Frank Maria Reifenberg: "Wo die Freiheit wächst. Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten"
ArsEdition, München 2019, ab 14 Jahre
384 Seiten, 15 Euro
Jugendliche gegen das Hitlerregime
05:18 Minuten
Köln 1942: Die junge Lene schließt sich den "Edelweißpiraten" an, einer Gruppe jugendlicher Widerstandskämpfer im Dritten Reich. "Wo die Freiheit wächst" ist ein gut recherchierter Briefroman, der dem Mut, gegen den Strom zu schwimmen, Respekt zollt.
"Edelweißpiraten" nannten sich informelle Gruppen deutscher Jugendlicher, die sich während des Zweiten Weltkriegs zunächst unangepasst verhielten und später zum politischen Widerstand übergingen. Bekannt wurden vor allem die Gruppen in Köln und Dortmund, der Roman von Frank Maria Reifenberg spielt dann auch dort, in Köln im Kriegsjahr 1942.
Dort lebte Lene Meister, 16 Jahre alt, Auszubildende beim Friseur, mit ihrer Familie, also mit den Menschen, die noch da sind. Ihr Vater, der anfangs noch als vermisst gilt, wurde im KZ umgebracht. Ihr Bruder Franz kämpft an der Ostfront, der kleine Bruder Kalli entwickelt sich zum Vorzeige-Nazi, die beiden kleinen Schwestern wachsen zwischen Trümmern auf und ihre Mutter ist - wen wundert's - total überlastet.
Lene aber lässt sich nicht unterkriegen und versucht tapfer, die Familie zusammenzuhalten. In dieser schwierigen Situation verliebt sie sich in Erich und entdeckt bald, dass er zu den "Edelweißpiraten" gehört, einer Gruppe junger Leute, die ihre eigenen Lieder singen, Wände mit Anti-Nazi-Parolen beschmieren und regimekritische Flugblätter drucken. Lene wird bald selbst Mitglied – und das, obwohl ihnen die Gestapo dicht auf den Fersen ist.
Den Jugendlichen drohen Folter und Gefängnis
Was Lene von den Aktivitäten der Edelweißpiraten erzählt, ist darum so interessant, weil man begreift, wie nahtlos harmlose Wanderungen und Musikabende in gezielten Widerstand übergingen. Obwohl die jungen Leute keine Gewalt anwenden und nur für die Meinungsfreiheit kämpfen, drohen ihnen Folter und Gefängnis. Ob Lene am Schluss von der Gestapo geschnappt wird, weil sie die Flugblätter auf ihrer Schreibmaschine geschrieben hat, bleibt offen.
Erzählt wird diese emotionsgeladene Geschichte als Briefroman. Eine gute Idee, weil man so die sehr unterschiedliche Personen, Schicksale und Alltagssituationen in ganz Deutschland kennenlernen kann. In ihren Briefen an die beste Freundin Rosi, an Erich und an Franz berichtet Lene von den Schrecken des Bombenterrors in Köln, von Judendeportationen und Nahrungsmittelknappheit, von ihrem Einsatz als Erntehelferin und Schaffnerin – und vom täglichen Klatsch aus dem Salon.
Für eine Gesellschafft der Vielfalt und Offenheit
Franz schreibt hingegen vom Grauen des Kampfes an vorderster Front, von aufkommenden Zweifeln am Sieg, vom eisigen russischen Winter und vom Häuserkampf in Stalingrad - wo er auch stirbt. Lenes beste Freundin Rosi berichtet aus Norddeutschland und Schlesien vom 1942 noch friedlichen Landleben. Und in Erichs Briefen geht es um die Aktivitäten und Ziele seiner Gruppe. Aber egal woher die Briefe kommen, sie alle machen die Sinnlosigkeit des Krieges und die Menschenverachtung des Regimes immer deutlicher – und damit auch die Notwendigkeit zum Widerstand.
"Was bedeutet für dich Freiheit?" lautet der Titel von Erichs Abitur-Aufsatz, den er so idealistisch schreibt, dass ihm prompt das Abitur verweigert wird. Diese Frage stellt der Autor indirekt auch seinen Leserinnen und Lesern. Seinen gut recherchierten Jugendroman widmet er damit auch denen, die den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen und "sich für eine Gesellschaft der Vielfalt, Freiheit und Offenheit einzusetzen".