Das ist es mir wirklich wert, um auch anderen zu zeigen, wenn man sich nicht hängen lässt, was mit einer Behinderung möglich ist. Das Wort Behinderung ist immer so ein ganz schwerer Begriff. Ich weiß, dass ich eine Behinderung habe, aber ich selber behindere mich nicht, weil ich eben sehr aktiv bin. Es ist die Gesellschaft, die einen ganz oft zum Behinderten macht.
Extremsport und Inklusion
Sport mit einer Beeinträchtigung ist für die Betroffenen oft eine große Herausforderung. © dpa / picture alliance / Andreas Arnold
Wenn nur der Wille zählt
05:51 Minuten
Im Sport zeigt sich immer wieder, dass der Wille Berge versetzen kann. Doch was ist, wenn diese Berge unter schwierigsten Bedingungen erklommen werden müssen? Sigrun Bergmann hat nur noch ein Bein – und treibt Extremsport.
Laufen und kraxeln, bis es nicht mehr geht und unter Zeitdruck Kilometer um Kilometer. Gerade ist Sigrun Bergmann mit anderen Sportlern auf dem Sprung zu ihrer nächsten Bergtour. Auch diese Tour, das ist allen klar, wird wieder richtig hart.
Extremsport als Hobby
Ausgerüstet mit Funktionskleidung, Wasserflasche, etwas Proviant und viel Willenskraft steht Sigrun Bergmann am Fuß eines mächtigen Berges in der Steiermark. Das Einzige, was der Extremsportlerin fehlt: ihr rechtes Bein. Sie sagt:
Warum die gelernte Erzieherin ihr Bein verloren hat? Diese Frage verbietet sich. Denn Sigrun Bergmann schaut nie zurück auf das, was war, sondern nur nach vorn, auf das, was möglich ist. Genauso wie bei ihrem Hobby: dem Extremsport. Was aber treibt Menschen wie sie an, die sich trotz oder gerade wegen einer Behinderung zu Höchstleistungen anspornen? Die Suche nach Anerkennung? Aus Verzweiflung? Oder doch die pure Lust, Grenzen körperlicher Leistungsfähigkeit immer wieder neu zu verschieben?
Der Antrieb ist bei allen gleich
"Dieser Antrieb, Extremleistung zu vollbringen, hat mit der Beeinträchtigung nichts Direktes zu tun, sondern letztendlich ist der Mechanismus der gleiche wie bei Menschen, die keine Beeinträchtigung haben", erklärt Professor Jens Kleinert, Sportpsychologe an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Letztendlich will man sich selbst zeigen und beweisen, zu was man in der Lage ist, seine Fähigkeiten ausloten. Das hat zwei Ursachen: Die eine Ursache ist, dass man dadurch auch das Selbstkonzept entwickelt und stärkt, und das andere, was noch wichtiger ist, ist, dass man durch dieses Ausloten von Grenzen auch seine Kompetenz befriedigt. Und das führt natürlich zu einem extremen Wohlbefinden – auch weil ich merke und spüre, zu was ich in der Lage bin.
Sigrun Bergmann hat ihren alten Beruf längst an den Nagel gehängt und ist heute als bekannte Influencerin für Höchstleistungssport unterwegs, postet im Netz, besucht Schulen und nimmt an Spendenläufen teil. Ihr Terminkalender ist voll. Schritt für Schritt hat sie sich als Idol, als Marke etabliert, die anderen Mut machen will, trotz aller Widrigkeiten für ihre oder seine sportlichen Ziele zu kämpfen. Selbst wenn es manchmal weh tut und sie sich nach einer Extremtour für ein paar Tage regenerieren und ausruhen muss.
Auch für Thomas Abel, Professor für Paralympischen Sport an der Deutschen Sporthochschule, sind solche Vorbilder für die Inklusionsdebatte immens wichtig, nicht nur für Menschen mit einer Beeinträchtigung, sondern für alle Sporttreibenden im Breitensport, auch gerade in den Vereinen: Die Ausnahmeathletin ist daher regelmäßig Gast in Sportvereinen und hält Vorträge vor Trainern und Übungsleitern.
Kritik an der Haltung der Krankenkassen
Was Sigrun Bergmann derzeit am meisten an der Inklusionsdiskussion ärgert. Die Haltung der Krankenkassen, die sich weigern, sportlich aktive Menschen mit Behinderung zu unterstützen – zum Beispiel mit Sportgeräten, um fit zu bleiben, statt zum Pflegefall zu werden.
"Wir haben es an allen möglichen Stellen probiert, es wird nicht finanziert. Wir haben die Kosten dann letztlich selber getragen. Uns wird vonseiten der Krankenassen verwehrt, Sport zu machen", erklärt sie.
Nächstes Mal will sie noch höher hinaus
Einige Stunden später ist Sigrun Bergmann am Gipfel angekommen – abgekämpft, aber glücklich. Für die Extremsportlerin nur ein Zwischenziel, denn für sie steht fest: Nächstes Mal will sie noch höher hinaus.
"Ich denke, dass ich ein ganz guter Beweis dafür bin, dass man jedes Hindernis überwinden kann und dass man, wenn man es nicht alleine schafft, auch ruhig Hilfe annehmen soll."