Fabrik der Erinnerung
Krakau zählt zu den polnischen Städten, in denen die Geschichte des Zweiten Weltkriegs am greifbarsten ist. Auch die Fabrik von Oskar Schindler liegt in Krakau. Dort ist in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Ausstellung über die Zeit der deutschen Besatzung entstanden.
Zartlilafarben sind die Touristen-Elektromobile, die sich eins nach dem anderen vor den Eingang der ehemaligen Emaillewarenfabrik schieben. "Ghetto-Tour" und "Have Fun!" steht auf ihnen geschrieben.
Nur wenige Meter sind es vom eisernen Original-Eingangstor auf das Werksgelände - und die Menschenmenge findet sich mitten hinein katapultiert ins Krakau Ende der 1930er Jahre:
Dunkle, verwinkelte Gänge, in denen Alltagsszenen auf die Wand projiziert werden: Tanzende auf einem Straßenfest, ein voller Bahnhof, Juden und Polen, die gemeinsam in ihrer Stadt leben. Geräusche schallen von allen Seiten aus Dutzenden Lautsprechern, am Boden liegen mal Kopfsteinpflaster, mal kleine Kiesel, über die die Besucher einen chronologischen Pfad vorwärts stolpern.
Dann: Eine Hakenkreuz-Fahne. Der 6. September 1939 - die deutsche Besatzung Krakaus beginnt. Eine Nische weiter ein Foto aus den 40ern: eine enge Gasse voller Menschen. Daneben der Originalnachbau des Innern einer Straßenbahn, hölzerne Bänke inklusive.
"Die Straßenbahn ist durch das jüdische Ghetto immer mit geschlossenen Türen gefahren", kommt eine Stimme aus dem Dunkeln. Sie ist kein Teil der aufwändigen Ausstattung der Ausstellung. Diese Stimme ist echt. Eine zarte, ältere Frau in beigefarbenem Kostüm, eine Bernsteinkette um den Hals, kommt den Gang entlang, Mirosława Gruszczyńska stellt sie sich vor.
"Wir konnten aus der Bahn hinaus sehen, wir sahen wie eng es im Ghetto war und wie schlecht angezogen, wie dünn und krank die Menschen dort waren."
Mirosława Gruszczyńska ist noch ein Kind, erzählt sie, als die Deutschen ihre Heimatstadt Krakau besetzen. Als ihre jüdischen Mitschülerinnen nach und nach verschwinden, als das Ghetto gebaut wird, kein Jude sich mehr frei bewegen kann. Heute ist Gruszczyńska über 80 und läuft den Parcours voran. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Erlebnisse an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Ehrenamtlich.
Gruszczyńska will von dem Alltag erzählen, bei ihr Zuhause im Hinterhaus direkt am Rynek, am Marktplatz. Von dem kleinen jüdischen Mädchen, das ihre Mutter zu Hause aufnimmt und sie gemeinsam vor den Deutschen versteckt halten. Miri heißt sie - 14 Jahre alt - als sie vor ihrer Tür steht.
"Wir mussten nicht lange darüber nachdenken, denn wir wussten, dass ohne ein Versteck keiner der Juden überleben würde."
Aus Miri wird ihre Cousine Maria Marinowska - dank eines gefälschten katholischen Taufzeugnisses. Jedes Dutzend Meter ein neuer Eindruck, Warnhinweise auf deutsch, angeschlagen an eine Mauer, in zackiger Schrift auf vergilbtem Grund einer Tageszeitung: "Todesstrafe für alle, die Juden Unterschlupf gewähren." Die Mutter setzt das Leben der ganzen Familie auf's Spiel. Doch der Plan funktioniert.
"Sogar die Hausmeisterin hat eine Ähnlichkeit zwischen mir und Miri festgestellt."
Plötzlich bleibt Gruszczyńska stehen, dreht sich um. Vor ihr ein großer, massiver Schreibtisch, darauf die aufgeschlagene Zeitung "Das Reich". Sie steht mitten drin in Oskar Schindlers Büro. Der Schindler, der polnische Arbeiter durch billige, jüdische Kräfte aus dem Ghetto ersetzt, so über Tausend Leben rettet. An sie erinnert hier heute ein mannshoher Glaskubus - bis zur Decke gefüllt mit Blechgeschirr.
"Auch Miris Bruder hat dank Oskar Schindler überlebt - er konnte aus einem Viehwaggon fliehen und landete auf Schindlers Liste."
Weiter schickt Gruszczyńska ihre Gruppe vorwärts, durch ein steingraues Labyrinth, von Stacheldraht umzäunt, ein Konzentrationslager. Weiter vorbei an einem Friseursalon, bestückt mit Original-Seifenpinseln aus den 40er Jahren.
Aus einem der Salonfenster fällt der Blick in den Keller. Schemenhaft tauchen Personen im Dunkel auf, zusammengekauert auf engstem Raum: Menschen, die auf die Befreiung durch die Rote Armee warten.
Was folgt, auch das erlebt Gruszczyńska in der eigenen Familie: Eiszeit zwischen Israel und Polen. Miri, die nach dem Krieg über Italien nach Israel auswandert, sieht sie erst 1990 wieder.
Gruszczyńska zückt eine Schatulle aus ihrer Tasche, öffnet sie, eine Medaille liegt darin. Gruszczyńska ist eine von 6000 Polen, die für ihren Einsatz im Zweiten Weltkrieg ausgezeichnet wurden mit dem Titel "Gerechte unter den Völkern" in Yad Vashem.
"Viele von uns, die wir in Krakau leben, treffen sich noch regelmäßig - aber wir werden immer weniger."
