Friedrich Christian Delius: "Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich".
Rowohlt Berlin, Berlin 2019
253 Seiten, 20 Euro
Schreiben gegen die Globalisierungsfurcht
06:36 Minuten
In Friedrich Christian Delius' aktuellem Buch schreibt ein alternder, arbeitsloser Journalist in Tagebuchform über alles von Bankencrash bis China als Weltmacht. Erzählerisch allerdings ein wenig überzeugender Essay, findet unser Kritiker.
Kaufangebote darf man ablehnen. Diese Lektion wurde jüngst dem amerikanischen Präsidenten von der dänischen Regierung erteilt. Grönland, so wurde ihm mitgeteilt, sei unverkäuflich. So dürfte die Angst vor einer chinesischen Übernahme von Deutschlands größter Insel, die im Titel des neuen Buches von Friedrich Christian Delius mitschwingt, ein wenig übertrieben sein. Es sei denn, der Autor traut seiner eigenen Regierung tatsächlich zu, dass sie sich bei welcher Gelegenheit auch immer auf einen solchen Deal einlässt.
Die Angst vor dem Rassismusvorwurf
Von China und den Chinesen ist in den Tagebuchaufzeichnungen des "Kassandra" genannten Journalisten in Delius’ Buch häufig die Rede. Die Furcht, das Reich der Mitte würde Rügen ebenso kaufen wie zuvor französische Weingüter und eine schwedische Automarke, erfüllt den Schwarzseher mit großer Sorge. Wie ein aus dem fernen Osten kommendes Gespenst sieht er großes Unheil sich auf Europa zubewegend. Da ihm seine forcierte Angst aber Rassismusvorwürfe einbringen könnte, bekennt der namenlos bleibende Journalist zunächst gegenüber seiner Nichte Lena und schließlich auch gegenüber der "Nachwelt", selbstverständlich kein Rassist zu sein, was – wie so vieles in dem Buch – etwas vordergründig daher kommt: "Ich bin nicht gegen chinesische Menschen". Selbstredend nicht, möchte man ergänzend hinzufügen, denn der Frührentner ist ja – so jedenfalls erfährt man – ein "Aufklärer", der sich als "Europa-Patriot" versteht.
Endlich frei schreiben
Die persönliche Malaise von Delius’ Protagonisten besteht darin, dass er seinen Job verloren hat. Oft hat der Fachmann für Globalisierungsfragen wohl zu kritisch berichtet und nun wird er kurz vor Erreichen des Rentenalters von seiner Zeitung "ausgeschieden". Zwar hat man ihm nicht fristlos, sondern "sozialverträglich" gekündigt, aber fest steht, dass man auf die von ihm zu Papier gebrachten Texte zukünftig verzichten will. Was Delius da beschreibt, ist durchaus tragisch, doch darf sich der gegen seinen Willen Freigesetzte dennoch glücklich schätzen, denn in seinem Fall hat das Schicksal – anders als bei vielen anderen "Freien" – erst kurz vor der Pensionierung zugeschlagen. Nun fragt sich der zur Untätigkeit Verurteilte, was er angesichts der plötzlich im Übermaß zur Verfügung stehenden Zeit anfangen will und entschließt sich dazu weiterzuschreiben. Künftig jedoch in dem Wissen, "endlich frei" schreiben zu können. Als Adressatin für seine Notizen hat er sich wiederum seine Nichte Lena ausgesucht, die gerade Abitur macht. Ihre Jugend nimmt der Autor zum Anlass, sich daraus ergebende Wissenslücken zu schließen, indem er immer wieder Erläuterungen zu Zeitereignissen einfließen lässt, die doch arg altväterlich klingen.
Ein wenig überzeugender Essay
Problematisch an Delius’ Buch ist, dass man bei der Lektüre der Tagebuchaufzeichnungen das Gefühl nicht los wird, nachträglich über politische Ereignisse informiert zu werden, die man schon zur Genüge kennt und von denen man bereits oft genug gehört oder gelesen hat. Man weiß vom Bankencrash, den Niedrigzinsen, der EZB-Politik, der Griechenlandkrise und es ist auch bekannt, dass China eine Weltmacht ist. Über damit einhergehende Krisen wird seit Jahren in den einschlägigen Talkshows ausdauernd diskutiert und akribisch analysiert. Was jedoch fehlt, ist der politische Wille, aufgezeigte Lösungsvorschläge auch umsetzen zu wollen.
Anders als in Delius’ Erzählung "Die Birnen von Ribbeck" zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung – die erstmals 1991 und nun erneut in einer Neuausgabe erschienen ist – findet der 1943 in Rom geborene Autor in seinem neuen Buch keinen Ansatz für die Aufarbeitung von Ereignissen des unmittelbaren Zeitgeschehens. Auch handelt es sich bei diesem erzählerisch wenig überzeugenden kritischen Essay um keinen Roman.