Fabian Hischmann: "Alle wollen was erleben"
Berlin Verlag, Berlin 2019
176 Seiten, 18 Euro
Perfekt geölte "Institutsprosa" als Prinzip
05:46 Minuten
An Fabian Hischmanns Texten hatten die Kritiker bislang kein gutes Haar gelassen: einfallslose Schreibschulen-Literatur sei das. Doch gerade das kritisierte Aufgeräumte und Schlichte seiner Prosa Hischmann in seinen Kurzgeschichten jetzt zum Prinzip.
Einen verwuschelten kleinen Roman, sehr lieb und sehr egal – so nannte ein Kritiker das immerhin für den Leipziger Buchpreis nominierte Debüt von Fabian Hischmann. Ein anderer statuierte daran ein Exempel für die angeblich an Erfahrungsarmut und literarischer Einfallslosigkeit krankende Schreibschulen-Literatur verbildeter Arztsöhnchen. Es war die Literaturdebatte 2014.
Hischmann – tatsächlich Absolvent beider Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim und sich auf Autorenfotos bis heute etwas verwuschelt gebend – schrieb trotzdem weiter. Was man ebenfalls seinem Bürgerkind-Rückgrat zurechnen könnte. Oder erstaunlicher Resilienz und einem ungebrochenen Ruf zum Schriftstellerdasein.
Das Leiden an der Alltagsbanalität
Nach einem zweiten Roman, der wieder nach braver Institutsprosa und ziemlich müdem Pop klang, schiebt der 35-Jährige nun einen Band mit "Stories" hinterher. Hemingway, dem Gott der amerikanischen "short story", der schon im ersten Roman vorkam, würde der Titel gefallen: "Alle wollen was erleben".
Doch statt um Krieg, Sex und Stierkampf geht es bei Hischmann ganz zeitgenössisch erwartbar um das Leiden an der Alltagsbanalität, die eine mal mehr, mal weniger "unerhörte Begebenheit", meist in der Vergangenheit liegend, durchbricht und für immer zerstört.
Die Figuren schwimmen im Rhein, schlafen in sizilianischen Höhlen, spielen hypochondrierend Gitarre, fahren endlos Autobahn und spielen Fluchtszenarien aus queeren Verhältnissen durch.
Das sind mitunter fein beobachtete Miniaturen und Skizzen. Nur bleibt die Leserin oft frustriert zurück. Zu abrupt endet der Sprung in das angerissene Leben. Just dann, wenn es spannend zu werden verspricht und sich aus den schnurrenden Dialogen eine tiefere Geschichte entfalten könnte.
Oder sie ist wie die Episode vom einsamen Bäcker in der Provinz so "perfekt" gestrickt, dass man die das ganze Dorf zu Fall bringenden Nylonschnüre schon in den ersten Absätzen eingefädelt sieht. Wie die Dramaturgie ist auch Hischmanns Sprache so aufgeräumt und richtig und schlicht, wie Popliteraten und Schreibschuldozenten es schon immer gut fanden.
Ein Hospiz im Paradies
Hischmann zeigt seinen Kritikern den Mittelfinger und macht die perfekt geölte "Institutsprosa" zum Prinzip. Die allzu offenliegende Struktur seiner Cliffhanger-Story ironisiert er immerhin. Und in der letzten Story schließt er ein paar "Kreise" zum Romandebüt: Nach Jahren in Psychiatrie und "Gefährdeten"-WG treffen sich die Figuren in Griechenland wieder. Ihr Plan: Ein Hospiz im Paradies. Auf dem Grundstück, auf dem die Eltern des Protagonisten im Ferienhaus verbrannten. Die Perspektive macht alle glücklich. Und am Ende verliebt sich der larmoyante Lehrer vielleicht sogar.
Wie schreibt die Schriftstellerin-Kollegin Verena Güntner im Klappentext? "Die Geschichten feiern die Kraft der Versehrtheit und des Weitermachens". Das könnte sie auch über Hischmann selbst sagen. So viel Widerständigkeit hätten die Kritiker einem verwuschelten Bürgersohn wohl nicht zugetraut. Allein dafür gebührt ihm Respekt. Über seine "Institutsprosa" lässt sich weiter streiten.