Der letzte Raum der Ausstellung, die "Halle der Entscheidung". Hellgraue Wände, über und über beschrieben. Kurze Sätze auf Polnisch, Englisch, Deutsch, Hebräisch, Französisch. Von Menschen, denen geholfen wurde - und von Menschen, die halfen, so wie Mirosława Gruszczyńska. Durch eine schwere Tür weist sie die Besucher hinaus - zurück ins Heute.
Nur wenige Meter sind es vom eisernen Original-Eingangstor auf das Werksgelände - und die Menschenmenge findet sich mitten hinein katapultiert ins Krakau Ende der 1930er Jahre:
Dunkle, verwinkelte Gänge, in denen Alltagsszenen auf die Wand projiziert werden: Tanzende auf einem Straßenfest, ein voller Bahnhof, Juden und Polen, die gemeinsam in ihrer Stadt leben. Geräusche schallen von allen Seiten aus Dutzenden Lautsprechern, am Boden liegen mal Kopfsteinpflaster, mal kleine Kiesel, über die die Besucher einen chronologischen Pfad vorwärts stolpern.
Dann: Eine Hakenkreuz-Fahne. Der 6. September 1939 - die deutsche Besatzung Krakaus beginnt. Eine Nische weiter ein Foto aus den 40ern: eine enge Gasse voller Menschen. Daneben der Originalnachbau des Innern einer Straßenbahn, hölzerne Bänke inklusive.
"Die Straßenbahn ist durch das jüdische Ghetto immer mit geschlossenen Türen gefahren", kommt eine Stimme aus dem Dunkeln. Sie ist kein Teil der aufwändigen Ausstattung der Ausstellung. Diese Stimme ist echt. Eine zarte, ältere Frau in beigefarbenem Kostüm, eine Bernsteinkette um den Hals, kommt den Gang entlang, Mirosława Gruszczyńska stellt sie sich vor.
"Wir konnten aus der Bahn hinaus sehen, wir sahen wie eng es im Ghetto war und wie schlecht angezogen, wie dünn und krank die Menschen dort waren."
Mirosława Gruszczyńska ist noch ein Kind, erzählt sie, als die Deutschen ihre Heimatstadt Krakau besetzen. Als ihre jüdischen Mitschülerinnen nach und nach verschwinden, als das Ghetto gebaut wird, kein Jude sich mehr frei bewegen kann. Heute ist Gruszczyńska über 80 und läuft den Parcours voran. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Erlebnisse an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Ehrenamtlich.
Gruszczyńska will von dem Alltag erzählen, bei ihr Zuhause im Hinterhaus direkt am Rynek, am Marktplatz. Von dem kleinen jüdischen Mädchen, das ihre Mutter zu Hause aufnimmt und sie gemeinsam vor den Deutschen versteckt halten. Miri heißt sie - 14 Jahre alt - als sie vor ihrer Tür steht.
"Wir mussten nicht lange darüber nachdenken, denn wir wussten, dass ohne ein Versteck keiner der Juden überleben würde."
Aus Miri wird ihre Cousine Maria Marinowska - dank eines gefälschten katholischen Taufzeugnisses. Jedes Dutzend Meter ein neuer Eindruck, Warnhinweise auf deutsch, angeschlagen an eine Mauer, in zackiger Schrift auf vergilbtem Grund einer Tageszeitung: "Todesstrafe für alle, die Juden Unterschlupf gewähren." Die Mutter setzt das Leben der ganzen Familie auf's Spiel. Doch der Plan funktioniert.
"Sogar die Hausmeisterin hat eine Ähnlichkeit zwischen mir und Miri festgestellt."
Plötzlich bleibt Gruszczyńska stehen, dreht sich um. Vor ihr ein großer, massiver Schreibtisch, darauf die aufgeschlagene Zeitung "Das Reich". Sie steht mitten drin in Oskar Schindlers Büro. Der Schindler, der polnische Arbeiter durch billige, jüdische Kräfte aus dem Ghetto ersetzt, so über Tausend Leben rettet. An sie erinnert hier heute ein mannshoher Glaskubus - bis zur Decke gefüllt mit Blechgeschirr.
"Auch Miris Bruder hat dank Oskar Schindler überlebt - er konnte aus einem Viehwaggon fliehen und landete auf Schindlers Liste."
Weiter schickt Gruszczyńska ihre Gruppe vorwärts, durch ein steingraues Labyrinth, von Stacheldraht umzäunt, ein Konzentrationslager. Weiter vorbei an einem Friseursalon, bestückt mit Original-Seifenpinseln aus den 40er Jahren.
Aus einem der Salonfenster fällt der Blick in den Keller. Schemenhaft tauchen Personen im Dunkel auf, zusammengekauert auf engstem Raum: Menschen, die auf die Befreiung durch die Rote Armee warten.
Was folgt, auch das erlebt Gruszczyńska in der eigenen Familie: Eiszeit zwischen Israel und Polen. Miri, die nach dem Krieg über Italien nach Israel auswandert, sieht sie erst 1990 wieder.
Gruszczyńska zückt eine Schatulle aus ihrer Tasche, öffnet sie, eine Medaille liegt darin. Gruszczyńska ist eine von 6000 Polen, die für ihren Einsatz im Zweiten Weltkrieg ausgezeichnet wurden mit dem Titel "Gerechte unter den Völkern" in Yad Vashem.
"Viele von uns, die wir in Krakau leben, treffen sich noch regelmäßig - aber wir werden immer weniger."
Der letzte Raum der Ausstellung, die "Halle der Entscheidung". Hellgraue Wände, über und über beschrieben. Kurze Sätze auf Polnisch, Englisch, Deutsch, Hebräisch, Französisch. Von Menschen, denen geholfen wurde - und von Menschen, die halfen, so wie Mirosława Gruszczyńska. Durch eine schwere Tür weist sie die Besucher hinaus - zurück ins Heute.