"Die Menschen nicht aus der Verantwortung nehmen"
Für die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt es eine neue Erklärung. Demnach soll der Algorithmus von Facebook dazu geführt haben, dass sich so viele Menschen spontan versammelten. Der Medienwissenschaftler Tobias Matzner findet die Theorie fragwürdig.
Die Bewegung der Gelben Westen kam aus dem Nichts. Nun berichtet Buzzfeed, dass es Facebooks Algorithmus war, der dazu führte, dass binnen kürzester Zeit hunderttrausende Franzosen auf die Straße gingen. Doch diese Erklärung greife zu kurz, meint der Medienwissenschaftler Tobias Matzner.
Als alleinige Erklärung zu schwach
"Ich finde das als alleinige Erklärung zu schwach", sagte Matzner im Deutschlandfunk Kultur. "Man sagt, der Algorithmus hat dazu geführt, dass Leute das und das machen. Aber man müsste Leuten zutrauen können zu sagen: Das ist doch aber Schwachsinn oder das ist rassistisch oder das ist populistisch."
Der Wissenschaftler sieht die Gefahr, dass menschliches Verhalten - wie beispielsweise Gewalt bei einer Demonstration - entschuldigt wird, indem man dem Algorithmus die Schuld zuschiebt. Und noch ein anderes Problem gibt es aus seiner Perpektive: "Das kann dazu führen, dass legitime politische Interessen delegitimiert werden", sagte Matzner. Den Leuten, die auf die Straße gehen, spreche man auf diese Weise ab, zu demonstrieren, weil sie ein legitimes politisches Interesse oder Bedürfnis hätten. Stattdessen heiße es: "Sie sind nur verführt worden von einem Algorithmus."
Eine Bewegung neuen Typs
"Es ist leider so, dass wir nicht einfach eine demokratiefreundliche Technik bauen können", betonte Matzner: "Wenn wir das könnten, dann müssten wir nur noch diese Technik ausrollen und wir hätten weltweit Demokratie."
Seit etwa vier Wochen protestieren die Gelbwesten in Frankreich. Es ist eine Bewegung neuen Typs. Denn sie entstand wie aus dem Nichts. Spontan organisierten sich ihre Mitglieder über soziale Netzwerke. An ihrem ersten Aktionstag Mitte November mobilisierten die Gelbwesten 300.000 Menschen, am vergangenen Samstag waren es etwa 150.000. Sie fordern niedrigere Abgaben und höhere Löhne.