Facebook

Eine Individualitätsattrappe

Miniaturfiguren geben sich die Hand vor einem Facebook-Logo.
Miniaturfiguren geben sich die Hand vor einem Facebook-Logo. © imago / Ralph Peters
Von Adrian Lobe |
Facebook verspricht seinen Mitgliedern, zum Chronisten ihrer selbst zu werden. Doch in Wahrheit erzählten die zwei Milliarden Nutzer nicht ihre eigene Geschichte, meint der Journalist Adrian Lobe: Sie wird mechanisch von Maschinen verfasst.
Facebook ist das größte Poesiealbum der Welt. Private Hochzeitsfotos, Familienfeiern, Bilder von der letzten Partynacht – die Nutzer kehren ihr Innerstes zuäußerst. Die Alben werden immer dicker. Jeden Tag werden 350 Millionen Fotos hochgeladen. Gründer Mark Zuckerberg beschwört gern den Wert der globalen Community, die er als völkerverständigende, große Familie verstanden wissen will – als Erinnerungsgemeinschaft, die Vernetzung als große Erzählung verkauft. Als Facebook wieder einmal seinen Newsfeed-Algorithmus änderte, verkündete Produktmanager Adam Mosseri mit großem Pathos: "Friends and Family First". Freunde und Familie zuerst.

Facebook erscheint nur auf den ersten Blick als Tagebuch des 21.Jahrhunderts

Das soziale Netzwerk verspricht seinen Nutzern, ihre eigene Geschichte zu erzählen, zum Chronisten seiner selbst zu werden. Davon kündet schon der Begriff der "Chronik". Dieses narrative Versprechen trifft bei einer sendungsbewussten Jugend, die mit Selfie-Sticks in der Öffentlichkeit herumrennt und jeden Moment dokumentieren will, auf einen Nerv. Die Dialektik von Teilen und Mitteilen ist in der Struktur des sozialen Netzwerks angelegt. Facebook erscheint auf den ersten Blick als technische Aufrüstung des Tagebuchs, in dem Menschen private Erlebnisse dokumentieren. Doch in Wahrheit erzählen die zwei Milliarden Facebook-Nutzer nicht ihre eigene Geschichte – sie werden mechanisch von Maschinen erzählt. Facebooks Geschäftsmodell gründet darin, algorithmische Identitäten zu konstruieren und Datenpakete an Anzeigenkunden zu verkaufen. Individuen werden vermasst; ihre Vorlieben zu handelbaren Gütern. Fotos zerfallen zu Datenpunkten, Individuen zu Dividuen.

Facebook-Nutzer liefern nur Futter für die Datenmaschinerie

Für Facebook zählt nicht die Schönheit eines Fotos oder einer geteilten Erinnerung, sondern die Informationen, die man daraus extrahieren kann. Mit all den Status-Updates schreiben Facebook-Nutzer keine neue Seite ihrer digitalen Chronik, sondern liefern lediglich das Futter für die Datenmaschinerie. Der Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski schreibt in seinem Buch "Facebook-Gesellschaft", dass der eigentliche Erzähler im Maschinenraum sitzt, wo Algorithmen die Daten analysieren. Im Grunde ist es eine automatisierte Narration. Die Technik-Soziologin Zeynep Tufekci notierte einmal auf ihrem Blog, dass sich ihr Facebook-Newsfeed mitten in einer Revolte wie Disneyland anfühle. Während der Unruhen in Ferguson 2014 bekam sie statt Nachrichten Einladungen zur Ice-Bucket-Challenge. Facebook erzählt die gezuckerte Geschichte eines süßen Kinderparadieses, wo einem Smileys und Emojis zufliegen und alle happy sind. Das Hippie-Gewese ist freilich nur ein Popanz – dahinter stecken handfeste wirtschaftliche Interessen.

Dilemma der Digitalisierung: Individuen werden zu Datenpaketen und erscheinen nur als Avatare

Es gibt Momente, in denen man einen Blick ins Innerste des Maschinenraums erhaschen kann. Wenn man die "Chronik" eines Facebook-Freunds aufruft, kommt es mitunter vor, dass während der Ladezeit eines Fotos für einen kurzen Moment ein Satz in dem Foto-Feld erscheint. Zum Beispiel: "Bild zeigt 3 Personen, die lachen, im Freien." Eine Software vermisst biometrische Merkmale im Gesicht und verwandelt sie in Nullen und Einsen. Das ist entlarvend: Für Facebook stellen menschliche Gesichter nur eine Abfolge von Pixeln dar. Die tausendfach geposteten Familienfotos sind deshalb nicht Ausweis einer Individualität, sondern bloße Individualitätsattrappen. Es ist das Dilemma der Digitalisierung: Wo Identitäten datenförmig sind, ist alles gleichförmig; das Individuum verschwindet und Avatare bevölkern den Internetkosmos.


Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum (u.a. Die Zeit, FAZ, NZZ, Süddeutsche Zeitung). 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks "Surveillance Studies" ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus.

Adrian Lobe
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