Programmhinweis
Im Rahmen der Ruhrtriennale wird am Abend in der alten Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg ein spektakuläres Musiktheaterprojekt aufgeführt. "Fazit" berichtet in einer Sondersendung ab 23.05 Uhr aus Dinslaken. Dann wird auch Eyüp Yildiz zu Gast bei uns sein.
Beauftragter für Integration − aber nur inoffiziell
Eyüp Yildiz ist stellvertretender Bürgermeister von Dinslaken. Zuletzt war die Stadt in den Schlagzeilen, weil von dort aus ungewöhnlich viele junge Männer dem IS angeschlossen haben. Gegen Extremismus helfe nur eines, lautet das Credo des SPD-Politikers: Bildung.
Nur mit äußerster Mühe bekommen die Grundschüler die schwere Glastür auf. Es ist ein früher Nachmittag in der Marien-Grundschule in Dinslaken-Lohberg. Eyüp Yildiz, 46 Jahre alt, ein kleiner Mann mit dunklen Haaren und glänzenden schwarzen Lederschuhen, bleibt vor dem Zaun stehen. Er ist zurückhaltend, blickt über den Schulhof. Selbst traut er sich nicht auf das Gelände seiner ehemaligen Grundschule. Der Grund: Er fordert die Schließung der Schule.
"Ich versuche gerade meine eigene Grundschule dichtzumachen. Ich muss da gewisse Grenzen durchbrechen. Dann muss ich abwägen, sagen: Was geschieht hier in Lohberg? Und die andere Seite: Welche Zukunft sollen diese Jugendlichen haben?"
Erinnerungen an die eigene Grundschultzeit
Die Marien-Grundschule ist die einzige Grundschule im Stadtteil. Auf dem Schulhof spielen Kinder, die fast alle zu Hause türkisch sprechen. So war es auch bei Eyüp Yildiz, der heute für die SPD stellvertretender Bürgermeister in Dinslaken ist.
Damals, 1975. Er erinnert sich:
"Also, in der ersten Klasse war ich in einer rein türkischen Klasse. Und ab der zweiten oder dritten Klasse kam ich in eine rein deutsche Klasse, ich glaub, ich war der einzige Türke in der Klasse, ja."
Damals gab es noch deutsche Schüler in der Marien-Grundschule, und das, so Yildiz, war seine Rettung: Er hatte die Chance, im Schulalltag so gut Deutsch zu lernen, dass er das Abitur machen konnte. Dann hat er Jura und Sozialwissenschaften studiert – heute arbeitet er als Sozialberater beim Internationalen Bund. Er hilft Jugendlichen im normalen Ausbildungssystem Fuß zu fassen. Dabei stellt er fest: Es gibt keine Chancengleichheit, solange in einer Klasse 90 Prozent der Schüler aus Einwanderfamilien kommen:
"Man muss ganz klar sagen, dass die, die in rein türkischen Klassen groß werden, definitiv größere Sprachdefizite haben, als die, die in Heterogenen groß werden."
Schulschluss. Mal mit einem Turnbeutel unter dem Arm, mal einen Fußball kickend, verlassen die Grundschüler der Marienschule das Gelände. An der Ausgangstür der Schule hängt noch ein Plakat der Stadt: "Wie lässt sich eine zunehmende Radikalisierung rechtzeitig erkennen?", wird darauf gefragt – in zwei Sprachen. Es ist eine Veranstaltung vom Vortag, auch Eyüp Yildiz war da.
Lohberg als Salafisten-Hochburg verschrien
Seit sich in Lohberg 25 Männer dem Salafismus verschrieben haben und einige von ihnen sogar dem IS in Syrien, ist der Dinslakener Stadtteil Lohberg als Salafisten-Hochburg verschrien. Aber diese Diskussionen verlaufen an der Oberfläche, findet Eyüp Yildiz.
"Da wurde auch über die Pubertät geredet, dass man da nach Halt sucht. Ja, klar. Ist ja richtig. Aber die eigentlichen Probleme, die wurden nicht angesprochen. Eben Bildung, Chancengleichheit oder eben, dass das Zusammenwachsen, dass das das eigentliche Problem ist."
Wenn die Migranten unter sich bleiben, wird nichts zusammenwachsen und die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke, meint Yildiz. Eigentlich ist er ein ruhiger Typ, der eher überlegt, bevor er redet. Doch an dem Punkt wird Yildiz radikal: Er fordert seit 2012 die Schließung seiner ehemaligen Grundschule, die sich zwar alle Mühe gibt, aber in der derzeitigen Konstellation nur 3 bis 8 Prozent ihrer Schüler zu einem höheren Bildungsabschluss führen kann. Der Weg der Kinder, so Yildiz, ist damit vorgezeichnet: gesellschaftliche Isolation, Perspektivlosigkeit, anfällig für Versprechungen aller Art.
Isolation statt Integration
"Nach meiner Ansicht ist die einzige Möglichkeit, den Eltern, die Möglichkeit zu überlassen, zu fragen: Schau mal, wie sieht es aus? Möchtest du, dass dein Kind mit deutschen Kindern groß wird? Wenn ja, dann wird die Stadt oder die Landesregierung die Busse zur Verfügung stellen und die Kinder auf dem gesamten Stadtgebiet verteilen."
Schachtstraße, Knappenstraße, Bergmannstraße: Mittlerweile hat Yildiz die Grundschule hinter sich gelassen, schlendert durch sein Viertel, das 100 Jahre lang durch die Zeche versorgt wurde, und deren Schließung vor zehn Jahren dem Ortsteil letztendlich wirtschaftlich das Genick brach. Von hier sollen die Kinder mit Bussen in andere, besser durchmischte Viertel gebracht werden. Doch ist das realistisch?
"Ich gehe davon aus, dass 70 Prozent der Bevölkerung hier das so wahrnimmt und auch richtig findet, wie ich diskutiere. Dass aber da ... Ja, die sind mit anderen Problemen beschäftigt."
"Inoffizieller Integrationsbeauftragter der türkischen Migranten", so nennt ihn die "taz", er lächelt darüber: Ja, er lebe für die Sache. Die Gefahr für die Integration aber, das hat Yildiz gemerkt, kommt von zwei Seiten:
"Ich habe oft die Gespräche, die sagen: Wir werden doch hier sowieso nicht anerkannt. Dann glauben die an den starken Mann, den vermeintlich starken Mann, der sie im Grunde genommen nur instrumentalisiert, ausnutzt."
Wo ist die Chancengleichheit?
Recep Tayyip Erdogan, der Präsident der Türkei, und seine konservative Ansichten seien ebenso gefährlich, wie der Salafismus, so Yildiz:
"Auf dem Weg zur Arbeitsagentur oder in die Schule oder zum Jugendamt wird Erdogan sie nicht begleiten. Sie sind alleine hier."
Für Yildiz gibt es daher nur einen Weg: Mehr Aufklärung, mehr Bildung.
"Wir reden seit Jahren, Jahrzehnten von Chancengleichheit, Bildungsgleichheit. Das gibt es nicht. Nein. Diese Kinder haben keine Chancengleichheit hier. Nein."