich wie die Webserie ":in" zeigt auch "Hysteria" Lebensrealitäten, die Islamist*innen ablehnen. Extremistinnen und Extremisten bedienen sich vereinfachter Weltbilder – auch dann, wenn es um Geschlechterrollen geht. Sie vertreten häufig traditionelle Rollenbilder und verurteilen Homosexualität.
"Und da versuchen wir eben mit dem Projekt und mit den Filmen von jungen Menschen, die ihre eigene Perspektive zeigen, das Feld aufzumachen und zu zeigen: Das Thema ist eben mehr als so eine sehr vereinfachte biologistische Sichtweise", sagt Fabian Wörz.

Ähnlichkeiten zwischen Islamismus und Rechtsradikalismus

Diese findet sich auch unter Rechtsextremen. Mit den Filmprojekten könne RISE daher gleich beiden Ideologien entgegenwirken, so Wörz: "Also das Projekt ist gefördert durch das nationale Präventionsprogramm zum islamistischen Extremismus und wir knüpfen in dem Projekt an Erfahrungen aus vergangenen Islamismus-Präventionsprojekten an. Ich muss aber gleichzeitig sagen, dass wir im Verlauf des Projektes uns zunehmend auch anderen Formen von Extremismus widmen."
Auch der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak, der sich mit Salafismus und Rechtsradikalismus beschäftigt hat, sieht zwischen beiden Denkweisen Gemeinsamkeiten: "Die Begriffe ändern sich. Aber die Entstehung, die Anwerbung, die Gedanken, das dualistische Schwarz-Weiß: Da können sie die Folie drauf tun, das ist eins zu eins. Und deshalb macht es auch Sinn, beide in den Blick zu nehmen."

Extremistische Rollenbilder

Gerade bei dem Thema Gender erkennt auch Toprak, Professor an der Fachhochschule Dortmund, Parallelen. So würden sich Geschlechterungleichheiten, die in der Gesellschaft vorhanden sind, in extremistischen Ideologien verschärfen.
"Das wissen wir ja aus der Forschung, dass die Frau eher darauf reduziert wird, die weichen Rollen zu übernehmen, wie zum Beispiel, die Männer zu stärken, im Hintergrund zu agieren, auch dann Haushaltstätigkeiten wahrzunehmen. Sowohl bei Salafismus als auch bei Rechtsradikalismus wird die Rolle der Frau darauf reduziert."
Toprak hält es für sinnvoll, in der Primärprävention das Thema Geschlechtergerechtigkeit zu betonen, ohne Islam oder Islamismus zu thematisieren und damit den Anschein zu erwecken, dass bestimmte Geschlechtervorstellungen nur dort vorkommen könnten: "Wenn es um Sekundärprävention ginge, wenn zum Beispiel Jugendliche schon auffällig sind, in islamistischen Kreisen verkehren oder anfällig sind in der Schule, dass sie bestimmte Sachen sagen, dass man denkt, oh, in welche Richtung geht das? – dann kann man gezielt das Thema ansprechen."

Ideologien erkennen lernen

Die Primärprävention setzt möglichst früh an. Wenn die Jugendlichen mit extremistischen Ansichten in Berührung kommen, seien sie so schon vorbereitet: "Das heißt, dass sie erkennen können, dass bestimmte Anwerbungen eben mit der Realität nichts zu tun haben. Das heißt, die Kinder und Jugendlichen sind in der Lage zu erkennen, dass dieses Weltbild nicht funktionieren kann. Darum geht es."
Die Filme von RISE könnten dazu beitragen, unterschiedliche Lebensrealitäten zu normalisieren. Lebensrealitäten, die zu einer pluralen Gesellschaft dazugehören. Auch wenn das Extremistinnen und Extremisten verschiedener Couleur nicht passt.
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