Extremläuferin Andrea Löw

Häppchenweise einmal um die Welt

05:32 Minuten
Eine Läuferin ist im australischen Outback zu sehen, im Hintergrund der Uluru.
Die Extremläuferin Andrea Löw im australischen Outback, im Hintergrund ist Uluru zu sehen, der heilige Berg der Aborigines. © David Lemanski
Von Wolf-Sören Treusch |
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Der Rücken ist aufgescheuert vom schweren Rucksack, die Füße sind mit Blasen übersäht. Und trotzdem will die Extremläuferin Andrea Löw auf ihren langen Strecken nirgendwo anders sein. Ihr Ziel: Nach und nach einmal um die Welt zu laufen.
"Natürlich tut einem irgendwann alles weh, wenn man so ein Ultra-Rennen macht", erklärt Andrea Löw. "Jeder, der das nicht zugibt, lügt. Also ich habe irgendwann Blasen, wenn ich diese Etappenrennen mache und einen Zehn-Kilo-Rucksack auf dem Rücken habe, dann habe ich irgendwann einen aufgescheuerten Rücken, der Nacken tut weh. Dann schlafe ich nicht besonders bequem im Zelt, das heißt: Alles tut so ein bisschen weh, die Füße sind auf, das heißt: Leiden gehört dazu, aber das Glücksgefühl, tatsächlich sowohl dabei als auch vor allem danach, ist dann auch umso größer."
"Frau Löw läuft um die Welt", das ist ihr Lieblingssatz. Ausgesprochen hat ihn ihr Hausarzt, als sie von ihm mal wieder ein Gesundheitsattest brauchte, um sich für ein Rennen anzumelden. Dabei hatten ihr Chirurgen vor 15 Jahren diagnostiziert, sie müsse an beiden Hüften operiert werden. Damals war sie 30. Aus Trotz begann sie zu laufen. Heute ist sie 45, und Laufen ist längst nicht mehr nur Therapie, es ist ihr Leben. Jedenfalls ein wichtiger Teil davon. Je extremer und abenteuerlicher, desto besser.

"Ich bin nicht besonders schnell"

"Ich bin absolute Freizeitläuferin, ich suche mir diese Rennen aus, nicht weil ich irgendetwas gewinnen will, das kann ich auch gar nicht, ich bin nicht besonders schnell, ich möchte diese Rennen finishen. Und wenn ich dann im Laufe des Rennens merke: Oh, es läuft eigentlich gut, mir geht’s prima, dann fange ich auch an zu gucken, wo stehe ich denn jetzt im Gesamtklassement. Davon können sich wahrscheinlich viele nicht freimachen, ich auch nicht. Gerade bei diesen Etappenrennen ist es so, dass oft gar nicht so viele Läufer am Start sind. Dann kann man plötzlich doch irgendwie dritte Frau werden. Das habe ich dann schon auch, diesen Ehrgeiz, aber das Allererste ist: Ich möchte das Rennen finishen."
Wie zum Beispiel im Mai 2019 bei "The Track", dem längsten Etappenrennen der Welt: 522 Kilometer in neun Tagen im australischen Outback. In großer Hitze durch unwegsames Gelände.

Bei 250 km war erst die Hälfte geschafft

"Das war dann plötzlich eine so dermaßen andere Herausforderung, die mit nichts zu vergleichen war, was ich vorher kannte. Als ich 250 Kilometer hatte, sprich an dem Punkt, an dem sonst die Rennen zu Ende waren, und ich war so müde, und meine Füße waren schon voller Blasen, da hatte ich in Australien noch nicht mal die Hälfte."
Die Schlussetappe zog sich über 25 Stunden hin. Eine Vene im Schienbein hatte sich entzündet. Löw griff zu ihrem letzten Hilfsmittel.
"Ganz selten bei langen Etappenrennen nehme ich Musik, zum Beispiel wenn ich gerade eine kleine Krise habe und denke, ich kann nicht mehr weiter laufen, dann nehme ich Stöpsel, mache Musik an, und zwar diese eine und einzige Playlist, die ich für solche Fälle habe und auch nur dann höre. Hatte einen wirklich schlimmen Tiefpunkt, habe dann diese Playlist angemacht und stand plötzlich mitten im Outback und habe Rotz und Wasser geheult. Das kann dann auch passieren."

Laufen hat Auswirkungen auf den Alltag

Den nächsten Song jedoch sang sie lauthals mit und lief weiter. Aufgeben? Für Löw keine Option. Am Ende wird sie Dritte bei den Frauen. Von insgesamt 38 Startern erreichen nur 18 das Ziel.
"Dass man sich aber da selber wieder raus hieven kann, daraus lernt man ganz viel fürs sonstige Leben. Denn wenn man das geschafft hat, in der Situation, schafft man es auch in ganz vielen anderen. Ich habe für mich in den letzten Jahren gemerkt, dass ich meinen Beruf wahrscheinlich nicht so gut ausüben könnte, wenn ich nicht diesen Ausgleich hätte."

Löw arbeitet als Historikerin

Andrea Löw ist Historikerin am Institut für Zeitgeschichte in München. Sie ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien. Forschungsschwerpunkte: die NS-Judenverfolgung in Polen und das Warschauer Ghetto. Laufen ist für sie mehr als nur eine willkommene Abwechslung.
"Ich mache deshalb auch so gern diese Etappenrennen, ich habe dann komplett den Kopf frei, ich denke null an meinen Beruf, ich kann überhaupt nicht an meinen Beruf denken, weil ich so darauf konzentriert bin, wie ich jetzt diesen Tag, wie ich da mit mir umgehe, wie ich es schaffe, so eine weite Distanz zu laufen, wie ich mich verpflege, wann ich was mache. Da bleibt überhaupt keine Zeit, um an meinen Beruf zu denken."

Einmal um die Welt

Andrea Löw liebt solche Grenzerfahrungen. Am Ende ihrer Karriere will sie einmal um die Welt gelaufen sein. Nicht am Stück, Häppchenweise. Sie möchte den afrikanischen Busch und die asiatischen Reisfelder durchqueren und die endlosen Weiten der Wüsten genießen. So wie sie es in den vergangenen Jahren vielfach getan hat. Ihre schönsten und einprägsamsten Erlebnisse hat sie in einem Buch veröffentlicht: "Happy Running. Laufend die Welt entdecken".
"Mein Buch ist eher ein Lauf- und Reisebuch, möglicherweise auch ein Motivationsbuch, zumindest habe ich das jetzt schon oft von Lesern als Reaktion, vor allem von Leserinnen als Reaktion bekommen, dass sie gesagt haben: ‚Hey, das ist Wahnsinn, was du dich da traust, und du hast ja Recht, wenn du dich nicht trauen würdest, würdest du nicht herausfinden, ob’s geht’, ‚Mensch, ich melde mich jetzt auch mal für was an’."
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