Exzentriker und Einzelgänger
Für Constantin von Barloewen, Anthropologe und Kulturwissenschaftler, ist der Clown nicht nur eine Gestalt aus dem Zirkus, sondern ein Lebensform, wie sein Buch "Clowns. Versuch über das Stolpern" verdeutlicht.
Clown sein ist eine attraktive Form der Existenz, meint Constantin von Barloewen. Ein Clown ist ein Exzentriker und Einzelgänger, der lacht über Dinge, die andere zum Weinen bringen und weint über Dinge, die andere wie selbstverständlich hinnehmen.
"In gewissem Sinne lässt sich die clowneske Grundbefindlichkeit existenzphilosophisch deuten. Es ist verwunderlich, dass der Analyse der Komik in der Existenzphilosophie kein hoher Rang eingeräumt wird, da gerade in tragischen Existenzmomenten eine komische Dimension verborgen liegt."
Dieses Buch kann man lesen als Einführung in eine Philosophie der clownesken Existenz. Barloewens Recherchen zufolge hat es närrische Gestalten zu allen Zeiten und in aller Welt gegeben, und sein Leser gewinnt den Eindruck, man möchte ihm so viele vorstellen, wie es eben auf 160 Buchseiten möglich ist.
Das erste Kapitel ist den Terhua gewidmet, einem nordamerikanischen Indianerstamm. Begab sich dieses Volk auf Wanderschaft, zog an der Spitze des Trosses immer ein Mann mit einem grell geschminkten Gesicht.
"Geriet der Marsch ins Stocken, sprang dieser Mann urplötzlich auf, tanzte, sang und stolperte, machte Späße, bis der Stamm in schallendem Gelächter neuen Mut schöpfte.""
Danach lenkt Barloewen seinen Blick nach Europa, auf die Jahrmärkte des Mittelalters. Dort herrschte die Freiheit der Narren. Schelmen und Gaukler durften ihr Publikum ungestraft karikieren, ihm den Spiegel vorhalten, allerdings um den Preis eines Lebens jenseits von Recht und Gesetz.
"Gaukler und Clowns wurden in der mittelalterlichen Standesordnung zu den Verfemten gezählt, zu den Totengräbern und Henkern, Huren und Bettlern. Noch das 18. Jahrhundert kannte Geldbußen für Personen, die Fahrende bewirteten oder gar beherbergten."
In seine kulturhistorischen Streifzüge auf der Suche nach dem Närrischen hat Barloewen ein Kapitel über die "Typologie des Clownesken" eingeflochten. Das leider mehr verspricht, als es hält. Denn es liefert einfach weitere Beschreibungen verschiedenster Narrengestalten der Geschichte: von den exzentrischen Spaßmachern auf den Theater-Bühnen über jene im Zirkus und in der Literatur bis hin zu den komischen Leinwand-Helden des 20. Jahrhunderts.
Die versprochene Typologie ist eher zwischen den Zeilen zu finden. Zum Beispiel dort, wo Barloewen über die italienische Commedia dell’ arte sinniert und ihre klar unterschiedenen Typen von Spaßmachern: Arlecchino ist ein Schalk, der offen provoziert. Mit seinem losen Mundwerk riskiert er dauernd Kopf und Kragen.
Sein Kollege Brighella dagegen ist ein Freund der leisen und vor allem der bösen Späße, ironisch und verschlagen, ein Meister der Intrige. Der dritte im Bunde nennt sich Pagliaccio, der Tollpatsch. Ein schlichtes Gemüt, ahnungslos und ungeschickt. Der holt er sich immer wieder Beulen im Leben.
Unterschiedliche Narrengestalten sind auch von Shakespeare bekannt. In seinen Tragödien gibt es den "courtly fool", den Hofnarren mit den Qualitäten eines Philosophen, in seinen Komödien dagegen den "clown": einen Zeitgenossen, der sich dauernd daneben benimmt, es nicht merkt und sich lächerlich macht.
"Hier zeigt sich die Ähnlichkeit mit unserem heutigen Zirkusclown, der ein Sammelsurium von gebündelter Sinnlosigkeit aufzeigt, indem er partout durch Türen treten will, auf denen 'Gefahr' steht, neugierig in Gewehrläufe schaut oder aus Hunger auch mal Kerzen aufisst."
Der Clown, welcher im 19. Jahrhundert im Zirkus Einzug hält, ist ein Nachfahre des Tölpels aus der Theater-Komödie. Aber Barloewen macht uns darauf aufmerksam: Die Großen unter den Clowns, die Grocks, die Charlie Rivels und Charlie Chaplins, haben es alle verstanden, den Spieß umzudrehen und dem Publikum seine eigenen Narreteien unter die Nase zu reiben.
Dieses Buch ist ein Sammelsurium von anregenden Ideen und Impressionen - aber leider ohne klare These, Begriffe oder gar Systematik. Der Stil mutet mitunter "clownesk" im schlechten Sinne an: Da gibt es manche verstolperte Metapher und einen schwelgerischen Ton, der ab und an umkippt in Schwulst.
Und dennoch weckt dieses Buch am Ende Lust: Lust, wieder einen Film mit Charlie Chaplin anzuschauen. Lust, nachzudenken über die eigenen Narreteien. Oder sich selbst ein bisschen mehr Narrenfreiheit zu erlauben.
