Facebook ist für Frauen gut
Im digitalen Zeitalter gerät die Privatsphäre zunehmend unter Beschuss. Gewollt und ungewollt geben wir Internetkonzernen wie Google und Facebook immer mehr persönliche Daten preis. Und auch der Staat weitet die Überwachung seiner Bürger aus. Doch kann man vielleicht auch ganz ohne Privatsphäre prima leben? Dieser Frage geht der Blogger Christian Heller in seinem Buch "Post-Privacy" nach.
Der zunehmenden Überwachung, Verknüpfung und Auswertung unserer Daten durch Unternehmen und Behörden kann scheinbar nur durch stärkere Datenschutzgesetze Einhalt geboten werden. Seine größten Verfechter hatte der Datenschutz bislang unter den Internetaktivisten, vom Chaos Computer Club bis zur Piratenpartei, die einerseits für ein freies und offenes Internet eintreten und zugleich die Ausspähung der Benutzer anprangern.
Doch inzwischen hat sich im Netz eine Gegenbewegung gebildet. "Post-Privacy" lautet das Schlagwort, mit dem einige Daten-Enthusiasten das Ende der Privatsphäre offensiv begrüßen und das uneingeschränkte Teilen auch persönlichster Daten im öffentlichen Raum des Internet propagieren. Zu ihnen zählt Christian Heller.
Hellers Plädoyer für einen entspannten Umgang mit dem Ende der Privatsphäre hat zwei Stoßrichtungen. Zum einen eine technisch-deterministische: Die zunehmende "Verdatung" immer weiterer Lebensbereiche ist sowieso nicht mehr zu stoppen. Und sie bietet mit der immer größer werdenden Macht intelligenter Algorithmen und stetig wachsenden Datenbergen jede Menge Chancen für neue Erkenntnisse, erweiterte Handlungsmöglichkeiten und bessere soziale Vernetzung. Angesichts dessen erscheint ein weitgehend wirkungsloser Datenschutz bloß als Schauplatz verzweifelter Rückzugsgefechte.
Zum anderen stellt er durch den Nachweis der historischen Variabilität des Begriffs des Privaten dessen inhärenten Wert infrage und verweist auf die Ambivalenzen. So war etwa der im 18. und 19. Jahrhundert entstandene bürgerliche Schutzraum des Privaten auch ein Instrument zur Unterdrückung der Frau. Wogegen sich später die Frauenbewegung mit ihrem Schlachtruf "Das Private ist politisch" richtete. Auch für Homosexuelle war, wie Heller ausführt, das Heraustreten aus den verborgenen Kaschemmen und Hinterzimmern – das Coming Out –, ein Akt der Befreiung.
Statt in vergeblicher Kontrolle der Datenströme sollen wir uns also in "Post-Privacy-Taktiken" üben. Ein öffentlich geführtes Leben verhilft, so die Überlegung, zu größerer gesellschaftlicher Transparenz und stärkt damit letztlich auch Toleranz und Solidarität sowie die Freiheit des Einzelnen.
Dieser Ansatz verkennt allerdings zwei Dinge: zum einen interessiert sich Heller kaum für die rechtliche Dimension des Themas. Statt als Schutzrecht des Einzelnen gegen staatlichen (und privatwirtschaftlichen) Zugriff sieht Heller den Datenschutz bloß als weiteren Ausdruck der Kontrollmacht des Staates. Und mithin als Gegner der zu verteidigenden "Anarchie des Netzes".
Zum anderen geraten ihm trotz einer Analyse des Verhältnisses von Wissen und Macht die realen Machtverhältnisse aus dem Blick. Als einzelner User verfüge ich eben nicht über die geballte Datenmacht eines globalen Internetkonzerns wie Facebook. Ob Phänomene wie WikiLeaks oder die Open Data Bewegung solche Ungleichgewichte wirksam aushebeln können, bleibt abzuwarten.
Trotz dieser argumentativen Schwächen ist "Post-Privacy" ein lesenswerter Essay, der mit seiner ungewöhnlichen Perspektive und vielen aufschlussreichen Beispielen zum Nachdenken über die gegenwärtigen Transformationen des Privaten – wenn nicht gar dessen Verschwinden – provoziert.
Besprochen von Philipp Albers
Christian Heller: Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre
C.H. Beck, München 2011
174 Seiten, 12,95 Euro
Doch inzwischen hat sich im Netz eine Gegenbewegung gebildet. "Post-Privacy" lautet das Schlagwort, mit dem einige Daten-Enthusiasten das Ende der Privatsphäre offensiv begrüßen und das uneingeschränkte Teilen auch persönlichster Daten im öffentlichen Raum des Internet propagieren. Zu ihnen zählt Christian Heller.
Hellers Plädoyer für einen entspannten Umgang mit dem Ende der Privatsphäre hat zwei Stoßrichtungen. Zum einen eine technisch-deterministische: Die zunehmende "Verdatung" immer weiterer Lebensbereiche ist sowieso nicht mehr zu stoppen. Und sie bietet mit der immer größer werdenden Macht intelligenter Algorithmen und stetig wachsenden Datenbergen jede Menge Chancen für neue Erkenntnisse, erweiterte Handlungsmöglichkeiten und bessere soziale Vernetzung. Angesichts dessen erscheint ein weitgehend wirkungsloser Datenschutz bloß als Schauplatz verzweifelter Rückzugsgefechte.
Zum anderen stellt er durch den Nachweis der historischen Variabilität des Begriffs des Privaten dessen inhärenten Wert infrage und verweist auf die Ambivalenzen. So war etwa der im 18. und 19. Jahrhundert entstandene bürgerliche Schutzraum des Privaten auch ein Instrument zur Unterdrückung der Frau. Wogegen sich später die Frauenbewegung mit ihrem Schlachtruf "Das Private ist politisch" richtete. Auch für Homosexuelle war, wie Heller ausführt, das Heraustreten aus den verborgenen Kaschemmen und Hinterzimmern – das Coming Out –, ein Akt der Befreiung.
Statt in vergeblicher Kontrolle der Datenströme sollen wir uns also in "Post-Privacy-Taktiken" üben. Ein öffentlich geführtes Leben verhilft, so die Überlegung, zu größerer gesellschaftlicher Transparenz und stärkt damit letztlich auch Toleranz und Solidarität sowie die Freiheit des Einzelnen.
Dieser Ansatz verkennt allerdings zwei Dinge: zum einen interessiert sich Heller kaum für die rechtliche Dimension des Themas. Statt als Schutzrecht des Einzelnen gegen staatlichen (und privatwirtschaftlichen) Zugriff sieht Heller den Datenschutz bloß als weiteren Ausdruck der Kontrollmacht des Staates. Und mithin als Gegner der zu verteidigenden "Anarchie des Netzes".
Zum anderen geraten ihm trotz einer Analyse des Verhältnisses von Wissen und Macht die realen Machtverhältnisse aus dem Blick. Als einzelner User verfüge ich eben nicht über die geballte Datenmacht eines globalen Internetkonzerns wie Facebook. Ob Phänomene wie WikiLeaks oder die Open Data Bewegung solche Ungleichgewichte wirksam aushebeln können, bleibt abzuwarten.
Trotz dieser argumentativen Schwächen ist "Post-Privacy" ein lesenswerter Essay, der mit seiner ungewöhnlichen Perspektive und vielen aufschlussreichen Beispielen zum Nachdenken über die gegenwärtigen Transformationen des Privaten – wenn nicht gar dessen Verschwinden – provoziert.
Besprochen von Philipp Albers
Christian Heller: Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre
C.H. Beck, München 2011
174 Seiten, 12,95 Euro