Rechts ist in der Mitte
Rund 20.000 aktive Rechtsextremisten gibt es in Deutschland. Sie sind für jährlich zwischen 700 und 1000 Gewalttaten verantwortlich. Demokraten sind beunruhigt. Doch der Sozialwissenschaftler Kurt Möller blickt auf ein ganz anderes rechtes Gefahrenpotenzial - in der politischen Mitte.
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
Sie kennen Ernst Jandls konkrete Poesie aus dem Jahre 1966?
Vielleicht sollte man sie weiterschreiben. Ohne jegliche lyrischen Ansprüche, versteht sich. Vielleicht sollte man sie weiterschreiben, wenn man auf den grassierenden Rechtsextremismus unserer Tage schaut. Die ergänzte Strophe könnte dann heißen:
Ranche reinen
Mechts und ritte
Kann ran nicht
Vemwechseln
Welch ein immtur!
Ganz im Ernst - und nicht nur im Ernst Jandelschen: In Abwandlung eines berühmten Horkheimer-Zitats lässt sich sagen: Wer von rechts reden will, darf von der Mitte nicht schweigen.
Sicherlich: Unfassbar abscheulich, menschenverachtend, ja mörderisch ist der NSU-Terror. Aber die Böhnhardts und Mundlos kommen aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft. Wie bei ihnen - und übrigens auch bei Beate Zschäpe - sind die Eltern nicht selten studierte Leute.
Aber reicht die Empörung über die da Rechtsaußen? Nun gut: Man kann sie öffentlichkeitswirksam beklagen, man kann sie politisch-moralisch anklagen, man mag manche von ihnen gar verklagen oder nach Organisations- und Parteiverboten rufen. Und sicher: Sie politisch zu bekämpfen, ist Demokratenpflicht und dient der politischen Selbsthygiene.
Das eigentliche, viel größere Problem wurzelt anderswo. Und es wurzelt viel tiefer; nämlich dort, wo der Nährboden für braunes Gedankengut und rechtsextreme Exzesse liegt. Dieses Areal liegt nicht am Rande der Gesellschaft, es ist mittendrin. Die davon ausgehende Gefahr ist ungleich größer und tückischer.
Seriöse empirische Befunde weisen für die politischen Einstellungen bundesdeutscher Erwachsener aus:
Mehr als ein Drittel der deutschen Jugendlichen ist ausländerfeindlich
Rund ein Fünftel der Deutschen vertritt rechtsextreme Einstellungen. Nahezu genauso viele billigen Gewalt, um sie durchzusetzen. Etwa die Hälfte von ihnen besitzt sogar ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Diese fast zehn Prozent sind also sowohl rassistisch, und fremdenfeindlich als auch antisemitisch gestimmt, propagieren autoritäre Führungsstrukturen und verharmlosen zugleich den Nationalsozialismus.
Ein Großteil der Rechtsstehenden fühlt sich selber allerdings keineswegs als Rechtsausleger, sondern in der politischen Mitte beheimatet. Menschen, die sich so positionieren, wollen offenbar ein Heil ohne Hitler. Bei Wahlen fallen sie nicht weiter auf. Denn schon seit Jahrzehnten zeigt sich: Wer rechtsextreme Auffassungen hat, wählt eher selten die NPD oder ähnliche Parteien. Ob man es wahrhaben will oder nicht - empirisch steht fest: Blickt man auf die Wahlbereitschaften, so sympathisiert das rechtsextreme Einstellungslager zu zwei Drittel bis drei Viertel mit den großen Volksparteien: CDU und CSU sowie SPD.
Wenn schon die Elterngeneration so tickt, wundern uns dann die politischen Haltungen der nachwachsenden Generation? Profunde Studien weisen aus: Rund 40 Prozent der deutschen Jugendlichen sind ausländerfeindlich, nahezu genauso viele muslimfeindlich.
Rechte sind nicht nur unter uns. Rechts ist in uns. Rechts ist in Dir und in mir!
Gibt es einen geeigneten Ort für Mahnwachen vor der Mitte? Am ehesten dürfte er jedenfalls vor den Bürogebäuden der Volksparteien liegen. Gängige Strategien der Bekämpfung des Rechtsextremismus zielen durchgängig auf die Anderen. CDU/CSU und SPD schreiben sich einerseits – wie andere Bundestagsparteien auch - den Kampf gegen Rechtsextremismus aufs Panier. Andererseits ist jeder Vierte bis Fünfte ihrer Anhänger und Sympathisantinnen selbst ausländerfeindlich und national-chauvinistisch eingestellt.
Kann konsequentes Einschreiten gegen Rechts funktionieren, wenn man den Balken im eigenen Auge nicht sehen will?
Gegen Rechts aufstehen wollen und zugleich der eigenen Mitte Absolution erteilen? Nicht nur Jandls Ernst weiß: Welch ein immtur!
Prof. Dr. Kurt Möller, Jahrgang 1954, Erziehungswissenschaftler, Soziologe und Germanist, seit 1989 Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Esslingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Gewalt, Rechtsextremismus, Fremden- und Menschenfeindlichkeit, Männliche Sozialisation und Jungen- bzw. Männerarbeit, Politische Sozialisation, Jugendkulturen.