Besprochen von Susanne Mack
Constantin von Barloewen: Clowns. Versuch über das Stolpern
Diederichs Verlag. München 2010
160 Seiten. 19,95 Euro
"In gewissem Sinne lässt sich die clowneske Grundbefindlichkeit existenzphilosophisch deuten. Es ist verwunderlich, dass der Analyse der Komik in der Existenzphilosophie kein hoher Rang eingeräumt wird, da gerade in tragischen Existenzmomenten eine komische Dimension verborgen liegt."
Dieses Buch kann man lesen als Einführung in eine Philosophie der clownesken Existenz. Barloewens Recherchen zufolge hat es närrische Gestalten zu allen Zeiten und in aller Welt gegeben, und sein Leser gewinnt den Eindruck, man möchte ihm so viele vorstellen, wie es eben auf 160 Buchseiten möglich ist.
Das erste Kapitel ist den Terhua gewidmet, einem nordamerikanischen Indianerstamm. Begab sich dieses Volk auf Wanderschaft, zog an der Spitze des Trosses immer ein Mann mit einem grell geschminkten Gesicht.
"Geriet der Marsch ins Stocken, sprang dieser Mann urplötzlich auf, tanzte, sang und stolperte, machte Späße, bis der Stamm in schallendem Gelächter neuen Mut schöpfte.""
Danach lenkt Barloewen seinen Blick nach Europa, auf die Jahrmärkte des Mittelalters. Dort herrschte die Freiheit der Narren. Schelmen und Gaukler durften ihr Publikum ungestraft karikieren, ihm den Spiegel vorhalten, allerdings um den Preis eines Lebens jenseits von Recht und Gesetz.
"Gaukler und Clowns wurden in der mittelalterlichen Standesordnung zu den Verfemten gezählt, zu den Totengräbern und Henkern, Huren und Bettlern. Noch das 18. Jahrhundert kannte Geldbußen für Personen, die Fahrende bewirteten oder gar beherbergten."
In seine kulturhistorischen Streifzüge auf der Suche nach dem Närrischen hat Barloewen ein Kapitel über die "Typologie des Clownesken" eingeflochten. Das leider mehr verspricht, als es hält. Denn es liefert einfach weitere Beschreibungen verschiedenster Narrengestalten der Geschichte: von den exzentrischen Spaßmachern auf den Theater-Bühnen über jene im Zirkus und in der Literatur bis hin zu den komischen Leinwand-Helden des 20. Jahrhunderts.
Die versprochene Typologie ist eher zwischen den Zeilen zu finden. Zum Beispiel dort, wo Barloewen über die italienische Commedia dell’ arte sinniert und ihre klar unterschiedenen Typen von Spaßmachern: Arlecchino ist ein Schalk, der offen provoziert. Mit seinem losen Mundwerk riskiert er dauernd Kopf und Kragen.
Sein Kollege Brighella dagegen ist ein Freund der leisen und vor allem der bösen Späße, ironisch und verschlagen, ein Meister der Intrige. Der dritte im Bunde nennt sich Pagliaccio, der Tollpatsch. Ein schlichtes Gemüt, ahnungslos und ungeschickt. Der holt er sich immer wieder Beulen im Leben.
Unterschiedliche Narrengestalten sind auch von Shakespeare bekannt. In seinen Tragödien gibt es den "courtly fool", den Hofnarren mit den Qualitäten eines Philosophen, in seinen Komödien dagegen den "clown": einen Zeitgenossen, der sich dauernd daneben benimmt, es nicht merkt und sich lächerlich macht.
"Hier zeigt sich die Ähnlichkeit mit unserem heutigen Zirkusclown, der ein Sammelsurium von gebündelter Sinnlosigkeit aufzeigt, indem er partout durch Türen treten will, auf denen 'Gefahr' steht, neugierig in Gewehrläufe schaut oder aus Hunger auch mal Kerzen aufisst."
Der Clown, welcher im 19. Jahrhundert im Zirkus Einzug hält, ist ein Nachfahre des Tölpels aus der Theater-Komödie. Aber Barloewen macht uns darauf aufmerksam: Die Großen unter den Clowns, die Grocks, die Charlie Rivels und Charlie Chaplins, haben es alle verstanden, den Spieß umzudrehen und dem Publikum seine eigenen Narreteien unter die Nase zu reiben.
Dieses Buch ist ein Sammelsurium von anregenden Ideen und Impressionen - aber leider ohne klare These, Begriffe oder gar Systematik. Der Stil mutet mitunter "clownesk" im schlechten Sinne an: Da gibt es manche verstolperte Metapher und einen schwelgerischen Ton, der ab und an umkippt in Schwulst.
Und dennoch weckt dieses Buch am Ende Lust: Lust, wieder einen Film mit Charlie Chaplin anzuschauen. Lust, nachzudenken über die eigenen Narreteien. Oder sich selbst ein bisschen mehr Narrenfreiheit zu erlauben.
Besprochen von Susanne Mack
Constantin von Barloewen: Clowns. Versuch über das Stolpern
Diederichs Verlag. München 2010
160 Seiten. 19,95 Euro